Mittelschwaebische Nachrichten
Das Rockerherz schlägt nicht mehr
Vor 13 Jahren erfüllte sich Jürgen Gerstmayer seinen Lebenstraum. Seine Kneipe war eine kultige Anlaufstelle für viele Musiker. Und für manchen Gast eine zweite Heimat. Jetzt ist er tot
Günzburg „Betriebsurlaub vom 6.6. 17 bis 19.6.17“steht auf einem großen Zettel, der in der Günzburger Innenstadt im Eingangsbereich der Kneipe „On the rocks“angebracht ist. Wenn es denn nur Betriebsurlaub wäre. Es ist momentan nicht klar, ob und wie es mit der Gaststätte weitergehen soll. Traurige Gewissheit aber ist, dass der Mann, der die Rockkultur nach Günzburg holte und sich mit der kultigen Gaststätte einen Lebenstraum erfüllte, nie mehr hinter dem Tresen stehen und den Stammgästen einen ausgeben wird: Jürgen Gerstmayer ist am Sonntagnachmittag in der Günzburger Kreisklinik gestorben – im Alter von 54 Jahren. Er erlag einem tückischen Krebsleiden.
Eine weiße Kerze in einem Windglas steht auf dem Tisch vor der Kneipe. Die Flamme brennt. Der eher klein gewachsene, drahtige Gerstmayer hat stets gebrannt, wenn es um sein Lokal ging, das er dunkel gehalten hat, wie es zu Rockern passt, die etwas mit AC/ DC anfangen können und bei „Easy Rider“nicht an einen Müsliriegel denken, sondern an das Roadmovie mit Peter Fonda: Born to be wild.
„Bei der Einrichtung seiner Gaststätte hat er sich von niemandem reinreden lassen, nicht einmal, wenn es drum ging, wie die Flaschen hinter dem Tresen zu stehen haben.“Das sagt Armin Spengler, ein enger Freund des Verstorbenen. „Stur“will er das gar nicht nennen. „Jürgen hat immer gesagt, was er gedacht hat. Er war geradlinig, hatte in bestimmten Dingen seine genauen Vorstellungen. Und er hatte ein riesiges Herz und einen großen Gerechtigkeitssinn“, fügt der Handball-Abteilungsleiter des VfL Günzburg hinzu. „Wenn wir in Günzburg den Sherwood Forest hätten, wäre Jürgen der Robin Hood.“
Gerstmayer kam aus Augsburg und wurde hier heimisch. Sport war eine seiner Leidenschaften. Mit 15 Jahren konnte der talentierte Jugendliche eine mögliche Laufbahn als Fußballspieler für immer verges- sen. Mehrfach musste er schwere Beinoperationen über sich ergehen lassen. Er lag insgesamt über Monate im Krankenhaus. Sein Wissen und seine Erfahrung aber gab der glühende Fan von Borussia Mönchengladbach weiter – zuletzt als Jugendtrainer beim TSV Wasserburg.
In Günzburg selbst führte er einen Getränkemarkt, verfolgte aber ein anderes Ziel, das er im Juni 2004 mit der Eröffnung von „On the rocks“erreichte. Silvia Krumm war von der ersten Minute an als Bedienung dabei. „Ich habe damals woanders bedient. Jürgen fragte mich, ob ich das bei ihm machen würde, wenn er mal eine Kneipe hätte. Ohne groß darüber nachzudenken, habe ich zugesagt. Wie konkret das alles schon war, davon hatte ich keine Ahnung. Zwei Monate nach diesem Gespräch war es so weit.“
Gerstmayer wollte Vertraute um sich scharen. Die sah er in der Belegschaft und den Gästen gleichermaßen – eine große Rockfamilie eben. Gemeinsam wurden Fußballspiele geschaut. Gemeinsam wurde zu Livemusik mit professionellen Coverbands und lokalen Größen gefeiert. Das Open Air „Rocks Open“begründete Gerstmayer in Günzburg – die Premiere war vor fünf Jahren. Einmal im Monat hieß es zuletzt in seiner Rockkneipe für Musiker aus der Region „Spiel’ für dein Bier“. Nur wenn er selbst auftrat als Mitglied des Shantychors „Tote Möwe“, musste die Rockmusik den Seemannsliedern weichen.
Vier Monate hat der ungleiche Kampf Gerstmayers gegen den aggressiven Leberkrebs gedauert. Zuletzt trat er nicht mehr in der Öffentlichkeit in Erscheinung. Er hinterlässt vier Kinder, drei davon sind erwachsen. Die Trauerfeier und Bestattung findet am Mittwoch, 21. Juni, um 13.30 Uhr in Günzburg statt. Und auch die Gäste, manche davon sahen das „On the rocks“als zweite Heimat, sollen sich so verabschieden, „wie es sich Jürgen gewünscht hat. Sie sollen auf ihn anstoßen. Wir planen etwas.“Das sagt Silvia Krumm am Telefon. Dann stockt ihre Stimme. Sie weint.