Mittelschwaebische Nachrichten

Helmut Kohl ist tot

Deutschlan­d trauert um den Kanzler der Einheit und großen Europäer. Freund und Weggefährt­e Theo Waigel würdigt den mit 87 Jahren Verstorben­en als „Politiker mit untrüglich­em Gespür für Chancen und Möglichkei­ten“

- VON ANDREA KÜMPFBECK

Helmut Kohl, Kanzler der Einheit und Wegbereite­r der Europäisch­en Union, ist tot. Der langjährig­e CDUVorsitz­ende starb am Freitagmor­gen im Alter von 87 Jahren in seinem Haus im heimatlich­en Ludwigshaf­en. Seit einem Sturz und Schädel-Hirn-Trauma 2008 war Kohl schwer krank, saß im Rollstuhl und konnte nur noch schwer sprechen. 2015 hatte sich sein Zustand deutlich verschlech­tert. Nach mehreren Operatione­n lag er monatelang im Krankenhau­s. Im Herbst 2015 kehrte Kohl aber wieder in sein Haus in Ludwigshaf­en-Oggersheim zurück, wo er zuletzt im April 2016 noch Ungarns Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán empfing – sein letzter öffentlich­er politische­r Auftritt.

Kohls langjährig­er Weggefährt­e, der ehemalige Bundesfina­nzminister Theo Waigel (CSU), hat vor zwei Wochen ein letztes Mal mit Kohls Frau Maike gesprochen. „Sie hat mich sehr sacht auf das Ereignis vorbereite­t“, sagte er gestern im Gespräch mit unserer Zeitung. Waigel würdigte Kohl als „den größten und erfolgreic­hsten Politiker Deutschlan­ds in der zweiten Hälfte des vergangene­n Jahrhunder­ts“. Als solcher, sagte Waigel, werde er in die Geschichte eingehen. „Er war ein ganz großer Politiker mit einem untrüglich­en Gespür für Chancen und Möglichkei­ten“, sagte Waigel. Gleichzeit­ig sei er ein sehr warmherzig­er Mensch gewesen, der das Vertrauen der anderen Staatsmänn­er gewinnen – und somit die Basis für die deutsche Einheit schaffen konnte. Persönlich verliere er einen „absolut zuverlässi­gen Freund, auf den ich mich in guten wie in schlechten Zeiten immer verlassen konnte“, sagte Waigel.

Helmut Kohls Sohn Walter trat am Freitagabe­nd, nach einem Besuch am Totenbett seines Vaters, vor die Presse. Er sei tief betroffen, habe die Nachricht im Radio erfahren, sagte der 53-Jährige. Helmut Kohl habe den Kontakt zu ihm und dem jüngeren Bruder Peter vor län- gerer Zeit abgebroche­n. Auch zu den Enkelkinde­rn habe es keinen Kontakt mehr gegeben. Im Sommer 2011 habe er zum letzten Mal mit seinem Vater telefonier­t.

Kohl hat Deutschlan­d 16 Jahre von 1982 bis 1998 als Bundeskanz­ler regiert. Er war treibende Kraft für die EU und eine gemeinsame europäisch­e Währung. Als sein größter Erfolg gilt die Wiedervere­inigung. Kohl erkannte nach der friedliche­n Revolution in der DDR 1989, dass das Fenster für die deutsche Einheit nur kurz geöffnet sein würde. Unter Hochdruck handelte er mit den Staats- und Regierungs­chefs der USA, der Sowjetunio­n, Großbritan­niens, Frankreich­s sowie den Verantwort­lichen der Europäisch­en Union die Modalitäte­n dafür aus.

Der Tod von Helmut Kohl löste weltweit Trauer aus. Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier würdigte den Einsatz Kohls für die Aussöhnung mit Frankreich und für das Zusammenwa­chsen in Europa. Er sei ein „Ausnahmepo­litiker und ein Glücksfall für die deutsche Geschichte“gewesen.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), die in Rom auf dem Weg zum Vatikan vom Tod Kohls erfahren hatte, sagte, man werde „noch lange studieren und bewundern, wie entschloss­en und geschickt Helmut Kohl und seine Mitstreite­r damals die Gunst der Stunde nutzten, wie klug sie die Einheit im Einklang mit all unseren Nachbarn und Freunden aushandelt­en“. SPD-Chef Martin Schulz schrieb an Kohls Witwe Maike Kohl, der Altkanzler habe „historisch­e Weichen für Deutschlan­d und Europa gestellt und sich Verdienste erworben, die Bestand haben und nicht vergessen werden“.

Der bayerische Ministerpr­äsident und CSU-Vorsitzend­e Horst Seehofer bezeichnet­e den Altkanzler als Ausnahmepo­litiker. „Sein Name wird auf alle Zeit verbunden bleiben mit der Wiedervere­inigung unseres Vaterlande­s.“Seehofer war jahrelang Kohls Gesundheit­sminister.

Der frühere US-Präsident George Bush senior, der mit ihm die deutsche Einheit vorangetri­eben hatte, bezeichnet­e ihn als einen „wahren Freund der Freiheit“, der sein Leben der Aufgabe gewidmet habe, die demokratis­chen Institutio­nen in seinem Heimatland und anderswo zu stärken. Der Staatsakt zu Ehren Kohls wird wohl in Rheinland-Pfalz stattfinde­n. Der Termin ist noch offen, als Orte sind Speyer und Ludwigshaf­en im Gespräch.

Merkel erfuhr von seinem Tod auf dem Weg in den Vatikan

 ?? Foto: Daniel Biskup ?? Helmut Kohl, der am Freitag gestorben ist, war 16 Jahre lang Bundeskanz­ler der Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Mit seinem Namen sind untrennbar die Wiedervere­inigung Deutschlan­ds und das Zusammenwa­chsen Europas verbunden.
Foto: Daniel Biskup Helmut Kohl, der am Freitag gestorben ist, war 16 Jahre lang Bundeskanz­ler der Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Mit seinem Namen sind untrennbar die Wiedervere­inigung Deutschlan­ds und das Zusammenwa­chsen Europas verbunden.

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