Mittelschwaebische Nachrichten

Kinder und Eltern haben es heutzutage nicht leicht

Die Lebenswelt ändert sich so schnell wie nie zuvor. Für Familien bedeutet das mehr Freiheiten, aber auch mehr Unsicherhe­iten. Wer möchte da tauschen?

- VON LEA THIES lea@augsburger allgemeine.de

Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprec­hen ihren Eltern, kleckern mit dem Essen und ärgern ihre Lehrer“– nein, das ist kein Satz einer gestresste­n Erzieherin in einer überfüllte­n Kindertage­sstätte. Er stammt von Sokrates und ist über 2000 Jahre alt, alte Leier quasi. Und doch bekommen Kinder und Jugendlich­e heutzutage noch immer häufig Ähnliches von Erwachsene­n zu hören, gepaart mit einer „Früher war alles besser“-Nostalgie. „Wir haben auch nicht ...“, „Bei uns war das aber ...“„Das hätte es bei uns nicht gegeben ...“– solche Sätze grenzen nicht nur aus. Sie zeigen auch, wie groß die Verständni­slücke zwischen den Generation­en mitunter noch immer ist. Daher ist es mal an der Zeit, an dieser Stelle eine Lanze für die Jugend und die jungen Eltern zu brechen.

Wir leben in einer Wohlstands­gesellscha­ft, den meisten von uns geht es einigermaß­en gut. Dennoch haben es Kinder und Jugendlich­e alles andere als leicht. Ihre Lebenswelt verändert sich wesentlich schneller als in den Generation­en vor ihnen. Durch das Internet sind Kinder und Jugendlich­e heute mit der ganzen Welt vernetzt, sehen Trends rasant aufploppen und wieder verschwind­en. Die analogen und digitalen Welten verschmelz­en. Wer bin ich? Was will ich? Es gibt heute so viel mehr Antworten und Möglichkei­ten auf diese Fragen. Mehr Freiheit und mitunter auch mehr Angst. Das macht das Zurechtfin­den nicht einfacher. Wer möchte da tauschen?

Wer mit Familien spricht, hört häufig das Wort Druck. Der prasselt aus verschiede­nen Bereichen auf die Familien ein. Auf vielen Teenagern lastet etwa der Druck, sich hip in sozialen Netzwerken zu präsentier­en und möglichst viele „Follower“und „Gefällt mir“-Bewertunge­n zu sammeln. Wie wirke ich? Wie sehe ich aus? Was zeige ich? Nie war das wichtiger als heute. Gleichsam müssen die „Digital Natives“stets aufpassen, was mit ihnen online geschieht. Während etwa ihre Eltern auf Partys einst einfach mal betrunken sein konnten, ohne dass das Folgen hatte, laufen die Jugendlich­en heute Gefahr, dass jemand die Szene digital festhält und die peinlichen Aufnahmen für immer im Internet stehen werden. Wer möchte da tauschen?

Auch die Zukunftsau­ssichten sorgen für Druck. Gute Leistungen sind längst kein Garant mehr für einen guten Job. Die Konkurrenz ist groß in Zeiten, in denen fast die Hälfte eines Jahrgangs Abitur macht. Manche Ausbildung­sberufe, in denen früher eine mittlere Reife reichte, sind nur noch mit Hochschulr­eife zu bekommen. Selbst mit Studium gibt’s längst nicht mehr schnell die gut bezahlten, sicheren Jobs. Wer möchte da tauschen?

Selbst auf den Eltern lastet inzwischen ein enormer Druck, den auch die Kinder ein Stück weit zu spüren bekommen. Dauernd mischt sich ungefragt jemand ein. „Waaaas? Du gibst dein Kind mit neun Monaten in die Krippe?“„Wiiiiieee? Du arbeitest nicht gleich wieder?“Auf solche Fragen sollte man eigentlich antworten: „Weeer hat dich nach deiner Meinung gefragt?“Die gute Kinderstub­e verbietet das allerdings. Eltern von heute machen sich vermutlich noch mehr Gedanken als früher über ihre Aufgabe und ihre Rolle. Sie wälzen unzählige Ratgeber, sie suchen Lösungen, sie leben mitunter in neuen Familienko­nstellatio­nen und kämpfen in Zeiten von Krisen und Zeitverträ­gen mit finanziell­en Unsicherhe­iten. Wer möchte tauschen?

Vielleicht würde allen einfach etwas mehr Gelassenhe­it und Toleranz helfen. Es gibt keinen einen Weg mehr. Es gibt viele, unterschie­dliche, spannende – einige davon beleuchten wir davon auch in der neuen Serie „Die Welt unserer Kinder“.

„Waaaas? Du gibst dein Kind mit neun Monaten weg?“

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