Mittelschwaebische Nachrichten

Der verkannte Star

Sibel Kekilli verlässt den „Tatort“. Was schade ist, aber der deutschen, vorbildhaf­t integriert­en Schauspiel­erin nun neue Möglichkei­ten eröffnet

-

Das war es dann: Sibel Kekilli haut als „Tatort“-Kommissari­n Sarah Brandt am Sonntag dem konservati­ven Kollegen Borowski den Macho um die Ohren. Ja, so muss es sein in einer Zoffgemein­schaft. Aber so wird es nie wieder sein. Sarah Brandt geht. Weil die in Heilbronn geborene Tochter türkischer Eltern neugierig ist und die Welt erkunden will, die interessan­te Rollen für eine begabte Schauspiel­erin bereithält.

Dass Hollywood ein schwierige­s Pflaster ist, weiß sie. Veronica Ferres kann ein unschönes Lied davon singen, Diane Kruger ein schönes, weil sie in der US-Filmfabrik sich das Rüstzeug holte für eine erfolgreic­he Rückkehr nach Europa, inklusive der Siegerpalm­e in Cannes als beste Schauspiel­erin. Wie wird es laufen für die 37-jährige Kekilli, die nun erst einmal den Episodenfi­lm „Berlin, I Love You“abgedreht hat? Die uns vertraute Sarah Brandt aus dem „Tatort“mit Pferdeschw­anz, lockeren Klamotten und Angstattac­ken wird es nicht mehr geben. Wer und ob jemand nachfolgt, ist noch nicht bekannt. Der NDR schweigt vorerst.

Fast hollywoodr­eif klassisch ist aber der berufliche Aufstieg der Sibel Kekilli. Kellnerin, Verkäuferi­n, Reinigungs­kraft und einiges mehr in unterbezah­lten Jobs. Aber ein Casting für die weibliche Hauptrolle in dem Film „Gegen die Wand“änderte alles. Der Film von Regisseur Fatih Akim wurde bei der Berlinale 2004 mit dem Goldenen Bären ausgezeich­net. Was die Bilddass Zeitung so nicht hinnehmen wollte. Sie machte Kekillis Vergangenh­eit als Porno-Darsteller­in publik. Bei der Bambi-Verleihung konnte der verkannte Star nicht mehr an sich halten und sprach von einer „dreckigen Hetzkampag­ne“. Unterstütz­ung erfuhr die Schauspiel­erin vom Deutschen Presserat, der die Menschenwü­rde der Schauspiel­erin verletzt sah. Sibel Kekilli denkt internatio­nal. Vielfach preisgekrö­nt, hat sie mehrfach betont, dass sie nicht auf das Klischee türkischst­ämmiger Figuren festgelegt werden will. Sibel Kekilli ist seit dem Jahr 2004 Botschafte­rin von „Terre des Femmes“, was heißt, sie sich für (muslimisch­e) Frauen einsetzt. Für Aufsehen sorgte 2006 im Berliner Abgeordnet­enhaus eine ihrer Äußerungen („leider gehört Gewalt im Islam zum Kulturgut“). Mit der Folge, dass der türkische Generalkon­sul den Saal verließ.

Kein Wunder, dass die so taffe wie zierliche Frau auch bei den Protesten in der Türkei an der Seite der Demonstran­ten stand. Und im März 2017 das Bundesverd­ienstkreuz erhielt.

In erster Linie aber sieht sich die in Hamburg lebende Kekilli als Schauspiel­erin. In einer der erfolgreic­hsten TV-Serien aller Zeiten („Game Of Thrones“) spielt sie justament eine Prostituie­rte. Da der angesehene US-Sender sehr profession­ell gearbeitet hat, könnte Hollywood eine Option sein. Auch wenn wir Sarah Brandt nicht wiedererke­nnen sollten. Rupert Huber

 ?? Foto: dpa ??
Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany