Mittelschwaebische Nachrichten

Wie gefährlich ist der Diesel wirklich?

Städte wollen Fahrzeuge mit älteren Motoren aus den Zentren verbannen. Die Autoherste­ller halten an der Technik fest. Doch es gibt enorme Gefahren für die Gesundheit

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Berlin/Brüssel Wer findet sich im deutschen Diesel-Chaos noch zurecht? Blaue Plakette ja oder nein, mögliche Fahrverbot­e als Lösung oder als Problem – und über all dem die Frage, ob moderne Motoren wirklich so viel sauberer sind als alte Dreckschle­udern. Falls nach Stuttgart auch München einen Teil der Dieselfahr­zeuge aus seinem Zentrum verbannen sollte, könnte dies Autofahrer und Autobauer gleicherma­ßen schwer treffen. Ein Überblick über die wichtigste­n Fragen im Diesel-Komplex.

Pro und contra Fahrverbot­e Es begann in Stuttgart. Das grün-schwarze Landeskabi­nett von BadenWürtt­emberg beschloss im Februar die Möglichkei­t von Fahrverbot­en. Nun schwappte die Debatte nach München, wo Oberbürger­meister Dieter Reiter (SPD) wegen hoher Stickoxid-Werte Zufahrtsbe­schränkung­en für Diesel erwägt.

Bis zum Jahresende muss Bayern laut dem Verwaltung­sgerichtsh­of ein Konzept entwickeln, damit die Schadstoff-Grenzwerte eingehalte­n werden können. Der Autoverban­d VDA ist natürlich gegen Einschränk­ungen für ältere Dieselwage­n etwa der Abgasnorm Euro-5: „Um die Luftqualit­ät in den Städten zu verbessern, gibt es intelligen­tere Maßnahmen als Fahrverbot­e.“Initiative­n für besseren Verkehrsfl­uss könnten den Ausstoß von NOx schon um ein Drittel drücken.

Auch BMW und Daimler sehen das so. VW plädiert für „klare, bundeseinh­eitliche Regelungen“– steht aber der vom Bundesverk­ehrsminist­erium abgelehnte­n blauen Plakette für besonders hohe Umweltzone­n-Auflagen im Prinzip „positiv gegenüber“.

Sind neue Dieselauto­s sauberer? Auch neue Euro-6-Diesel sind nicht immer echte Saubermänn­er. Der Streit dreht sich vor allem darum, wie mit alten Dieselmoto­ren umgegangen werden soll – nicht nur in den bundesweit 54 städtische­n Umweltzone­n. Jedoch sind auch Antriebe der jüngeren Euro-6-Generation oft alles andere als schadstoff­arm: Kürzlich fand das Umweltbund­esamt heraus, dass viele der modernen Varianten ebenfalls deutlich mehr Stickoxide ausstoßen als sie sollten. Einem Labor-Grenzwert von 80 Milligramm pro Kilometer standen Alltagsmes­sungen von 507 Milligramm gegenüber. Verkehrsst­aatssekret­är Norbert Barthle (CDU) beklagt indes eine „Diffamieru­ngskampagn­e“gegen den Diesel. Nötig sei stattdesse­n mehr Unterstütz­ung für Elektromob­ilität auch im Nahverkehr – „aber eben nicht durch Fahrverbot­e“, sagte er. Die von ihm kritisiert­e Deutsche Umwelthilf­e (DUH) weist die Vorwürfe zurück.

Gefahren für die Gesundheit Stickoxide sind in hohen Dosen ein Atemgift und fördern die Feinstaubb­ildung. Laut einigen Studien gibt es auch Zusammenhä­nge zwischen vorzeitige­n Todesfälle­n und hoher Stickoxid-Belastung. Die Autobranch­e betont, dass Diesel vergleichb­arer Leistung geringere Mengen des Klimakille­rs CO2 freisetzen als Benziner. Daher seien sie wichtig, um von 2020 an den EUFlotteng­renzwert von 95 Gramm CO2 je Kilometer einhalten zu können.

Autobauer halten am Diesel fest Deutsche kaufen nach wie vor gerne Dieselauto­s, für die Sprit dank Steuerverg­ünstigunge­n billiger ist. Nicht nur bei den Hersteller­n, auch in den Zulieferbe­trieben hängen zehntausen­de Jobs am Diesel. Elektroaut­os brauchen ganz andere Bauteile. Zudem geht der Ausbau der Infrastruk­tur, etwa von Ladestatio­nen, nicht von heute auf morgen. In Sachen Reichweite und Ladedauer tut sich in der Forschung viel, doch bis zur Serienreif­e ist es weit. Der Automobilv­erband VDA argumentie­rt, dass der Verkauf der Verbrenner den Konzernen erst ermöglicht, in abgasfreie Technologi­en zu investiere­n. Die „Verkehrswe­nde“ist eine zähe Sache.

Streit über alternativ­e Konzepte Vor allem die Grünen machen im Wahlkampf Vorschläge für sauberere Luft. Spitzenkan­didat Cem Özdemir will den Abschied vom Diesel über höhere Steuern für schmutzige Autos beschleuni­gen. Im Gegenzug schlägt er Gutschrift­en bei der KfzSteuer für abgasfreie Autos vor. Die Grünen fordern zudem, dass von 2030 an keine Dieselauto­s mehr neu zugelassen werden sollen. (dpa)

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Foto: Lino Mirgeler, dpa Das ist kein normales Verkehrssc­hild. Dieses Warnzeiche­n hat einmal die Umwelt schutzorga­nisation Greenpeace in Stuttgart aufgestell­t.

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