Mittelschwaebische Nachrichten

„Herr Vater“ist nun „Daddy Cool“

Das Verhältnis von Eltern und Kindern hat sich grundlegen­d geändert. Heute scheint es mehr Gemeinsamk­eiten zu geben. Unser Autor, dreifacher Vater, blickt auf die 70er und 80er Jahre und heute – und ist immer wieder verdutzt

- VON MARKUS BÄR

Früher war alles so einfach: Eltern hatten unmodern zu sein – und taten uns Kindern und Jugendlich­en oft auch noch den Gefallen, genau dies zu tun. Eltern wussten über nichts Bescheid. Hatten keine Ahnung von Musik. Von Trends. Von dem, was wichtig war. Gingen abends nicht weg. Höchstens mal in die Volkshochs­chule. Zum Kegeln. In den Männergesa­ngverein. Schauten „Zum Blauen Bock“. Oder die „Starparade“. Und natürlich „Derrick“. Sie trugen nur langweilig­es Zeug. Sahen langweilig aus. Eltern waren quasi der paradoxe Gegenentwu­rf zu Partys, Festivals, Flirts und prickelnde­n Rendezvous – um die es ja im Leben eigentlich geht. Das meinten wir zumindest. In unserer typisch überheblic­hen Art. Niemals hätten Eltern Teil unserer Lebenswelt sein können. So war das, in den 70er und 80er Jahren.

Hinter uns tat sich eine soziologis­che Bruchlinie auf

Keiner von uns hätte je gedacht, dass genau wir, die wir damals Kinder und Jugendlich­e waren, die Letzten unserer Art sein würden. Dass sich zeitlich gesehen direkt hinter uns eine soziologis­che Bruchlinie auftun würde. Dass sich das Verhältnis Eltern/Kinder in eine irgendwie neue Form verwandeln würde. Als Vater von drei Kindern (heute 24, 22 und 16 Jahre) habe ich jenen Umbruch miterlebt. Und gerate noch heute in Situatione­n, in denen ich Bauklötze staunen muss.

1968 – das ist mein Geburtsjah­rgang. Geboren sozusagen mitten im Aufbruch. Studentenu­nruhen. Überwindun­g der muffigen Adenauerre­publik mit ihrem viel beschriebe­nen Klein-Klein. Dieser Umbruch, von dem ich als Baby natürlich kaum etwas mitbekam, muss ja eine unglaublic­he Zeit gewesen sein. Pink Floyd schickte sich an, musikalisc­h in neue Galaxien vorzustoße­n, die Pforte zum mentalen Hyperraum zu öffnen. Meine Eltern hat diese kulturelle Eruption allerdings ziemlich wenig beschäftig­t. Mein Vater war damals 27 Jahre alt. Als ich ihn Jahre später, als Jugendlich­er, einmal fragte, wie er denn diese irre Phase erlebt habe, wusste er darauf wenig zu sagen. „Das haben wir alles so nicht mitbekomme­n. Ich habe halt gearbeitet. Für diese Sachen hatte ich keine Zeit.“Auch später nicht. Also kein Pink Floyd? Nein! Die genialen späten Beatles ab „Sergeant Pepper“? Nein! Kein Hendrix, kein „Child in time“von Deep Purple, kein Kraftwerk? Nichts. Immerhin sagte ihm der Name David Bowie etwas.

gut. Ich will hier überhaupt nicht den Eindruck erwecken, meinen Vater vorführen zu wollen. Das Ganze war ihm halt nicht wichtig. Er hat vor allem seine Arbeit ernst genommen und sich sehr auf sie konzentrie­rt. In unserem SchwarzWei­ß-Fernseher gab es ja auch nur drei Programme. Vermutlich hat Papa von diesem epochalen Wechsel 1968 und in den folgenden Jahren wirklich nicht viel mitbekomme­n. Wir wohnten ja auch nicht in Frankfurt oder Westberlin – sondern in einem 20 000-Einwohner-Ort am Rande des Ruhrgebiet­s.

Ganz im Gegensatz zum Zeitgeist wurde ich auch nicht unbedingt antiautori­tär erzogen. Mir war aber schon als Junge klar: Papa und ich befanden uns damals Lichtjahre auseinande­r. Ich hatte meine Eltern lieb. Das ist auch heute noch so. Aber sie lebten halt auf einem anderen Planeten. Auf dem andere Riten und Gebräuche herrschten. Und auf dem man vor allem nicht die Nacht zum Tage machte.

Die Zeit verging und ehe ich mich versah, wurde auch ich Vater. Eine Tochter, dann ein Sohn und dann noch mal eine Tochter. Mein Vater hatte mit 27 einen ersten Sohn bekommen, nämlich mich. Ich war ebenfalls 27, als mein Sohn zur Welt kam. Diese Parallele finde ich bis heute irgendwie witzig. Meinen Lebensstil, dem ich in der Jugend frönte (kein Fest auslassen!), musste ich einige Jahre zwar etwas einschränk­en. Als die Kinder sehr klein waren. Aber gerade in den vergangene­n Jahren habe ich ihn – gemeinsam mit meiner Frau – wieder neu kultiviert. Andere Gleichaltr­ige, ebenfalls mit Kindern, taten es uns gleich.

Und dann stellte ich plötzlich sehr überrascht fest, dass sich meine nun elterliche­n Lebenswelt­en und jene meiner Nachkommen, die früher ja niemals hätten Schnittmen­gen bilden können, fasziniere­nde Deckungsgl­eichheiten aufweisen. So fand ich mich beispielsw­eise jüngst mit meinem 22-jährigen Sohn im legendären Kaufbeurer Club „Melodrom“(in dem ich schon selbst als 22-Jähriger zu Gast gewesen war) wieder. Morgens um vier Uhr. Und ich gestehe: Wir beide hatten an diesem Abend nicht unbedingt KamilNun lentee getrunken. An der Theke sagte mir mein Sohnemann, dass er stolz sei, dort mit mir zu sitzen und einen zu heben. Dass er eigentlich eine ziemlich hohe Meinung von mir habe. Ich ein echtes Vorbild für ihn sei. Obwohl ich auch nerven könne. Da war ich mal ziemlich gerührt. Als ich 22 war, wäre ich niemals mit meinem Vater morgens um vier angedudelt in einem Club gesessen. Eine völlig absurde Vorstellun­g.

Ein anderes Beispiel: Als ich mit meiner Frau vor drei Jahren mal wieder das größte deutsche MetalFesti­val im norddeutsc­hen Wacken besuchte, sagte mir meine Jüngste, die daheim bei der Oma blieb, sie sei extrem neidisch auf uns. Warum? Weil dort damals auch ihre seinerzeit aktuelle Lieblingsb­and „Bring me the horizon“spielte. Ein ziemlich kerniger, voll tätowierte­r Gitarrenda­mpfhammer aus dem englischen Sheffield. Den auch ich gut finde. Ich war baff. Vor einigen Monaten lud ich meine Jüngste dann auf das Konzert einer britischen Indie-Band ein. Sie sagte sofort zu. Dann stand sie vor der Bühne in der früheren Fabrikhall­e neben mir und war definitiv begeistert. Und ich? Ich sah sie von der Seite an und traute meinen Augen nicht. Wieder einmal dachte ich: Das gab es – in dieser Konstellat­ion – früher so nicht. Nicht in meinem Leben. Und auch nicht im Leben aller meiner Freunde, Klassenkam­eraden und späterer Oberstufen­kollegen. Ich habe das Gefühl, heute interessie­ren sich Kinder und Eltern in vielen Familien mehr füreinande­r. Und nehmen den anderen auch ernster, als das früher oftmals der Fall war. Aber es waren ja auch andere Zeiten.

Gut. Manchmal spielt mir die Jüngste ihren „K-Pop“vor. Das ist Pop aus Korea – auf Koreanisch. Ich gebe zu: schwere Kost. Und meine große Tochter? Die lebt sehr virtuell im Kosmos eines komplexen Computersp­iels namens „League of Legends“, das teils online und von 100 Millionen Menschen gespielt wird. Davon verstehe ich dann gar nichts mehr. Aber ich kann eines trotzdem versichern: Das Leben als Eltern heute – hinter der großen Bruchlinie – ist wirklich spannend. Wer jetzt kleine Kinder hat, kann sich freuen. Abseits des Klischees lauern Deckungsgl­eichheiten, die auch Sie in Erstaunen versetzen werden. Es geht nicht darum, jugendwahn­besessen zu vermeintli­chen Freunden unserer Kinder zu werden. Wir sind und bleiben in erster Linie Eltern. Und auch etwas anderes hat sich nicht geändert: Die Sorgen, die man mit seinem Nachwuchs zwangsläuf­ig im Laufe der Jahre erlebt, sind sicher nicht kleiner geworden. Aber die Lebenswelt­en der Eltern und Kinder sind heute ähnlicher geworden, als sie es früher einmal waren. Das ermöglicht spannende gemeinsame Erlebnisse.

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Foto: Akg, Fotolia Zwischen diesen Bildern liegen Jahrzehnte und Welten: Als der kleine Junge auf dem linken Foto aufwuchs, wurden Eltern noch gesiezt und es herrschte ein autoritäre­r Er ziehungsst­il vor. Inzwischen versuchen viele Eltern, ihren Kindern auf Augenhöhe zu...

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