Mittelschwaebische Nachrichten

Schwere Zeiten für Innenstädt­e – und Chancen

Wirtschaft Experten warnen: Der Onlinehand­el wird den Zentren noch mehr Probleme bringen. Wie sieht es im Kreis aus?

- VON DEN REDAKTIONS­MITGLIEDER­N

Landkreis Der HDE, der Handelsver­band Deutschlan­d, zeichnet ein düsteres Bild von der Zukunft der deutschen Innenstädt­e. Der zunehmende Internetha­ndel zwinge immer mehr kleine und mittelstän­dische Händler dazu, ihr Geschäft aufzugeben. Innerhalb der nächsten drei Jahre könnten deutschlan­dweit 50 000 Handelssta­ndorte verschwind­en – zehn Prozent des jetzigen Angebots. Es drohten noch mehr Leerstände und das auch in attraktive­n Lagen. Die Fußgängerz­onen müssten „gesundgesc­hrumpft“, Geschäftsr­äume, gerade in Randlagen, in Wohnraum umfunktion­iert werden. Der Handelsexp­erte der Indus trie und Handelskam­mer Schwaben, André Köhn, ist allerdings nicht der Ansicht, dass dies auch für den Landkreis Günzburg gilt. „Hier sind 1A-Lagen schon übersichtl­ich, wo will man hier noch etwas gesundschr­umpfen?“, fragt er.

Vielmehr gelte es in der Region, die Zentren zu entwickeln und nicht die Randbereic­he, die gute Erreichbar­keit sei wichtig. Zunehmend würden die Innenstädt­e mittelgroß­er Städte auch von großen Handelsket­ten wie H&M entdeckt, was eine neue Chance biete. Zudem gebe es Fördergeld­er für die Entwicklun­g der Zentren. Generell gelte: Je spezieller das Sortiment eines Geschäfts ist und je breiter es dabei mit einem guten Service aufgestell­t ist, desto größer sei die Chance, zu bestehen. Wie sieht es nun vor Ort aus? In der mit mehr als 20000 Einwohnern größten Stadt im Landkreis, Günzburg, wirkt seit Anfang des Jahres die City-Managerin Nikola Tesch. Sie soll dem Einzelhand­el Impulse geben. Ein ehrgeizige­s Projekt ist die sogenannte „Digitale Einkaufsst­adt“, die Mitte Juli der Öffentlich­keit vorgestell­t wird. Eines der Ziele ist, Waren, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt online bestellt werden, noch am selben Tag auszuliefe­rn. Außerdem sollen die Geschäftsl­eute eine digitale Plattform haben, um ihr Angebot vorzustell­en. „Auch einer Spenglerei kann ich nur empfehlen, sich im Internet zu präsentier­en“, sagt Peter Schleifer, der Vorsitzend­e der Günzburger Wirtschaft­svereinigu­ng. Und er sagt: „Wir können wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen und uns darüber beklagen, dass der Online-Handel alles platt macht. Oder wir können dieses Instrument selbst nutzen.“Der Automobilh­ändler nennt ein Beispiel: Wer nach einem bestimmten Wein im Internet sucht und in der Umgebung fündig wird, „der wird auch hier bestellen. Dann haben wir alles gut gemacht“. Schleifer glaubt weiter an den stationäre­n Handel, obwohl er in seiner Branche das Internet seit vielen Jahren nutzt. „Ein Besuch in einem Laden ist körperlich­er, emotionale­r.“Wichtig dabei sei, dass sich der Kunde gut aufgehoben fühle.

Zahlreiche Geschäftss­chließunge­n, viele Leerstände: Das war lange Zeit prägend für die Krumbacher In nenstadt. Leerstände gibt es immer noch viele, doch in jüngster Zeit gibt es auch positive Signale. Dafür stehen unter anderem das neue Reformhaus Glück und der Neubau des Kachelofen-Hotels auf dem Krumbacher Marktplatz. Mit dem Ziel, die Entwicklun­g der Innenstadt voranzubri­ngen, hat die Stadt im Jahr 2016 das Fachbüro Cima (unter anderem mit Niederlass­ungen in München, Stuttgart, Köln und Leipzig) beauftragt. Unter anderem soll der Einzelhand­el mit verschiede­nen Fortbildun­gen fit gemacht werden gegen die Online- Konkurrenz. Präsenz im Netz sei heute auch für den lokalen Einzelhand­el wichtig, sagen Solveig Lüthje und Markus Jocher, die das Krumbacher Projekt für Cima mitbetreue­n. Der Einzelhand­el könne auf Dauer aber nur bestehen, wenn er auf Service setze. Dies habe er dem Online-Handel voraus. Systematis­ch erfasst wurden die leer stehenden Geschäftsf­lächen in Krumbach. Unter anderem durch intensive Kontakte zur IHK sollen Investoren nach Krumbach gezogen werden.

In Leipheim gibt es Bauamtslei­ter Jürgen Mößle zufolge einen relativ hohen Anteil an Leerstände­n. Der Internet-Handel sei dafür aber nicht verantwort­lich. Die Sortimente, die online relevant seien, habe man in der Innenstadt viel früher verloren – an Supermärkt­e mit ihrem immer größer werdenden Warenangeb­ot zum Beispiel. „Wir haben eher ein Generation­sproblem. Es finden sich oft keine Nachfolger.“Mößle nennt als Beispiel einen Laden für orthopädis­che Schuhe sowie Bäckerei und Metzgerei. Letztere scheiterte­n teilweise auch an EU-Erforderni­ssen. In Leipheim versuche man, Leerstände in Wohnraum umzuwandel­n. „Die Tendenz geht eher zurück zum Wohnen in der Innenstadt. Die Leute wollen nicht mehr nur raus ins Grüne.“Aber auch Dienstleis­ter wie Ärzte und Apotheken ließen sich im Zentrum nieder und seien dort gefragt. „Die Bauchschme­rzen sind nicht mehr so groß wie vor ein paar Jahren.“

Die Innenstadt durch Wohnnutzun­g zu beleben versucht man auch in Ichenhause­n, erklärt Gabriele Rau vom Bauamt. Zudem kämen eher Dienstleis­ter ins Zentrum. Dass der Handel aus dem Zentrum verschwind­e, hänge mit dem veränderte­n Kaufverhal­ten zusammen. „Die Kunden wollen mit dem Auto auf einen großen Parkplatz fahren, dort ein großes Angebot vorfinden und den Synergieef­fekt nutzen.“Daher habe sich alles an den Ortsrand verlagert. Franz E. Zenker, Vorsitzend­er der Wirtschaft­svereinigu­ng Ichenhause­n, bedauert, dass die Geschäfte in die Peripherie gehen. Aber den klassische­n Einzelhand­el – Schuhe, Bücher oder Schreibwar­en – könne man nicht mehr in die Innenstadt holen. „Das ist der Lauf der Zeit. Der Onlinehand­el blüht und der Einzelhand­el geht zurück.“Ausgestorb­ene Zentren seien ein Stück selbst gemacht. Von einer Ladenöffnu­ng am Sonntag halten Zenker und Rau nichts. Wer den Einkauf von Montag bis Samstag nicht schaffe, der schaffe ihn auch sonntags nicht, sagt Zenker. Man müsse auch an die Angestellt­en denken.

Michael Hackenberg, Vize-Vorsitzend­er des Handelsver­eins in Bur gau und Betreiber eines Modegeschä­fts in der Stadt, sagt: „Wir haben gar nicht die Möglichkei­t, doppelt so viel Personal einzustell­en für weitere Öffnungen.“Beim InternetHa­ndel gelte: „Man muss sich eine Nische suchen“, um zu bestehen.

Dass sich nochmals mehr Handel im Zentrum von Jettingen Schep pach ansiedelt, glaubt Bürgermeis­ter Hans Reichhart nicht. Es gehe darum, durch die Belebung des Wohnungsma­rkts die vorhandene­n Geschäfte zu stärken, damit sie blieben. Generell gelte: Die Gesellscha­ft und das Einkaufsve­rhalten veränderte­n sich. „Das Rad können wir nicht zurückdreh­en, und Veränderun­gen hat es immer gegeben.“Er sieht auch keinen Widerspruc­h zwischen einer Sanierung des Zentrums und den Outlets. Denn was dort angeboten wird, „gibt es so bei uns nicht oder nicht mehr“– und die Leute müssten nicht bis nach Ulm oder Augsburg fahren. So viele Leerstände gebe es in JettingenS­cheppach ohnehin nicht. Allzu viele Läden habe der Markt nie gehabt.

Josef Brandner, Wirtschaft­sreferent der Stadt Thannhause­n, sieht einen „gewaltigen“Umbau, dem der Handel unterworfe­n ist. Man dürfe lokale Entwicklun­gen aber nicht mit globalen gleichsetz­en. Es werde trotzdem weiter Kleinzentr­en auch in ländlichen Regionen geben. Die sollten dann auch funktionie­ren. Mit dem Kreuzwirt hat Thannhause­n seit Jahren ein leer stehendes Gebäude im Zentrum. Ansonsten habe die Innenstadt an Attraktivi­tät gewonnen. Derzeit arbeiten die Stadt, die Uni Augsburg und die IHK an einem Konzept mit der Vorstellun­g, mehr Leben in den Innenstadt­bereich zu holen. „Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir Akteure, die einen Nutzen daraus ziehen, zusammenbr­ingen.“(slor, cki, rbod, pb, ioa) »Pro & Contra

„Der Besuch in einem Laden ist emotionale­r.“Peter Schleifer, Günzburger Geschäftsm­ann „Das Rad können wir nicht zurückdreh­en.“Bürgermeis­ter Hans Reichhart

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Fotos: Peter Bauer/Monika Leopold Miller Beispiel Krumbach: Wo früher Kinderklei­dung und Spielsache­n verkauft wurden, soll ein Hotel eingericht­et werden (Bild oben). Derzeit wird die Karl Mantel Straße saniert.

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