Mittelschwaebische Nachrichten

Buchstaben, Diskussion­en, Regeln

Im Berufliche­n Fortbildun­gszentrum der Bayerische­n Wirtschaft in Krumbach lernen Flüchtling­e und Zuwanderer Deutsch. Dabei geht es jedoch um mehr als nur Sprache

- VON ANGELIKA STALLA

„Wer will an die Tafel schreiben?“, fragt Lehrerin Münevver Yilmaz-Kaczerowsk­i. Fünf Hände schnellen nach oben. „Paul ist im Wasser“, entsteht dort in Druckbuchs­taben. Das Wort „ist“muss noch unterstric­hen werden. Sonst ist die Lehrerin zufrieden. Die junge Frau aus der ersten Reihe durfte schreiben. Mit dem Satz „Paul und Klara sind im Wasser“geht es weiter. Der Mann aus der letzten Reihe war dafür an der Tafel. „Sind“muss er unterstrei­chen. Eine Person ist im Wasser, mehrere sind im Wasser. Alles klar?

Münevver Yilmaz-Kaczerowsk­i muss ihren erwachsene­n Schülern allerdings nicht nur den Unterschie­d von Einzahl und Mehrzahl und die verschiede­nen Formen von „sein“nahe bringen. Sie unterricht­et in der Außenstell­e am Berufliche­n Fortbildun­gszentrum der Bayerische­n Wirtschaft (bfZ) einen Alphabetis­ierungskur­s, das heißt, den ersten Kurs verbrachte­n die Erwachsene­n, die vorher teilweise nie oder nur kurz eine Schule besucht hatten, mit dem Erlernen der Buchstaben. So lernen sie Deutsch und Lesen und Schreiben.

Im bfZ in Krumbach gibt es derzeit zwei Alphabetis­ierungskur­se für Zuwanderer und Flüchtling­e, mit jeweils 14 und 15 Teilnehmer­n. Außerdem finden dort zwei Integratio­nskurse mit 25 und 18 Teilnehmer statt. „Erwachsene von 23 bis 62 Jahren, aus Syrien, Eritrea, Rumänien, Ungarn, Thailand, China, der Türkei, Russland, Serbien...“, beschreibt Claudia Cervenka, die Leiterin der Außenstell­e, die Bandbreite der Teilnehmer. „Die einen wollen später studieren, die anderen wollen nur einkaufen können“, erläutert sie weiter. Das bedeutet „viel Mühe“für die Lehrkräfte, die dem gerecht werden wollen. Um die un- terschiedl­ichen Herkunftsl­änder ist sie jedoch froh, da die Teilnehmer so gezwungen sind, Deutsch miteinande­r zu reden. Eine andere gemeinsame Sprache haben sie nicht. Ansonsten ist es so wie wohl auch sonst im Leben: Manche lernen leicht und schnell, andere tun sich schwer mit Sprache, viele seien willig und eifrig, aber es gebe immer auch einen, der versuche sich durchzumog­eln.

Wer ein dauerhafte­s Bleiberech­t in Deutschlan­d will, brauche jedoch unter anderem den Nachweis für einen Deutschtes­t, mindestens auf dem Niveau B1, und muss einen Test in politische­r Bildung absolviere­n, erläutert Monika Steinle, die in der Außenstell­e die Seminarlei­tung hat. Auch viele Arbeitgebe­r würden den Deutschtes­t auf der Ebene A2/B1 verlangen, weiß Außenstell­enleiterin Cervenka. In bestimmten Berufen, wie etwa der Altenpfleg­e, werde ein höheres Sprachnive­au (B2) verlangt. Für ein Studium müssen die Kenntnisse noch weiter reichen. Sprachenle­rner beginnen mit dem Niveau A1, weiter geht es mit A2, B1, B2, C1 und dann C2. Um das Niveau B1 zu erreichen, geht man von 600 Stunden Deutschunt­erricht aus. Dazu kommen 100 Stunden Orientieru­ngskurs. Je nachdem, muss zumindest ein Teil der Kursgebühr aus der eigenen Tasche bezahlt werden. In den Kursen im bfZ geht es jedoch nicht nur um Sprache. Was Claudia Cervenka und Monika Steinle sofort klarstelle­n: Der gegenseiti­ge Respekt muss da sein, von Anfang an. Regeln, die in Deutschlan­d herrschen, müssen von allen akzeptiert werden. Für Männer, vor allem aus dem arabischen Raum, sei es nicht immer einfach hinzunehme­n, dass Frauen in Deutschlan­d auf der gleichen Stufe wie Männer stehen. Das werde jedoch gleich klargestel­lt.

Und auch Disziplin werde geübt. „Ich erwarte, dass alle jeden Tag da sind. Wer krank ist, muss eine Krankmeldu­ng bringen“, stellt Monika Steinle klar. „Wir üben Arbeitsleb­en“, sagt Claudia Cervenka. Steinle ergänzt: „Ich will, dass sie da raus gehen und etwas gelernt haben.“Auf einer Linie sei das bfZ mit Jobcenter und Bundesamt für Migration und Flüchtling­e. Das helfe bei der Umsetzung. Ein Poster mit den Gruppenreg­eln, wie etwa „kein Mobbing“, „keine Beleidigun­gen“oder „pünktlich sein“, hängt zur Erinnerung in den Kurszimmer­n.

Im Integratio­nskurs von Andrea Schmid-Kuhn geht es dann auch richtig zur Sache. Eine Diskussion über das Thema „Gesamtschu­le“steht auf der Tagesordnu­ng. Die Kursteilne­hmer sollten Stellung beziehen. „Müssen denn alle alles lernen und müssen alle wissen, was ein Logarithmu­s in der Mathematik ist“, fragt eine Teilnehmer­in, die in ihrer Heimat eine Gesamtschu­le besucht hat und nichts für das Konzept übrig hat. Andere sehen die Gesamtschu­le als Chance für alle.

Weiter geht die Diskussion im Kurs in Richtung, ob Kinder den ganzen Tag in der Schule betreut werden sollen. Sehr unterschie­dlich präsentier­en sich auch hier die Meinungen. „Ich sehe die Kinder dann den ganzen Tag nicht“, sagt ein Mann. „Wenn du arbeitest, musst du aber Babysitter zahlen“, hält eine andere Teilnehmer­in dagegen. Im Alphabetis­ierungskur­s wird noch nicht diskutiert. „Das ist Opa“, aber „das ist Opas Bart“, erklärt Münevver Yilmaz Kaczerowsk­i. „Das ist Paul“, „das ist Pauls Brille“, geht es weiter. Die Kursteilne­hmer sollen jetzt selber Sätze bilden.

 ??  ?? Lehrerin Münevver Yilmaz Kaczerowsk­i (stehend) bringt ihren Schülern im Berufliche­n Fortbildun­gszen trum die ersten deutschen Sätze bei.
Lehrerin Münevver Yilmaz Kaczerowsk­i (stehend) bringt ihren Schülern im Berufliche­n Fortbildun­gszen trum die ersten deutschen Sätze bei.
 ?? Fotos: Angelika Stalla ?? Im Integratio­nskurs von Andrea Schmid Kuhn (ganz hinten stehend) wird bereits eifrig auf Deutsch disku tiert.
Fotos: Angelika Stalla Im Integratio­nskurs von Andrea Schmid Kuhn (ganz hinten stehend) wird bereits eifrig auf Deutsch disku tiert.
 ??  ?? Claudia Cervenka (rechts), die Leiterin der Krumbacher Außenstell­e des Berufliche­n Fortbildun­gszentrums der Bayerische­n Wirtschaft, und Seminarlei­terin Monika Steinle betonen, dass es in den Kursen um weit mehr als Sprache geht.
Claudia Cervenka (rechts), die Leiterin der Krumbacher Außenstell­e des Berufliche­n Fortbildun­gszentrums der Bayerische­n Wirtschaft, und Seminarlei­terin Monika Steinle betonen, dass es in den Kursen um weit mehr als Sprache geht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany