Mittelschwaebische Nachrichten
Wo fast das ganze Dorf Theater spielt
Wie in Burg vor 25 Jahren alles begann und was die Theatergemeinde in der Zeit zwischen den Aufführungen tut
Burg Ein Dorf spielt Theater. Das scheint auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches zu sein. Immerhin haben sich landauf landab in fast allen Ortschaften kleine Theatergemeinden gebildet, als Klub oder Verein, und eine gute Handvoll spielfreudiger Bürger beglückt zur kalten Jahreszeit mit mehr oder minder lustigen Komödien die Dorfbewohner und auswärtige Freunde.
Doch in Burg ist alles anders. Denn in Burg spielen nicht ein paar Laiendarsteller, in Burg spielt das ganze Dorf – fast jedenfalls. Denn nicht alle sind mit dabei, räumt der Erste Vorsitzende Bernhard Horn ein, der es sehr genau nimmt. „Burg hat 238 Einwohner, es machen aber nur rund 200 Personen mit.“Dieses Phänomen erklärt der Intendant, Autor und Manager Horn aus der Geschichte des „Burg-Theaters“heraus, das in diesem Sommer sein erstes Jubiläum feiert: Vor 25 Jahren dachten sich Burger Bürger ein Festspiel aus, um den Abschluss der gelungenen Dorferneuerung nicht nur mit den üblichen Festreden und Bierzeltfeiern zu begehen, sondern etwas ganz Besonderes zu schaffen: ein Theaterstück. Der Ort war schnell gefunden: Eine Art natürliches Amphitheater, unter dem sich aber, so erinnert sich Xaver Deisenhofer – ein Mann der ersten Stunde – auch eine wilde Schutthalde befand. Die Begeisterung, die vor einem Vierteljahrhundert entfacht wurde, ist bis heute nicht erloschen, ganz im Gegenteil: Aus den rund 60 Theaterleuten von 1992 sind inzwischen rund 200 geworden, von denen ein Großteil als Schauspieler agiert. Der „Burgstall“, ist seither die Spielstätte der Burger, in der sich über die Jahre eine permanente Kulisse etabliert hat, die allerdings für jedes Stück erweitert, umgebaut, neu interpretiert wird. Die Burger sind klug genug, sich und ihr Publikum nicht über zu strapazierten. Sie spielen nur alle vier Jahre und halten so das Feuer der Begeisterung aufrecht: Niemand wird über Gebühr belastet.
Kulissenbau, Aufführung, Organisation werden von der Dorfgemeinschaft, die identisch ist mit der Theatergemeinschaft, in solidarischer Arbeit mit Vergnügen geleistet. Über Jahre spielten die Burger verschiedene historische Stücke, immer aus der Region. Doch irgendwann gingen die Vorlagen aus. Als Bernhard Horn für die Aufführungen 2015 die Leitung übernahm, war ihm nach intensiver Suche bald klar, dass es kein Stück gibt, das den Ansprüchen der Burger gerecht wird. Schließlich wollen die nicht nur Getränke und Eintrittskarten verkaufen oder sich als Kulissenmaler betätigen, nein die Burger wollen spielen! So hat sich Bernhard Horn hingesetzt und selbst ein Stück geschrieben. Es sind Sketche, die das Leben der Nachkriegszeit beleuchten. Der Riesenerfolg bestätigte seine Idee. Auch das neue Stück, das 2019 aufgeführt wird, schreibt er selbst. „Jeder, der eine Sprechrolle haben will, kann sich bei mir melden. Ich habe schon 70 Anmeldungen und jeder bekommt die für ihn passende Rolle zugeschrieben.“ Dazu kommen noch die zahlreichen Komparsen, die die weitläufige Bühnenlandschaft bevölkern werden.
Horn plant die Burgstall-Aufführungen nach der Devise „nach dem Stück ist vor dem Stück“und hat schon zwei Jahre vor der Premiere die wesentlichen Eckpunkte fixiert. So können die Burger ganz gelassen die Um- und Ausbauarbeiten auf ihrer Naturbühne angehen. „Wir haben zum Glück einen Fachmann in unseren Reihen, der die Pläne machen kann. Als Mann mit vielfachen Ausbildungen und Mitarbeiter im Landratsamt kann er unser Baukonzept planerisch korrekt umsetzen.“
In der neuen Saison wird das alte kleine Wirtshaus durch einen Neubau ersetzt, der wie auch die andern Bauten, zum Publikum hin ganz geöffnet werden kann und so als eine Art Guckkastenbühne fungieren wird. Damit haben die Burger mit einer Kirche, die sich mit einfachen Mitteln zu einem multifunktionalen Großraum umfunktionieren lässt, einer Schule und einem Wohnhaus die wesentlichen Bestandteile eines Dorfes als Einzelspielstätten zur Verfügung. Die haben sie alle in geinmeinschaftlicher Arbeit errichtet. „Es ist gut, dass quasi das ganze Dorf mitmacht, so haben wir auch alle Handwerksbereiche abgedeckt, die für den Bühnenbau nötig sind. Wir haben Elektriker, Maler und Zimmermann, Maurer, Spengler, Raumausstatter und alle anderen Gewerke. Unsere Gemeinschaft funktioniert reibungslos.“
Das liegt sicher auch daran, dass es für die Konzeption einen Masterplan gibt, der schon kurz nach der letzten Aufführung vom „Chef“Bernhard Horn erstellt wird. Sobald der Plan genehmigt und das Baumaterial geliefert ist, wird ein Arbeitswochenende bestimmt. Alle Burger, die mitmachen, werden per Whatsapp oder Brief benachrichtig. Bernhard Horn und sein Stellvertreter Karl Högel kommen Samstag um sieben Uhr in den Burgstall und bereiten alles so vor, dass die Handwerker um acht Uhr mit der Arbeit loslegen können. „Natürlich gibt es eine deftige Brotzeit, Mittagessen und von den Burgerinnen selbst gebackene Kuchen zum Kaffee,“erläutert er. Die Bauaktion wird auch zum kameradschaftlichen Erlebnis. Für den Kulissenbau haben die Burger in der vergangenen Saison rund zehn Samstage benötigt, für die Aufführungen 2019 wurde bereits an vier Wochenenden gearbeitet.
Aber auch unter der Woche kommen Burger in den Burgstall, um an ihrer speziellen Aufgabe weiterzumachen. Das kann jeder machen nach seinem persönlichen Stundenplan und seiner Arbeitslust. Wenn er zur Bühne kommt, darf er aber ziemlich sicher sein, dort auf andere handwerklich geschickte Theaterfreunde zu stoßen. Eine kleine, gesellige Runde, die ein gemeinsames Interesse hat und harmonisch zusammenarbeitet, ohne Zeitdruck. Denn bis im März 2019 die Proben für das neue Stück beginnen, haben sie noch viel Zeit, eine absolut perfekte Kulisse zu schaffen.
Es stehen auch noch allerlei Herausforderungen an, über die Bernhard Horn nicht all zu viel verraten will. Nur so viel: Es wird einen Ortswechsel geben, bei dem auch die Naturkulisse betroffen sein wird. Er hofft, dass die 70 Schauspieler mit Sprechrollen bis dahin ihren Text können. Immerhin haben sie den Winter über Zeit, ihn sich einzuprägen. Was letztendlich am Ende der je nach Wetterlage und Nachfrage zwölf bis 16 Aufführungen rezitiert wird, kann schon abweichen vom Urtext. „Einmal hat das Stück eine halbe Stunde länger gedauert, weil ein paar Spieler sich richtig in Begeisterung geredet haben,“erklärt Horn. Das Burgstalltheater als Impro-Theater, auch das ist erlaubt und gehört mit zu den Geheimnissen des phänomenalen Erfolgs eines kleines Dorfes, das Theater spielt.