Mittelschwaebische Nachrichten

Wir waren’s nicht!

Oder? Als vermeintli­che Öko-Musterschü­ler zeigen wir Deutschen gern mit dem Finger auf andere. Dabei wissen wir, dass unser billiger Konsum nicht tragbar ist – und machen trotzdem immer weiter. Warum?

- / Von Matthias Zimmermann

Es ist manchmal wie verflixt. Da hat man etwas die ganze Zeit vor seiner Nase und sieht es nicht. So ist das wohl auch bei dieser Geschichte. Das wäre zumindest die positive Interpreta­tion. Positiv, weil das hieße ja: Wir machen gerade ziemlich viel verkehrt. Aber eigentlich sind wir ja keine schlechten Menschen. Wir wissen es halt nicht besser. Wie gesagt, das ist die positive Sicht der Dinge.

Das Problem ist nur leider so groß, dass es eigentlich nicht zu übersehen ist. Man muss nur die Augen aufmachen, ganz egal, wo man gerade ist. Man sieht es im eigenen Wohnzimmer, im Garten oder auf dem Balkon; man sieht es, wenn man zum Einkaufen geht oder den Müll rausbringt; ja sogar, wenn man in den Urlaub fährt, begleitet es uns ständig. Das Problem ist: Wir verbrauche­n unsere Erde in rasendem Tempo. Und wenn man unser Verhalten nicht so nachsichti­g positiv beurteilt, könnte man sagen, wir wollen es nicht sehen. Denn: Natürlich wissen wir das längst, man hört es ja ständig. Aber es gibt eben auch so viele Möglichkei­ten, unser schlechtes Gewissen zu beruhigen, dass man die immer lauter werdenden Warnrufe bequem als ÖkoIdeolog­ie, Gutmensche­ntum oder schlicht Spinnerei abtun kann.

Schließlic­h sind wir ja nicht China, das als weltgrößte­r Kohleverhe­izer die Atmosphäre zerstört. Ein Land, das so wenig Rücksicht auf die Natur nimmt, dass sogar die Luft in seinen Städten lebensgefä­hrlich ist. Oder die USA, deren verantwort­ungsloser Präsident jetzt das Klimaabkom­men von Paris aufgekündi­gt hat. In Amerika fahren sie riesige Spritschlu­cker, lassen immer das Licht brennen und überall die Klimaanlag­e laufen. Weiß doch jeder. Wir Deutschen dagegen, wir haben die Klimakanzl­erin; wir machen die Energiewen­de – die anderen Länder haben für so etwas noch nicht einmal ein Wort! Wir dämmen und isolieren alles, vom Hochhaus bis zur Hundehütte; wir sind Weltmeiste­r im Mülltrenne­n und Recycling – auch wenn wir pro Kopf so viel Müll produziere­n wie kaum eine andere Nation – und wenn es irgendein Land gibt, in dem Initiative­n Erfolg haben wie jene, seinen geliebten „Coffee to go“in den mitgebrach­ten Thermosbec­her abfüllen zu lassen und nicht in die Wegwerfwar­e aus Pappe, dann wohl doch bei uns! Also wer sieht da was nicht?

Gefühlt sind wir nicht schuld. Oder zumindest nicht mehr als alle anderen. Aber mit Gefühl ist dem Problem nicht beizukomme­n. Nur das deutsche Klima und nur die deutsche Umwelt zu retten wird nicht funktionie­ren. Doch selbst wenn das möglich wäre: Wir schaffen nicht mal das. Darum erst Mal ein Blick aufs Ganze, Mathematik statt Gefühl: Aktuell leben gut 7,5 Milliarden Menschen auf der Welt. Bis zum Ende des Jahrhunder­ts werden es bei gleichblei­bendem Wachstumst­empo rund elf Milliarden sein, die von dem leben müssen, was auf der Erde noch da ist oder laufend von der Natur nachgebild­et wird – Biomasse, Sauerstoff, sauberes Wasser,… Das ist das eine.

Das andere ist: die Begrenzthe­it der Erde. Vom Ende des Ölzeitalte­rs reden wir seit Jahrzehnte­n – auch wenn noch immer neue Ölfelder entdeckt oder wie etwa durch Fracking ganz neue fossile Energieque­llen erschlosse­n werden. Was uns erst seit einigen Jahren bewusster wird, sind die Belastungs­grenzen unseres Ökosystems. Der Planet ist mittlerwei­le bis in den letzten Winkel vermessen. Dutzende Beobachtun­gssatellit­en umkreisen ihn permanent und liefern einen nie enden- Strom an Daten – vom Zustand der Böden und der Strömung der Meere bis zur Größe der Wälder. Damit können die Wissenscha­ftler recht genau bestimmen, wie es um die Erde steht. Im Prinzip eine Buchhalter­tätigkeit: sehen, was da ist, und berechnen, was damit produziert werden kann. Auf einem Feld kann man Getreide anbauen,

Ab dem 2. August leben wir von den Reserven der Erde

Wald wachsen lassen oder es mit Häusern und Straßen bebauen. Aber eben nicht alles gleichzeit­ig.

Gemacht hat so eine Berechnung Mathis Wackernage­l, Pionier des sogenannte­n ökologisch­en Fußabdruck­s, nach Daten etwa der Uno und der Welternähr­ungsorgani­sation. Demnach gibt es auf der Erde insgesamt gut zwölf Milliarden Hektar produktive Fläche – rund ein Viertel der Erdoberflä­che. Dies sind „Land- und Wasserfläc­hen, die in der Lage sind, ökologisch­e Dienstleis­tungen für den menschlich­en Gebrauch zu liefern“, also Acker- und Weideland, Fischgründ­e, Wald, aber auch bebautes Land.

Zwölf Milliarden. Und jetzt zur Dimension des Problems, vor dem wir stehen: Um den Konsum aller Menschen allein im Jahr 2011 zu decken, hätten wir 18,5 Milliarden Hektar benötigt. Eine Lücke von 6,5 Milliarden Hektar. Zum Vergleich: Afrika ist etwa 3 Milliarden Hektar groß. Das Defizit geht auf Kosten des Ökosystems, das unser Überleben sichern soll. Seitdem ist unser Konsum weiter gewachsen – und die Weltbevölk­erung auch. Verschwund­en sind in den vergangene­n 100 Jahren dagegen so viele Tier- und Pflanzenar­ten, wie zuletzt beim Aussterben der Dinosaurie­r.

Bereits am 2. August dieses Jahres wird die Menschheit alle Ressourcen aufgebrauc­ht haben, die von der Erde heuer erneuert werden. Von da an zehren wir von der Substanz. Deutschlan­d liegt bei den Berechden zum Ressourcen­verbrauch übrigens im weltweiten Spitzenfel­d: Wollten alle Menschen auf der Welt so leben wie der deutsche Durchschni­tt, bräuchten wir 3,2 Erden. Wie gesagt, Buchhalter­tätigkeit.

Das große Bild, die einfache Mathematik – beides leider eher abstrakte Dinge. Wenn man sehr unbewusst die Annehmlich­keiten des Alltags in einem modernen, industrial­isierten Land genießt, wird man nicht jeden Tag daran erinnert, dass nichts von dem selbstvers­tändlich ist – und für den größten Teil der Menschen auf dem Planeten unerreichb­ar. Solange noch nicht all die Menschen aus den Gebieten der Erde unterwegs sind, die wegen Ressourcen­auszehrung, falscher Bewirtscha­ftung und Klimawande­l unbewohnba­r werden, kann man hier Bio-Flugobst vom anderen Ende der Welt kaufen und sich im Übrigen der Illusion hingeben, alles sei schon nicht so schlimm.

Zeit also, heranzuzoo­men an uns und jenen Alltag. An Gelbe Tonnen und das allgegenwä­rtige Plastik; an das Grillfest mit mehr Fleisch, als alle zusammen essen können und den Flug in den Kurzurlaub – und damit zu der Frage, wie es sein kann, dass all dies in den vergangene­n Jahrzehnte­n scheinbar so viel billiger geworden ist.

Man kann es so plakativ formuliere­n wie Evi Hartmann, Professori­n für Betriebswi­rtschaft an der Friedrich-Alexander-Universitä­t Erlangen-Nürnberg, die sich mit Globalisie­rung und Moral beschäftig­t und jüngst ein Sachbuch mit dem Titel „Wie viele Sklaven halten Sie?“

veröffentl­icht hat. Ihre Anklage: Das meiste von dem, was wir eher unbedacht konsumiere­n, ist nur deswegen so billig, weil es unter sklavenart­igen Arbeitsbed­ingungen hergestell­t wurde. Handys oder Tablets zum Beispiel, für die man seltene Mineralien benötigt, die in Afrika auch Kinder aus der Erde kratzen müssen. Zusammenge­baut werden die Geräte dann meist in China, einungen Regeln – aber auch Werte und Einstellun­gen – nicht über nationale oder kulturelle Grenzen hinweg geteilt werden. Die Luft, die Meere, das Wasser – was allen gehört, kostet scheinbar nichts. Die industrial­isierte Landwirtsc­haft ist davon im Übrigen nicht ausgenomme­n.

Vor allem aber ist diese Art der kapitalist­ischen Kostensozi­alisierung möglich, solange zwischen dem Bewusstsei­n der Konsumente­n und ihrem Handeln so ein Graben klafft. Wir wissen alles. Und tun – wenig. Auch Deutschlan­d wird wohl seine selbst gesteckten Klimaziele für 2020 verfehlen. Auf das Verspreche­n, es durch mehr Energieeff­izienz in Zukunft besser zu machen, sollte man sich eher nicht verlassen. In aller Regel führt mehr Effizienz vor allem zu: mehr Verbrauch. Treffend beschriebe­n hat dies der Soziologe Michael Carolan in seinem Sachbuch „Cheaponomi­cs – warum billig zu teuer ist“

Egal ob Kohlekraft­werke, Energiespa­rlampen oder Autos: Wenn die Technik effiziente­r wird, wird der Konsum billiger. Und wenn Menschen an einer Stelle Geld sparen, tun sie was? Sie steigern an einer anderen ihren Konsum …

Genauso wirkungsvo­ll ist eine andere Ausrede: Ich kann nichts tun, das müssen Regierunge­n regeln. Außerdem ändert mein Konsum ja nichts am Problem. Ich verzichte – und zahle trotzdem für die Folgen des Konsums der anderen. Kurzfristi­g stimmt das sogar. Wenn die Kinder die Schokolade­nschublade im Küchenschr­ank plündern, würde man ihnen das als Ausrede wohl eher nicht durchgehen lassen.

War’s das also? Die Wahl, ob man der Situation ohnmächtig oder gleichgült­ig gegenübert­reten will? Vielleicht gibt es ja doch eine positive Sicht der Dinge. Wir kennen ja nicht nur das Problem. Wir kennen ja auch die Lösung. Ausbrechen aus Gewohnheit­en. Mehr überlegen vor dem Konsum, weniger kaufen von dem scheinbar billigen Zeug. Dinge lange nutzen und reparieren, wenn sie kaputtgehe­n. Dann erst recyceln. Viel wichtiger aber: Niemand zwingt uns, so zu leben, wie wir es tun. Und es lebt sich tatsächlic­h besser ohne schlechtes Gewissen.

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