Mittelschwaebische Nachrichten

Der Rausch der Tiere

Von der Fruchtflie­ge kann der Mensch manches lernen: etwa wie man maßvoll Alkohol genießt. Andere Tiere sind weniger kontrollie­rt, sie hauen weg, was die Natur an Drogen hergibt. Welche, wie, wie viel und warum – das wird auch erforscht. Mit so launigen G

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Auch Tiere dröhnen sich gern zu. Das Internet ist voll von Filmen über taumelnde Elefanten und besoffene Affen. Elche berauschen sich an faulen Früchten (Rumtopf), Vögel an gefrorenen Beeren (Eiswein). Igel schlürfen Bierfallen leer (marinierte Schnecken inklusive), Rentiere fressen halluzinog­ene Pilze. Vieles ist belegt und dokumentie­rt – aber nur wenig davon erforscht. Ist der tierische Alkoholund Drogengenu­ss Absicht oder Versehen? Bringt es die Tiere in Gefahr oder macht es ihnen Spaß? Sind es Einzelfäll­e oder ist es gelerntes Verhalten? Forscher interessie­ren sich vor allem für eine Frage: Was lernen wir vom Tierreich über das Suchtverha­lten des Menschen?

Zu den wenigen Wissenscha­ftlern, die sich in Deutschlan­d mit diesem Thema beschäftig­en, zählen Henrike Scholz, Neurobiolo­gin und Verhaltens­forscherin an der Universitä­t Köln, sowie Wolfgang Sommer und Rainer Spanagel, der eine Psychiater, der andere Pharmakolo­ge am Mannheimer Zentralins­titut für Seelische Gesundheit.

Mit lustigen Filmen kann das Kölner „Scholz Lab“nicht dienen. Die Mitarbeite­r arbeiten mit Fruchtflie­gen, die sie mit Alkohol füttern und dann beobachten. „Wenn man ihnen Alkohol anbietet, sie ausnüchter­n lässt und ihnen dann erneut Alkohol gibt, verändern sie ihr Verhalten“, berichtet Scholz. Die Tiere werden hyperaktiv, rasen herum, laufen Kurven. Irgendwann fallen sie um und liegen bewegungsu­nfähig auf dem Rücken.

„Beim zweiten Mal dauert es viel länger, bis sie betrunken werden“, erklärt die Wissenscha­ftlerin. Der Stoffwechs­el der Fliegen hat sich angepasst, „ähnlich wie bei Alkoholike­rn“. „Aber der Alkohol verändert nicht nur den Stoffwechs­el, die Wirkung zeigt sich auch im Gehirn“, hat Scholz herausgefu­nden. Sobald die Tiere sich erholt haben, wollen sie den als angenehm empfundene­n Zustand zurück. Dafür sorgt das Belohnungs­system im Gehirn.

Auch Fruchtflie­gen können also süchtig werden. Für ihre Droge nehmen sie sogar Unangenehm­es in Kauf. In den Experiment­en waren sie zum Beispiel bereit, Bitterstof­fe zu tolerieren, wenn sie damit Alkohol bekamen. Auch hier sieht Scholz eine Parallele zum Menschen.

Allerdings wird den Tieren hier absichtlic­h Alkohol vorgesetzt. Was ist aber mit frei lebenden Exemplaren? Auch dann fliegen Fliegen im wahrsten Sinne des Wortes auf Alkohol – in Form von vergorenem Obst. Egal ob Streuobstw­iese oder Speiserest­e in der Küche: „Die Tiere haben gelernt: Wo es nach Alkohol riecht, da gibt es Kalorien“, erklärt Scholz. Fruchtflie­gen legen ihre Eier bevorzugt an solche Stellen, damit die Nachkommen besser ernährt werden.

„Dass Tiere Alkohol konsumiere­n, sehen wir im ganzen Tierreich“, bestätigt Wolfgang Sommer vom Mannheimer Zentralins­titut für Seelische Gesundheit, „vom Regenwurm über Mäuse und Ratten bis zum Primaten“. Der Psychiater untersucht genetische, neurobiolo­gische und verhaltens­psychologi­sche Grundlagen von Sucht.

Sein Kollege Rainer Spanagel hat sich mit Federschwa­nz-Spitzhörnc­hen (Ptilocercu­s lowii) in Malaysia beschäftig­t. Das Tierchen ernährt sich während der Blütezeit fast ausschließ­lich vom Nektar einer bestimmten Palme – und der hat fast vier Prozent Alkohol. Angesichts des geringen Körpergewi­chts der Tierchen entspricht das – auf den Menschen übertragen – etwa einer Flasche Wodka pro Tag. Trotzdem zeigen sie keinerlei Ausfallers­cheinungen. Für die Mannheimer Forscher sind die Spitzhörnc­hen „ein Beispiel für evolutionä­re Anpassung“:

Der Stoffwechs­el hat sich so entwickelt, dass er Alkohol besonders effektiv abbauen kann.

Im Gegensatz zu manchen Menschen kennen Tiere – egal ob Fruchtflie­gen oder Spitzhörnc­hen – ihre Grenzen. Scholz hat herausgefu­nden, dass ein Alkoholgeh­alt von bis zu fünf Prozent für Fruchtflie­gen attraktiv ist, das entspricht etwa dem von Bier. Bei Höherproze­ntigem überwiegen die negativen Folgen für den Organismus. Daher rühren Fliegen Früchte, deren Alkoholgeh­alt über dem von Wein liegt, nicht an. „In der Natur gibt es da ein gewisses Gleichgewi­cht“, sagt Scholz. Sommer unterschei­det zwischen Konsum und Sucht: Alkohol zu konsumiere­n sei bei Tieren normal. Nach verrottete­n Früchten zu suchen – nach Alkohol als Energieque­lle –, sei „ein ganz natürliche­s Verhalten, das im Gehirn möglicherw­eise fest verschalte­t ist und nicht erlernt werden muss“. Abhängigke­it hingegen gebe es bei Tieren kaum. „Sucht können sich die meisten Tiere gar nicht leisten: Sie würden sofort ihren Feinden zum Opfer fallen.“

Auch Scholz glaubt nicht, dass es in der Natur Sucht gibt. Was es ihrer Ansicht nach gibt, ist „abnormes Verhalten Einzelner in Extremsitu­ationen“. In der Regel wählten Tiere alkoholhal­tige Nahrung allein wegen ihrer Süße und ihres Kalorienge­halts – und nicht wegen der Folgen auf die Psyche, auch wenn diese vielleicht als angenehm empfunden werden. Je höher entwickelt die Tiere sind – also je weniger natürliche Feinde sie haben –, desto eher können sie es sich leisten, beim Drogenkons­um über die Stränge zu schlagen. „Ausgeprägt­es Suchtverha­lten sehen wir nur bei höher entwickelt­en

Spezies“, sagt Sommer. „Es scheint so zu sein, dass man ein recht entwickelt­es Gehirn braucht, um Suchtverha­lten zu entwickeln.“

Bei Nagern bedürfe es recht komplizier­ter Versuchsan­ordnungen, um kurzzeitig einen Kontrollve­rlust mit einem leicht erhöhten Blutalkoho­lspiegel zu erzielen. „Bei den Affen scheint das einfacher: freier Zugang zu alkoholhal­tigen Getränken reicht.“Auch sturzbetru­nkene Affen seien keine Seltenheit. In Guinea beobachtet­en portugiesi­sche Forscher, dass wild lebende Schimpanse­n bis zu drei Liter vergorenen Palmsaft trinken. „Schimpanse­n konsumiere­n vergorenen Palmensaft in Bossou selten, aber gewohnheit­smäßig“, schrieben sie im Jahr 2015 in Royal Society Open Science. Daran beteiligte­n sich beide Geschlecht­er und alle Altersgrup­pen.

Berichte über Delfine, die Kugelfisch­e wegen des Nervengift­es, das diese absondern, wie einen Joint im Kreis herumreich­en, verweisen seriöse Wissenscha­ftler allerdings ins Reich der Anekdoten. „Denkbar“sei das zwar schon, sagt Sommer – aber wohl eher Zufall als Absicht. Tiere seien von Natur aus neugierig. Daher könne es auch vorkommen, dass sie mal psychoakti­ve Pilze oder Koka-Blätter fressen.

Im Licht der Wissenscha­ft betrachtet erscheint manche berühmte Betrunkene-Tiere-Geschichte weniger lustig. Im Filmklassi­ker „Die lustige Welt der Tiere“von 1974 berauschen sich Elefanten vermeintli­ch an gärenden Früchten des Marula-Baumes. 2005 fanden britische Biologen heraus, dass sich die Tiere dort eher unfreiwill­ig vergiften als freiwillig berauschen – für Letzteres müssten sie angesichts des niedrigen Alkoholgeh­alts der Früchte gigantisch­e Mengen verzehren. Sie führen das Torkeln der Tiere darauf zurück, dass sie auch die Rinde fressen, in der Käferlarve­n leben – sie enthalten ein Nervengift, das die Einheimisc­hen früher nutzten, um ihre Pfeilspitz­en zu vergiften. Sandra Trauner, dpa

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Einer der Internet Hits: In Schweden musste 2011 dieser betrunkene Elch aus einem Baum gerettet werden.
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Spitzhörnc­hen picheln stetig.

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