Mittelschwaebische Nachrichten
Mit Düften gegen Krebs und Asthma?
Interview Professor Hanns Hatt hat sein Leben der Riechforschung gewidmet. Und in nahezu allen Geweben Duftrezeptoren entdeckt. Sie könnten Ansatzpunkte sein für neue Therapien
Vor zwei Jahren haben Sie und Ihr Team Ihrer Universität, der RuhrUni Bochum, einen Duft geschenkt – „knowledge“, den Duft des Wissens. Hat man, wenn man sich so lange mit Riechforschung beschäftigt hat wie Sie, den Wunsch, die gewonnenen Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen? Hatt: Ja. Unser Wissen in einen Duft einzubringen, war schon ein Wunsch von uns. In „knowledge“stecken die Erkenntnisse aus 20 Jahren Riechforschung. Unsere Idee war, unsere Universität zur ersten Uni der Welt zu machen, die einen eigenen Duft besitzt. Dabei sind wir ganz anders vorgegangen, als es sonst bei der Kreation von Düften üblich ist. Normalerweise haben Parfumeure ja hunderte Fläschchen mit verschiedenen Gerüchen, aus denen sie auswählen und einen neuen Duft entwickeln. Bei uns war es umgekehrt: Wir haben unsere Forschungsdaten gesichtet und geschaut, welcher Duft welche Wirkung hervorrufen kann. Dann haben wir unseren Rektor gefragt, was er sich wünschen würde, mit welcher „Duftgestalt“die Uni nach außen dargestellt werden soll. Er meinte, der Duft solle einerseits jung und dynamisch sein, andererseits aber auch stresslösend und kommunikationsfördernd. Nach dieser Vorgabe haben wir die passenden Düfte rausgesucht und eine Liste davon einem Parfumeur übergeben, der daraus den „Uniduft“entwickelt hat.
Was enthält er für Komponenten? Hatt: Zitrusdüfte sorgen für den jungen, dynamischen Anteil, Rosen-, Lavendel-, Gardeniendüfte für den entspannenden und beruhigenden Effekt. Als Basisnote ist so was wie Moschus drin, aber auch Hedion, das den menschlichen Pheromonrezeptor aktiviert. Es verändert stark die Kooperation zwischen Menschen und beeinflusst das menschliche Vertrauensverhältnis, auch wenn man den Duft gar nicht bewusst wahrnimmt.
Früher dachte man ja, man rieche nur mit der Nase, aber heute weiß man, dass es anders ist... Hatt: Wir waren vor 15 Jahren die Ersten, die gezeigt haben, dass es die Duftrezeptoren auch außerhalb der Nase in Spermien gibt. Inzwischen haben wir 20 neue Duftrezeptoren in Spermien und sogar einige der dazugehörenden Düfte im Vaginalsekret gefunden. Überhaupt haben wir seit damals fast alle Gewebe des Körpers angeschaut, von der Leber über die Niere bis zu Lunge oder Darm, und herausgefunden, dass von den 350 verschiedenen Duftrezeptoren, die wir in der Nase haben, bestimmte Kombinationen in sämtlichen Organen vorkommen, wobei die Kombinationen jeweils organspezifisch sind. Das heißt, in Lunge oder Leber findet man andere Duftrezeptor-Kombinationen als etwa im Darm. Ihre Funktion ist dabei unterschiedlich: Werden etwa Duftrezeptoren gesunder Hautzellen von den dazu passenden Düften stimuliert, sorgt das dafür, dass die Zellen schneller wachsen, Wunden schneller heilen und die Haut besser regeneriert. Im Darm werden Rezeptoren von Düften stimuliert, wie sie in Gewürzkräutern vorkommen – sie erhöhen die Darmmotorik, die Verdauung wird verbessert. In den Bronchien der Lunge gibt es Rezeptoren, die zur Erweiterung oder Verengung führen, wenn sie stimuliert werden. Und am Herzen haben wir Rezeptoren gefunden, die Herzfrequenz und Herzkraft verändern.
Wie muss man sich das vorstellen? Hatt: Der Rezeptor wird stimuliert durch Fettsäuren im Blut. Das heißt, das Herz „riecht“gewissermaßen die Fettsäuren und reagiert darauf.
Sie haben auch Rezeptoren auf Krebszellen entdeckt... Hatt: Ja. Viele Tumorzellen stellen bestimmte Riechrezeptoren her und tragen solche Rezeptoren oft sogar in großer Menge auf ihrer Oberfläche. Werden sie stimuliert, führt das fast immer dazu, dass sich die Zellen langsamer teilen und das Tumorwachstum zurückgeht, etwa beim Prostata-, Lungen-, Haut-, Blutoder Leberkrebs. Es ist ein neuer Ansatz, dass man auch an Tumordiagnostik und Tumortherapien mit Hilfe dieser bisher unbekannten Duftrezeptoren denken könnte.
Wie könnte eine Diagnostik über Riechrezeptoren funktionieren? Hatt: Beim Blasenkrebs zum Beispiel werden die Rezeptoren auch in den Urin abgegeben. Weist man die Rezeptoren also im Urin nach, könnte man so den Krebs diagnostizieren. Das ist ein großes Thema, das wir gerade bearbeiten. Glauben Sie grundsätzlich, dass man mit Düften Krebs oder andere Krankheiten positiv beeinflussen, vielleicht sogar heilen könnte? Hatt: Ja, davon bin ich absolut überzeugt. Man muss nur den Duftstoff an die Krebszellen bringen, das ist oft noch ein Problem. Aber für die Haut, für Darm und Blase könnte das gelingen. Man sollte zwar nicht zu früh Hoffnungen wecken – aber es handelt sich um eine neue Idee, die es sich lohnen würde, genauer anzuschauen. Gerade die Haut hat ein großes Potenzial für eine Beeinflussung mit Düften. Umgekehrt ist das aber auch ein Hinweis, aufzupassen, was man sich so alles auf die Haut sprüht. Wird der Geruchssinn generell unterschätzt? Hatt: Wir unterschätzen ihn massiv, aber wir können auch sagen, dass der Wissenschaft und den Menschen zunehmend bewusst wird, wie wichtig er ist, weil er sich hauptsächlich unbewusst abspielt. Mit jedem Atemzug nehmen wir Duftmoleküle auf, die dem Gehirn gemeldet werden und uns beeinflussen, Tag und Nacht, lebenslang. Es gibt keinen duftfreien Raum und keinen Atemzug ohne Informationsfluss über Duftmoleküle, die gerade um uns „herumschwirren“.
Sie sagen, man solle „mit offener Nase durch die Welt gehen“. Inwiefern? Hatt: Man sollte mehr Aufmerksamkeit auf die Düfte richten und die Duftinformationen nutzen, sie sich bewusst zu machen. Meine eigene Nase ist nicht so gut, wie viele vielleicht denken. Aber ich habe mir angewöhnt, wenn ich in einen Raum komme, mich erst einmal „umzuriechen“. Ich will feststellen, wie riechts denn hier drin. Und ich weiß dann vielleicht, warum ich mich in diesem Raum wohlfühle oder auch nicht. Zudem versuche ich, eine Prise Luft von meinen Mitmenschen zu kriegen. Das ist sehr spannend, denn man bekommt so sehr viele Informationen. Man schätzt die Leute anders ein: Riechen sie modern oder altmodisch, interessant, gestresst... Man kann da eine Menge an Infos rausholen.
Was haben wir davon? Hatt: Es hilft uns zu verstehen, warum wir uns bei einem Menschen oder in einem Raum wohlfühlen oder nicht. Sympathie und Antipathie zu ergründen, ebenso die Chemie, die stimmen muss. Außerdem, wenn man das Riechen trainiert, trainiert man auch das Gehirn dabei – weil mit jedem Atemzug Duftstoffinformationen ins Gehirn gelangen und dadurch viele Hirnareale aktiviert werden. Aktivität im Gehirn bedeutet Verbesserung der Gehirnleistung. Mit Riechübungen kann man dies erreichen. Dazu reicht es schon, mal an den Kühlschrank zu gehen, drei Gemüsesorten rauszuholen und daran zu riechen. Mit Riechübungen dreimal am Tag für fünf Minuten kann man zusätzlich das Riechvermögen verbessern und das Nachlassen des Geruchssinns im Alter verzögern.
„Mit jedem Atemzug nehmen wir Duftmoleküle auf, die dem Gehirn gemeldet werden und uns beeinflussen, Tag und Nacht, lebenslang.“Prof. Dr. Dr. Dr. Hanns Hatt
Stimmt es, dass man allein durch Gerüche jünger und leichter geschätzt werden kann, als man tatsächlich ist? Hatt: Ja. Düfte, die über die Nase wahrgenommen und ins Gehirn geleitet werden, werden dort mit Bildern und Emotionen verknüpft und abgespeichert. Man wird sozusagen konditioniert auf diesen Duft. Ein US-Kollege hat gezeigt, wenn Männer einen bestimmten Geruch mehrmals an jungen, schlanken Frauen wahrnehmen, schätzen sie schließlich ältere Frauen, die diesen Geruch tragen, ebenfalls als jünger und leichter ein. Solche Phänomene kann man auch für sich selbst nutzen: Wenn ich beispielsweise konzentriert arbeiten will, nehme ich einen mir angenehmen Duft, egal welchen, und sprühe ihn auf meinen Ärmel und rieche während der Arbeit daran. Tut man dies nur dann, wenn man konzentriert arbeiten will, wird dieser Duft mir helfen, konzentrierter zu arbeiten. Dasselbe gilt, wenn man schlafen will: Rieche ich beim Schlafengehen immer an demselben Duft, wird er mir helfen, einzuschlafen. Wir können uns über die Nase konditionieren, bestimmte Situationen besser zu bewältigen.
Interview: Sibylle Hübner-Schroll