Mittelschwaebische Nachrichten

Polizei darf künftig am Handy mitlesen

Koalition macht den Weg für den Bundestroj­aner frei – mit einem Trick

- VON MARTIN FERBER

Berlin Die Polizei kann in Zukunft direkt auf die Festplatte­n von privaten Computern oder die Speicher von Smartphone­s zugreifen und Nachrichte­n in Messenger-Diensten wie WhatsApp schon vor dem Verschlüss­eln mitlesen. Die Große Koalition hat dazu am Donnerstag den Weg für den umstritten­en „Bundestroj­aner“freigemach­t. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheit­sbehörden, eine spezielle Späh-Software („Trojaner“) auf die Computer aufzuspiel­en, ohne dass die Betroffene­n davon erfahren. Grüne und Linke machten dagegen schwere verfassung­srechtlich­e Bedenken geltend und kündigten den Gang nach Karlsruhe an. Auch Datenschüt­zer sind empört.

Polizei und Verfassung­sschutz hatten schon lange mehr Befugnisse bei der Überwachun­g der OnlineKomm­unikation gefordert. Nach einem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts waren solche Eingriffe bisher auf Terrorermi­ttlungen beschränkt. Das neue Gesetz sieht nun eine deutlich breitere Liste mit Mord, Totschlag, Steuerdeli­kten, Computerbe­trug, Hehlerei oder Verleitung zur missbräuch­lichen Asylantrag­sstellung vor. Um es noch vor dem Ende der Wahlperiod­e durch den Bundestag zu bringen, musste die Koalition einen Trick anwenden: Die Regelung wurde in der letzten Sitzung des Rechtsauss­chusses an ein anderes Gesetz angehängt, das unter anderem Fahrverbot­e für Kleinkrimi­nelle vorsieht.

Die Opposition­sparteien kritisiert­en das Vorgehen der Koalitionä­re. Die Grünen forderten Union und SPD auf, ihren Gesetzentw­urf zurückzuzi­ehen und durch einen verfassung­skonformen Antrag zu ersetzen: „Das nahezu vollständi­ge Wissen über die Zielperson geht weit über die akustische Wohnraumüb­erwachung hinaus und bedeutet eine völlig neue Tiefe des Grundrecht­seingriffs.“So sei ein Smartphone heute deutlich mehr als nur ein Telefon, sondern ein kompletter Computer, auf dem oft sogar intimste Daten gespeicher­t seien.

Auch der frühere Bundesbeau­ftragte für den Datenschut­z, Peter Schaar, kritisiert­e gegenüber unserer Zeitung die Pläne der Koalition. So würde der neue Staatstroj­aner die IT-Sicherheit gefährden, da die Behörden bei der Platzierun­g des Trojaners dieselben Schwachste­llen „wie Betrüger und Erpresser“benutzen. „Warum sollte der Staat zukünftig noch daran interessie­rt sein, die erkannten Sicherheit­slücken zu schließen? Er würde sich ja dann selbst aussperren.“Dass weder der Bundestag noch die Öffentlich­keit genügend Zeit hätten, gründlich über ein so wichtiges Gesetz zu diskutiere­n, „halte ich angesichts der Mehrheitsv­erhältniss­e im Bundestag für einen ziemlich arroganten Umgang der Regierungs­fraktionen mit der Macht“. Bisher hat das Bundeskrim­inalamt allerdings weder die technische­n Möglichkei­ten, Dienste wie WhatsApp zu überwachen, noch eine Software, die auf Smartphone­s funktionie­rt und die hohen Auflagen des Verfassung­sgerichts beim Datenschut­z erfüllt.

Wird der Staat zum Hacker? Lesen Sie dazu auch den Kommentar.

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