Mittelschwaebische Nachrichten
Geheimsache Wiese
Wie Kindern auf einem Erlebnisbauernhof die Natur nahe gebracht wird
Ichenhausen Anton Böller ist immer wieder aufs Neue überrascht. „Es waren hier schon Kinder auf dem Bauernhof, die haben noch nie ein weiches Ei gegessen. Und wenn wir Äpfel zerkleinern und auspressen, wird schon mal gefragt, ob man das auch trinken kann.“
Offenbar kommt für Einige der Apfelsaft direkt aus dem Supermarktregal. Auch aus diesem Grund hält Bayerns Landwirtschaftsminister Helmut Brunner das von ihm initiierte Landesprogramm „Erlebnis Bauernhof“für so wichtig. Mit den Projektwochen bis zum 28. Juli will Brunner möglichst viele der rund 2800 Grund- und Förderschulen im Freistaat für die Aktion gewinnen. „Jedes Schulkind soll mindestens einen Unterrichtstag auf einem aktiven Bauernhof verbringen“, formuliert der Minister sein Ziel, das folgenden Zweck verfolgt: Der Einblick soll die Wertschätzung für Lebensmittel erhöhen und den Respekt vor den Leistungen der Landwirtschaft wachsen lassen. Das zahle sich aus, so Brunner, denn: „Die Kinder von heute sind die Konsumenten von morgen.“
Böllers Tochter Ingeborg Farion ist eine von 200 zertifizierten Erlebnisbäuerinnen in Bayern. Pro Schulklasse, die sie betreut, erhält sie 170 Euro. Wenn da entsprechend viele Klassen zusammenkommen, ist das im Monat ein prima Nebenverdienst. Doch es geht der 45-Jährigen nicht in erster Linie ums Geld. Sie ist eine Überzeugungstäterin, die den Mädchen und Buben die Landwirtschaft näher bringen will.
Aus einem Korb können die Dritt- und Fünftklässler der Förderschule Hochwang Plüschtiere unter einer Abdeckung hervorholen. Ein Kater, eine Katze, ein Küken, ein Huhn, ein Hahn, ein Hase, eine Maus, eine Ziege und ein Hund kommen zum Vorschein – alles Tiere, die zum Teil natürlich in deutlich größerer Anzahl auf dem Brandfeldhof Farion in Ichenhausen leben. Und als wenig später eine Ziege, die ein Sonnenbad nimmt, sich bereitwillig streicheln lässt, ist das einer von mehreren Höhepunkten des Hofbesuchs. Gabriele Lipp, die als Lehrerin der Förderschule dabei ist, erklärt die Begeisterung der zwei Dutzend Kinder: „Man merkt, dass manche aus der Landwirtschaft kommen. Die merken, dass sie sich auskennen. Das stärkt natürlich das Selbstwertgefühl. Und wer noch nicht auf einem Bauernhof war, für den ist das sowieso ein großes Abenteuer.“
Drei Herden mit jeweils 900 Hühnern werden normalerweise auf dem Biolandbetrieb gehalten. Im Augenblick sind es nur zwei. Bei diesem Besuch geht es aber nicht um Hühner und ihre Eier. Ingeborg Farion will den jungen Gästen heute „Wiesengeheimnisse“verraten. Auf der Decke breitet sie verschiedene Kräuter aus und sagt, was es mit ihnen auf sich hat. Einige davon sind später Bestandteile der Kräuterbutter, die gemacht wird. Aber zunächst einmal sollen die Kinder das auf der Wiese suchen, was bereits auf der weißen Decke liegt. Schnell werden sie fündig. Auch der Spitzwegerich ist dabei, dessen Wirkstoffe hustenlösend sind. Nach Mückenstichen mildern seine Blätter, die auf der betroffenen Hautstelle gerieben werden, den Juckreiz.
Die Pflanze kann aber noch mehr, das die Kinder sofort animiert. Ingeborg Farion formt aus dem dünnen Stängel eine Schlinge, mit der sie die alte Blüte regelrecht wegschießt. Vater Anton hat sie getroffen. Das Interesse der Kinder auch. Denn wer wusste schon, dass auf der Wiese Pistolen wachsen?