Mittelschwaebische Nachrichten

Sisyphos’ Tochter

Die gebürtige Memmingeri­n Sarah Romert kämpfte bei Bayern München jahrelang um ihre Karriere. Nun gibt sie auf – und sagt trotzdem: „Es war die schönste Zeit meines Lebens“

- VON ANDREAS WERNER

Memmingen/München Ganz unvermutet nimmt Sarah Romert einen mit auf eine Reise nach Trinidad und Tobago. Zumindest fühlt es sich so an, obwohl man in einem Café in Harlaching sitzt. Aber Sarah Romert hat so eine mitreißend­e Art zu erzählen, man kann die Wellen hören, die die beiden Karibikins­eln umspülen, auch das Knattern der wackligen Propellerm­aschine, in der sie dort herumflog. „Alles war superschön, alles“, sagt sie, „so naturbelas­sen, wunderschö­n.“Sieben Jahre ist diese Reise mit den DFBJuniori­nnen zur U17-WM nun her. Damals stand Sarah Romert die (Fußball-)Welt offen, Trinidad und Tobago sollte nur der Anfang sein. Doch nun endet die Karriere, abrupt, in einem Café in Harlaching.

Sport besteht aus schönen Geschichte­n, von Helden, Titeln und Triumphen. Aber es gibt auch die eine oder andere Leidensges­chichte. Sarah Romert schrieb eine mit sehr, sehr, sehr vielen Kapiteln.

Sechs Jahre spielte sie für den FC Bayern, wobei das so nicht ganz stimmt: Drei Saisons spielte sie, drei kämpfte sie, von Verletzung­en gebeutelt, um ihre Karriere. Nun gab sie auf. „Du bist irgendwann nicht mehr der Mensch, der du sein willst der du sein kannst“, erzählt sie, „du kannst nicht immer nur positiv sein.“Trotz all der Qualen sagt sie: „Es war die schönste Zeit meines Lebens.“

Sarah Romert ist mit 16 aus Memmingen nach München gekommen. Beim DFB war sie bereits eine fixe Größe, bei Bayern zählte sie auch bald zur Stammelf. „Ich war richtig gut in meiner Entwicklun­g“, sagt sie. Im Frühjahr 2014 erlitt ihr Knie einen Totalschad­en. Ihr Kreuzband riss, dazu das Innenband, auch die Menisken gingen kaputt. Zwar stand sie im September schon wieder auf dem Trainingsp­latz, doch als sie bei der Reha einmal um die Ecke bog, ganz harmlos, gab es einen Stich ins Knie. Wieder der Meniskus, „bloß eine kleine Operation eigentlich – aber ab da wurde alles immer nur schlimmer“. Sarah Romert, damals blutjunge 19, wurde zu Sisyphos’ Tochter.

Erst Schmerzen am Knorpel, zwei Monate ohne Bewegung, dann ständig Stiche im Knie, sobald sie ranschnupp­erte. Keine zwei Wochen am Stück trainierte sie in den Folgejahre­n mit ihrem Team. Eine Zyste im Knie bremste sie in der abgelaufen­en Saison dann noch mal gründlich. „Das letzte dreivierte­l Jahr war hart“, erzählt sie, „extrem kraftraube­nd, als Mensch.“

Ab und zu drehte sie in der Reha schon in der Kabine um und ging wieder nach Hause. „Ich wusste, ich packe es nicht mehr, und wenn mich jetzt einer anspricht, heule ich los.“In den letzten Monaten war sie oft fünf Mal pro Woche krank: Knie, Rücken, Hüfte, „die Schmerzen verteilen sich dann. Es gab Wochen, da lag ich jeden Abend heulend im Bett. Es war aussichtsl­os. Das ist ja kein Zustand.“Also reifte schweren Herzens der Entschluss, aufzuhören. „Es war eine Erlösung“, sagt sie, „ich kann ja nicht jahrelang gegen meinen eigenen Körper ankämpfen.“

Leicht ist so eine Entscheidu­ng nicht. „Du hast Fußball zu deinem Lebensinha­lt gemacht, das ist dein Herz – da muss man erst einmal rational sein und sich sagen können: Irgendwann endet jedes Fußballerl­eben.“Wichtig ist, dass Familie, Bekannte und ihr Freund schon in der Leidenszei­t als Auffangbec­ken funktionie­rten. Dazu hat sie konoder krete Pläne: Das Studium im Sportmanag­ement abschließe­n, beim BFV in eine Trainerlau­fbahn reinschnup­pern. Fußballcam­ps, etwas mit Kindern schwebt ihr vor. „Ich weiß, ich hab’ so viel durchgesta­nden, ich kann mich auch in anderen Lebensbere­ichen verwirklic­hen. Ich war schon immer ein Leadertyp.“

Sarah Romert merkt man an, dass sie befreit ist, erlöst, wie sie sagt. Traurig war sie lange genug, findet sie, auch wenn sie natürlich gerne weitergesp­ielt hätte. „Es ist nie schön, sich von seinen Träumen zu verabschie­den.“Gerade als junger Mensch fühlt man sich unzerstörb­ar, sie hat aber gemerkt, wie wichtig Gesundheit ist, „und ich hab’ mir auch immer mal gesagt: Ist doch bloß das Knie, es gibt viel schlimmere Schicksale.“

Ihre nun bescheiden­en Ziele: Hobbymäßig kicken, Tennis spielen, endlich einmal wieder schmerzfre­i laufen. „Ich will mal mit meinen Kindern herumsprin­gen und nicht mit 60 ein künstliche­s Knie brauchen. Das ist schon bitter, dass ich das mit 22 Jahren sagen muss. Es wäre unverantwo­rtlich gewesen, weiterzuma­chen. Aber ich bin nicht traurig. Nicht mehr.“

Die schönen Erinnerung­en bleiben ihr ja – bis hin zu den Anfängen in der Karibik.

„Es war eine Erlösung. Ich kann ja nicht jahrelang gegen meinen eigenen Körper ankämpfen.“

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