Mittelschwaebische Nachrichten
Im Streit um Katar geht es auch um die Zukunft Arabiens
Leitartikel Das saudische Königshaus will die Vorherrschaft am Persischen Golf. Mit dem Sender „Al-Dschasira“soll eine kritische Stimme mundtot gemacht werden
Wenn es der arabischen Welt an etwas mangelt, dann gewiss nicht an Konflikten. Sechs Jahre nach dem weitgehend gescheiterten Arabischen Frühling tobt in Syrien immer noch ein besonders brutaler und blutiger Bürgerkrieg. Im Jemen kämpft eine von Saudi-Arabien geführte Interventionsmacht gegen Rebellen. In Nordafrika sehen sich Regime massiv unter Druck. Und über all dem schwebt der jahrhundertealte Religionskrieg zwischen der sunnitischen und der schiitischen Konfession des Islam. Braucht es da einen weiteren Konfliktherd in Form der Krise um Katar, die sich derzeit immer weiter zuspitzt?
Saudi-Arabien und drei weitere sunnitische Mächte haben das eigentlich seelenverwandte, weil ebenfalls konservativ-sunnitisch geprägte Emirat Katar am Persischen Golf mit einem Bann überzogen: Die diplomatischen Beziehungen wurden abgebrochen, die Landgrenze gesperrt, der Fluggesellschaft die Landerechte entzogen. Durch die ultimativen Forderungen Saudi-Arabiens an den Nachbarstaat sind jetzt aber weitere Nationen in den Konflikt hineingezogen worden, vor allem der Iran und die Türkei. Deswegen birgt die Krise die Gefahr eines Flächenbrandes in sich.
Das Emirat Katar, so fordern die Saudis, solle die diplomatischen Beziehungen mit dem Iran abbrechen und die im Land stationierten türkischen Soldaten hinauswerfen. Damit wurde zunächst aber das Gegenteil des Beabsichtigten bewirkt. Der Iran und die Türkei solidarisierten sich umso stärker mit Katar. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will nun sogar weitere Truppen schicken.
Saudi-Arabien will alles zurückdrängen, was der Position des Hauses al-Saud gefährlich werden könnte. Fürchten muss man in Riad gewiss nicht das kleine Katar. Die wahren Gegner sind die Türkei, die sich immer stärker in Syrien einmischt, und vor allem der Iran. Dieser ewige Rivale betreibt seit Jahren ein Atomprogramm, das wohl auch eine militärische Seite hat. Sollte es Teheran – trotz des Atomdeals mit dem Westen – schaffen, zur Atommacht aufzusteigen, wäre dem Iran die Vorherrschaft am Golf für lange Zeit sicher. Daher tut das Königshaus in Riad alles, um den verhassten Konkurrenten zu isolieren und auf Drittschauplätzen wie in Syrien und im Jemen zu bekämpfen. Wenn das renitente Emirat Katar nicht mitmacht, dann nimmt man ihm eben die Luft.
Doch es geht auch um die Zukunft Arabiens. Das Regime in Katar ist zwar ebenso intolerant und undemokratisch wie das saudische, und der Vorwurf der Terrorfinanzierung ist zumindest teilweise berechtigt. Das muss Katar abstellen – das Gleiche gilt aber auch für Saudi-Arabien.
Dass von Katar jetzt verlangt wird, den Sender Al-Dschasira zu schließen, zeigt, dass es den Saudis und ihren Verbündeten vorrangig um Machterhalt und Unterdrückung der kritischen Öffentlichkeit geht. Der arabische Nachrichtensender ist gewiss angreifbar. So unterstützt er publizistisch die Muslimbruderschaft in Ägypten, deren Präsident Mursi vom Militär weggeputscht wurde. Aber er hat auch seine Verdienste: Im Arabischen Frühling hat er in vielen Ländern, die nur regimetreue Berichterstattung kannten, den Unterdrückten eine Stimme gegeben und sich mit den Herrschenden angelegt (im eigenen Land aber wohl nicht).
Diese kritische Stimme mundtot zu machen, hieße die restaurativen Kräfte in der arabischen Welt und vor allem das saudische Königshaus zu stärken. Auch die westlichen Länder sollten sich dafür einsetzen, dass Al-Dschasira erhalten bleibt, dieser Keimling von Meinungsund Pressefreiheit in der arabischen Menschenrechtswüste.
Im Arabischen Frühling eine Stimme der Unterdrückten