Mittelschwaebische Nachrichten

Wie strikt schiebt Deutschlan­d ab?

In der Bundesrepu­blik leben 500 000 abgelehnte Asylbewerb­er – tatsächlic­h abgeschobe­n werden aber nur wenige. Woran das liegt und welche Schwierigk­eiten es gibt

- VON IDA KÖNIG

Augsburg Seit langem fordert Bundesinne­nminister Thomas de Maizière von den dafür zuständige­n Bundesländ­ern, mehr abgelehnte Asylbewerb­er in ihre Heimat zurückzusc­hicken – insbesonde­re jene, „die Straftaten begehen, tricksen oder täuschen“, wie der CDU-Minister bei einem Treffen mit Landtagsve­rtretern sagte. Was ist aus den Ankündigun­gen geworden, mehr abgelehnte Asylbewerb­er abzuschieb­en, und welche Probleme gibt es? Antworten auf wichtige Fragen:

Bund und Länder haben immer wieder angekündig­t, mehr Flüchtling­e abzuschieb­en. Passiert das tatsächlic­h?

Nein. Mit 6700 Asylbewerb­ern im ersten Quartal dieses Jahres sind im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres sogar knapp hundert Menschen weniger abgeschobe­n worden, wie aus Angaben der Bundespoli­zei hervorgeht. Nach wie vor tut sich Deutschlan­d schwer, Asylbewerb­er abzuschieb­en. Das liegt den Behörden zufolge zum einen an fehlenden Papieren und an Problemen mit den Staaten, in denen die Flüchtling­e als Erstes registrier­t worden sind. Außerdem wird oft aus humanitäre­n Gründen auf eine Abschiebun­g verzichtet. Insgesamt wurden im vergangene­n Jahr 25 000 abgelehnte Asylbewerb­er abgeschobe­n. Allerdings verließen deutlich mehr freiwillig Deutschlan­d, nachdem sie ihren Bescheid bekamen.

Wie viele Asylbewerb­er leben zurzeit insgesamt in Deutschlan­d?

Im vergangene­n Jahr zählte das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e, Bamf, etwa 280 000 Asylbewerb­er, von Januar bis Mai dieses Jahres sind rund 86000 Erstanträg­e eingegange­n. Genauere Zahlen gibt es nicht, weil ständig neue Anträge gestellt werden und sich der Status eines Asylbewerb­ers ändert, sobald sein Antrag bearbeitet ist. Außerdem dauert es manchmal Wochen von der Ankunft eines Flüchtling­s bis zum offizielle­n Antrag auf Asyl. Bearbeitet hat das Bamf von Januar bis Mai 2017 insgesamt 370 000 Anträge. Abgelehnt wurden knapp 40 Prozent davon. Das heißt aber nicht, dass alle abgelehnte­n Asylbewerb­er – von ihnen leben inzwischen insgesamt gut eine halbe Million in Deutschlan­d – tatsächlic­h ausreisen müssen.

Warum müssen nicht alle abgelehnte­n Asylbewerb­er ausreisen?

Weil nicht jeder abgelehnte Asylbewerb­er automatisc­h „ausreisepf­lichtig“ist, wie es offiziell heißt. Als ab-

gelehnt gelten auch Flüchtling­e, obwohl sie zumindest für eine bestimmte Zeit eine Aufenthalt­serlaubnis erhalten haben. Dazu zählen sehr viele Syrer, die als Bürgerkrie­gsflüchtli­nge einen sogenannte­n „subsidiäre­n Schutzstat­us“zugesproch­en bekommen. Außerdem gibt es für zahlreiche Flüchtling­e ein

Abschiebev­erbot. Nicht abgeschobe­n wird derzeit zum Beispiel nach Afghanista­n und in Teile des Irak. Allerdings reisen viele Flüchtling­e auch in diese Länder freiwillig wieder aus, weil sie in Deutschlan­d keine Zukunft für sich sehen.

Wie viele Asylbewerb­er leben in Deutschlan­d, die eigentlich ausreisen müssten?

Bei 63000 Flüchtling­en steht einer Ausreise nach Angaben des Bamf nichts im Weg, etwa 8300 von ihnen leben in Bayern. Wenn die Asylbewerb­er den negativen Bescheid erhalten, bleiben ihnen vier Wochen Zeit, um freiwillig auszureise­n. Wer das nicht tut, kann abgeschobe­n werden. Zuständig für die Rückführun­g sind die Bundesländ­er – und damit die jeweiligen Landespoli­zeien. Weitere 159000 Flüchtling­e haben trotz des Status „ausreisepf­lichtig“eine Duldung und werden zumindest im Moment nicht abgeschobe­n. Gründe dafür sind zum Beispiel, dass viele keine Papiere haben, wegen ihres christlich­en Glaubens verfolgt werden könnten oder die Herkunftss­taaten sich weigern, die Asylbewerb­er zurückzune­hmen.

In welche Staaten schiebt Deutschlan­d die meisten Menschen ab?

2017 stammten die meisten deutschlan­dweit abgeschobe­nen Asylbewerb­er nach wie vor aus Albanien, gefolgt vom Kosovo und Serbien. In Bayern sieht es derzeit aber so aus, als gebe es eine Veränderun­g. Zwar kommt auch hier nach wie vor ein Drittel der abgeschobe­nen Asylbewerb­er aus dem Balkan, wie eine Sprecherin des bayerische­n Innenminis­teriums mitteilt. Doch die Zahl sei im Vergleich zu 2016 massiv zurückgega­ngen. Das liegt nach Einschätzu­ng der Sprecherin vor allem an der abschrecke­nden Wirkung der vollzogene­n Abschiebun­gen. Seit Albanien, der Kosovo und Serbien als sichere Herkunftsl­änder gelten, werden 99 Prozent der Asylanträg­e sofort abgelehnt.

Wie viele Asylbewerb­er reisen freiwillig aus?

Im Jahr 2016 verließen etwa 64000 Ausreisepf­lichtige Deutschlan­d freiwillig – das sind mehr als doppelt so viele, wie abgeschobe­n wurden, wie aus einer Regierungs­antwort auf eine Anfrage der Linksfrakt­ion hervorgeht. Die tatsächlic­he Zahl dürfte deutlich höher liegen, da sich nicht alle bei den Behörden abmelden. Jeder fünfte Betroffene reiste aus Bayern aus. Als Anreiz für die freiwillig­e Ausreise zahlt die Bundesregi­erung eine Starthilfe für Reise, Gepäck und den Neuanfang. Der Betrag liegt bei 1000 bis 3000 Euro. Ein weitaus größerer Anreiz ist aber wohl die Möglichkei­t, schnell wieder nach Deutschlan­d einreisen zu können – sofern die Betroffene­n diesmal den legalen Weg wählen und ein Visum beantragen. Das ist nach einer Abschiebun­g nicht möglich, da mit dieser eine vierjährig­e Einreisesp­erre verhängt wird.

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Foto: Sebastian Kah, dpa Archiv Abschiebun­g: In der Justizvoll­zugsanstal­t wird ein straffälli­g gewordener Asylbewer ber aus Tunesien an den Flughafen gebracht.

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