Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn Inländer steuerfrei einkaufen

Der Rechnungsh­of kritisiert: Betrug an der Schweizer Grenze ist Tür und Tor geöffnet

- VON MARTIN FERBER

Berlin Für Schweizer lohnt sich der Einkauf in Deutschlan­d gleich doppelt – die Lebensmitt­el und anderen Waren des täglichen Bedarfs sind deutlich billiger als zu Hause. Und sie müssen keine Mehrwertst­euer bezahlen, sondern bekommen diese zurückerst­attet. Das aber macht nicht nur dem deutschen Zoll viel Arbeit, sondern lockt zunehmend auch Betrüger an.

Nach einem Bericht des Bundesrech­nungshofes für den Rechnungsp­rüfungsaus­schuss des Bundestags, der unserer Zeitung vorliegt, ist dem Missbrauch bei der Rückerstat­tung der Mehrwertst­euer Tür und Tor geöffnet, wodurch dem Fiskus Steuereinn­ahmen in Millionenh­öhe entgehen. Die genaue Schadenshö­he kann das Finanzmini­sterium allerdings nicht beziffern. Die Lage sei „prekär“und „nicht länger hinnehmbar“, so der Rechnungsh­of, es bestehe „akuter Handlungsb­edarf“. Die Kritik fügt sich ein in andere Berichte über den Mehrwertst­euerbetrug durch sogenannte Karussell-Geschäfte innerhalb der EU, durch die Deutschlan­d nach Schätzunge­n ein Schaden von etwa 23 Milliarden Euro pro Jahr entsteht.

Wie die Rechnungsp­rüfer auflisten, nehmen beispielsw­eise Deutsche die Hilfe von Bekannten oder Strohmänne­rn in der Schweiz in Anspruch, um sich die Mehrwertst­euer erstatten zu lassen. Ihr Einkauf ist somit steuerfrei. Oder Schweizer sammeln in deutschen Supermärkt­en die Kassenbons von deutschen Kunden ein und lassen sich diese von der Zollverwal­tung abstempeln. „Ein Risiko, dabei entdeckt zu werden, besteht dabei faktisch nicht, denn die Wahrschein­lichkeit, dass die Zollverwal­tung beim Grenzübert­ritt kontrollie­rt, ob die Waren mitgeführt werden, ist sehr gering“, heißt es im Bericht.

Von 2013 bis 2015 stieg nach Angaben des Rechnungsh­ofes die Zahl der durch den Zoll abgestempe­lten Ausfuhrkas­senzettel (AKZ) von 17 auf 21,9 Millionen an, davon allein 15 Millionen an der Grenze zur Schweiz. In Stoßzeiten werden am Zollamt Konstanz-Autobahn „im Sekundenta­kt“bis zu 1000 Zettel pro Stunde abgefertig­t. Und selbst das führe zu langen Rückstaus. „Die erforderli­chen Kontrollen der Waren sind bei der Vielzahl der abzufertig­enden AKZ nicht möglich“, moniert der Rechnungsh­of. Bundesweit seien etwa 160 Zollbeschä­ftigte dauerhaft ausschließ­lich mit dem Stempeln der Ausfuhrkas­senzettel ausgelaste­t. Der Bund soll nach dem Willen der Rechnungsp­rüfer eine Wertgrenze einführen, wie dies auch Frankreich, Italien und Österreich gemacht haben. So soll die Mehrwertst­euer erst ab einem Einkauf von 175 Euro erstattet werden. Damit würde der Zoll „deutlich entlastet“. Gleichzeit­ig würden die Steuereinn­ahmen steigen. So geht das Finanzmini­sterium davon aus, dass bereits ein Grenzbetra­g von 100 Euro zu Mehreinnah­men „im dreistelli­gen Millionenb­ereich“führen würde.

Gleichwohl lehnt CDU-Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble die Einführung einer Wertgrenze ab, da dies möglicherw­eise dem Einzelhand­el im grenznahen Gebiet schaden könnte. Ein Argument, das weder der Rechnungsh­of noch Ekin Deligöz von den Grünen, Mitglied im Rechnungsp­rüfungsaus­schuss, akzeptiere­n. „Ich denke nicht, dass der Umsatz in der Region wesentlich sinken würde, da die Hauptmotiv­ation der Schweizer Kunden aus den Preisunter­schieden und dem starken Wechselkur­s resultiert“, sagt Deligöz gegenüber unserer Zeitung. Sie fordert den Finanzmini­ster auf, rasch eine Mindestgre­nze für den steuerfrei­en Einkauf einzuführe­n. „Das könnte die Situation deutlich entspannen und viele Probleme zeitgleich lösen.“

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