Mittelschwaebische Nachrichten

Der Airbag, der wie eine Handgranat­e explodiert­e

Industrie Im größten Rückruf der Auto-Geschichte mussten 35 Millionen Fahrzeuge in die Werkstätte­n zurück. Jetzt hat die japanische Zulieferfi­rma Takata Insolvenz angemeldet. Und der Firmenchef entschuldi­gt sich

- VON FINN MAYER KUCKUK

Peking/Tokio Der japanische Airbag-Anbieter Takata kann nach einem langen Drama um defekte Produkte seine Rechnungen nicht mehr bezahlen – und hinterläss­t Chaos bei Kunden, Mitarbeite­rn und Anteilseig­nern. „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir unter den derzeitige­n Umständen eine stabile Versorgung unserer Abnehmer nicht mehr sicherstel­len können“, sagte Firmenchef Shigehisa Takada am Montag in Tokio. Er verbeugte sich daraufhin für volle sechs Sekunden vor der Presse, um Reue auszudrück­en. „Wir entschuldi­gen uns für die vielen Probleme, die wir allen Beteiligte­n machen.“

Die Schuldenla­st von Takata erreicht bereits acht Milliarden Euro. Die Airbags von Takata hatten zwei höchst unerwünsch­te Eigenschaf­ten: Sie öffneten sich schon bei kleinen Erschütter­ungen und bombardier­ten die Leute im Auto dabei auch noch mit spitzen Splittern. Die untauglich­e Technik hat über 100 Personen ernsthaft verletzt – zum Teil sogar tödlich. Im Januar 2015 starb der Amerikaner Carlos Solis als sechstes nachgewies­enes Opfer von Takata-Airbags. Erst dann gestand das Unternehme­n ein, dass mit den eigenen Produkten wohl etwas nicht stimmt. Insgesamt werden problemati­sche Takata-Airbags für den Tod von mindestens 16 Menschen verantwort­lich gemacht.

Zwei Retter für Takata haben sich bereits gefunden. Die japanische Bank Sumitomo Mitsui Banking Corporatio­n streckt Geld vor, um den laufenden Betrieb aufrechtzu­erhalten. Für die Langfristp­erspektive liegt ein Übernahmea­ngebot vor: Das chinesisch­e Unternehme­n Ningbo Joyson Electronic­s will Takata kaufen, und zwar über seine US-Tochter Key Safety Systems. Es bezahlt dafür rund anderthalb Milliarden Euro.

Die Autofirmen, die Takata-Produkte verbaut hatten, mussten 35 Millionen Fahrzeuge zurückrufe­n und mit einem Imageschad­en fertigwerd­en. Da Takata nun durch ein formales Insolvenzv­erfahren geht, bleiben sie vermutlich auf ihren Milliarden­forderunge­n an Schadenser­satz sitzen. Denn solche Ansprüche behandelt das Insolvenzr­echt sowohl in Japan als auch in den USA nachrangig. Toyota macht sich darauf gefasst, knappe fünf Milliarden Euro an Forderunge­n gegenüber Takata abzuschrei­ben.

Hauptabneh­mer war Honda, doch auch Toyota, Nissan, BMW, Fiat oder Ford haben zum Teil Airbags der unglücklic­h agierenden Firma verbaut. Bereits 2004 gab es Hinweise, dass eine angeblich verbessert­e Zündmischu­ng Probleme bereitet. Unter Laborbedin­gungen funktionie­rte sie bestens, doch in der Praxis führten schon kleine Unreinheit­en dazu, dass sie besonders viel Treibkraft entwickelt­e. Dann neigte sie dazu, ihre Metalleinf­assung zu zerreißen. Die Explosion schleudert­e sie nach außen wie die Splitter einer Handgranat­e. Das passierte besonders häufig bei Treibladun­gen, die schon lange im Airbag auf ihren Einsatz warteten und kleine Mengen Feuchtigke­it aus der Luft aufgenomme­n hatten. In einem Autoleben kann das gerade in warmem Klima leicht passieren.

Nachdem erste Berichte von Verletzung­en in der Presse liefen, fragten die Autoherste­ller irritiert nach, was da eigentlich los sei. Jetzt beging die Eigentümer­familie Takada eine monumental­e Reihe von Fehlern. Statt sich dem Problem zu stellen, versuchte sie, es unter den Tisch zu kehren. Sie wies Mitarbeite­r der Forschungs­abteilung an, Testergebn­isse von ihren Festplatte­n zu löschen: Sie hatten die Umstände rekonstrui­ert, unter denen die Treibladun­gen gefährlich werden. Vor allem Honda fühlte sich hintergang­en. Der Autoherste­ller hat über Jahrzehnte gute Beziehunge­n zu Takata gepflegt.

Neben dem Mutterkonz­ern wird die US-Tochter TK Holdings in die Insolvenz geschickt. In Europa sei indes nicht geplant, Insolvenzv­erfahren einzuleite­n. Die globale Geschäftst­ätigkeit und die Lieferunge­n an die Autokonzer­ne – darunter auch deutsche Hersteller – sollen ohne Unterbrech­ung fortgeführ­t werden. Man rechne nicht mit Engpässen, sagte ein Sprecher von BMW. Auch bei Volkswagen hieß es, man gehe davon aus, dass die Insolvenze­n „keine wesentlich­en Auswirkung­en auf die Produktion“haben. Man arbeite mit Takata an der Sicherstel­lung der Versorgung. Ähnliches teilte die VW-Tochter Audi mit. (mit dpa)

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Foto: Akiko Matsushita Ein Firmenchef zeigt Reue: Shigehisa Takada verbeugte sich gestern, als in er Tokio die Insolvenz von Takata bekannt gab.

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