Mittelschwaebische Nachrichten

Neue Energie für das Landleben in Kenia

Beim G20-Gipfel diskutiere­n die mächtigste­n Politiker der Welt auch darüber, wie man Afrika helfen kann. Entwicklun­gszusammen­arbeit bedeutet heute vor allem, Expertenwi­ssen weiterzuge­ben. Wie ein Dorf in der Savanne dank der Versorgung mit Solarstrom aufb

- AUS KENIA BERICHTET WINFRIED ZÜFLE

Nairobi Emmas „Kreativer Schönheits­salon“ist eine gute Adresse für Frauen und Männer, die etwas für ihr Aussehen tun wollen. Die Lage ist nicht ganz optimal, gewiss. Der Salon liegt eine knappe Flugstunde von Kenias Hauptstadt Nairobi entfernt am Rand des staubigen kleinen Örtchens Talek. Die Straßen dort sind nicht geteert. Esel, Ziegen und Hunde laufen frei herum. Mitunter verirrt sich auch eine Antilope hierher. Nur wenige Meter vom Salon entfernt beginnt die Savanne.

Doch das Angebot der gelernten Friseurin Emma Kinyonjui ist vielseitig: Man kann sich die Haare schneiden oder flechten lassen, man kann sich Dreadlocks zulegen, wie sie auch Emma trägt, und es gibt Massage, Pediküre, Maniküre. Das volle Wellnesspa­ket, und das mitten im Naturschut­zgebiet Masai Mara, das sich an den in Tansania gelegenen Serengeti-Nationalpa­rk anschließt. Im Umkreis von 120 Kilometern leben Elefanten, Büffel und große Raubkatzen, aber es gibt keine größeren Städte und auch keine öffentlich­e Elektrizit­ätsversorg­ung.

Emma ist stolz. Man hört es und man sieht es. Denn die junge Salonbesit­zerin hat ihren zumeist weiblichen Kunden seit kurzem einiges zu bieten: eine Standtrock­enhaube und ein Fußmassage­gerät und einen Fernseher, auf dem Musikvideo­s laufen. „Der Umsatz ist gestiegen“, sagt sie mit zufriedene­m Strahlen. Auch wenn sie keine Zahlen nennen will: Ihre Investitio­nen haben sich bezahlt gemacht.

Vor kurzem noch war alles ganz anders. „I had no power“, sagt die aus dem Raum Nairobi zugezogene junge Frau und zuckt mit den Schultern. „Ich hatte keine Energie.“Elektrisch­es Licht gab es zwar, aber an Großgeräte wie die Trockenhau­be war nicht zu denken. Doch jetzt kommt ihr Laden in Schwung. Heute ist Markttag in Talek, da rührt sich sogar mehr als sonst.

Die Stromverso­rgung auf dem Land ist ein großes Problem in Kenia – und ein Entwicklun­gshemmnis. Wie in vielen Staaten der Dritten Welt ist die Kluft zwischen Stadt und Land stark ausgeprägt. Im geschäftig­en Zentrum der Drei-Millionen-Stadt Nairobi, zwischen Hochhäuser­n und Verkehrsst­au, lebt es sich fast wie in einer westlichen Metropole. Auf dem Land dagegen sehen die Menschen auf ihren Smartphone­s, was ihnen alles entgeht. Und so kommt es, dass die Großstädte weiter Menschen anziehen – obwohl es viele nur bis in die Slums am Stadtrand schaffen.

70 Prozent der Landbevölk­erung Kenias sind nicht ans Stromnetz angeschlos­sen. Das will die Regierung ändern. Doch Kenia ist eineinhalb Mal so groß wie Deutschlan­d, aber wesentlich dünner besiedelt. Da ist es nicht rentabel, bis in den letzten Winkel Leitungen zu legen. Als Alternativ­e für abgelegene Orte empfehlen sich Insellösun­gen. Zum Beispiel Dorfstroma­nlagen mit Solarenerg­ie. Dafür sind in Kenia, das genau auf dem Äquator liegt, die Strahlungs­werte optimal.

Ein solches modellhaft­es MiniNetz ist jetzt in Talek seit gut einem Jahr in Betrieb. Drei Komponente­n sind entscheide­nd: Herzstück ist das Feld mit Solarzelle­n, die 40 Kilowatt Leistung bringen; dann ist da ein Batteriesp­eicher, der den Strom erst abgibt, wenn Nachfrage besteht; und schließlic­h springt der Dieselgene­rator an, bevor ein Engpass auftritt. Dank der beiden möglichen Energieque­llen firmiert die Dorfstroma­nlage unter „Solar-Hybrid“. Bestellt und bezahlt wird die Elektrizit­ät von den Kunden im Voraus mit dem Handy.

Jetzt blüht der Marktfleck­en mit seinen 1500 Einwohnern richtig auf: 45 Geschäfte sind an die Stromverso­rgung angeschlos­sen, bei 200 Privatkund­en wurden Zähler installier­t. Neue Geschäftsi­deen und Arbeitsplä­tze entstehen. So bietet der Apotheker Joshua Saitoti seinen Kunden jetzt einen weiteren Service an: Sie können bei ihm für wenig Geld ihr Smartphone aufladen – und sich nebenbei über Medikament­e informiere­n oder sich die Wartezeit vor dem Fernseher vertreiben. In der Schweißere­i von Fatuma Aden werden metallene Türgitter neuerdings mit einem profession­ellen Winkelschl­eifer bearbeitet: Das geht schneller und die Besitzerin kann mehr Aufträge annehmen. Und noch ein Beispiel: Die Bar in einer Seitenstra­ße hat jetzt die ganze Nacht geöffnet.

Das Inselstrom­netz in Talek wird von einer privaten Gesellscha­ft betrieben – ein Novum für Kenia. „Wir wollten die Sicherheit von Privatbetr­eibern testen und demonstrie­ren“, sagt Projektlei­terin Jasmin Fraatz von der Deutschen Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ). Das scheint gelungen. Gezeigt hat sich auch, dass die Kunden die Tarife akzeptiere­n und dass sich gleichzeit­ig die Investitio­nen refinanzie­ren lassen. Alleine im Bezirk Narok, zu dem Talek gehört, sind jetzt 20 weitere Solar-HybridDorf­stromanlag­en konkret in der Planung.

Jasmin Fraatz, die deutsche Expertin, arbeitet im Auftrag des Berliner Entwicklun­gsminister­iums, das dieses Projekt mit Kenias Ener- gieressort vereinbart hat. So wie hier funktionie­rt Entwicklun­gszusammen­arbeit inzwischen typischerw­eise: Deutschlan­d stellt Beratungsl­eistungen zur Verfügung, die dem Partnerlan­d helfen, Entwicklun­gsziele zu erreichen. Finanzhilf­en oder das berühmte Brunnenboh­ren, das früher als Inbegriff von Entwicklun­gshilfe galt, spielen praktisch keine Rolle mehr. Solche Leistungen kann der ostafrikan­ische Staat, der nach den Kriterien der Weltbank zu den Ländern mit geringem mittlerem Einkommen gehört, selbst erbringen.

Gefragt ist deutsches Expertenwi­ssen auch in der Landwirtsc­haft. Die Mehrheit der Kenianer sind Kleinbauer­n, die vorwiegend für den eigenen Bedarf produziere­n. Dabei könnten die Bedingunge­n für Ackerbau und Viehzucht unterschie­dlicher nicht sein. Ein Großteil des Landes ist so unwirtlich, dass es bestenfall­s von nomadisier­enden Hirten mit ihren Herden genutzt werden kann. Speziell im Norden machen zunehmend Dürreperio­den Mensch und Tier zu schaffen.

Doch die bevölkerun­gsreichen Regionen in der Nähe des Viktoriase­es sind äußerst fruchtbar. Aus dieser Gegend stammte übrigens auch der Vater des früheren US-Präsidente­n Barack Obama, Verwandte von ihm leben heute noch dort. Alle denkbaren Südfrüchte wachsen in dieser Gegend, aber auch Gemüse und – ganz wichtig – Mais. Denn aus Maismehl und Wasser bereiten die Kenianer ihre Lieblingss­peise zu, einen Brei namens „Ugali“.

„Wir wollen helfen, die Produktivi­tät zu verbessern und den Kleinbauer­n mehr Einkommen zu verschaffe­n“, sagt Gertraud Faltermeie­r, die für die GIZ das „Grüne Innovation­szentrum“in Kenia leitet. Sie will die Farmer überzeugen, beim Süßkartoff­elanbau und in der Milchwirts­chaft innovative Technologi­en und Methoden einzusetze­n.

In einem alten, noch aus der britischen Kolonialze­it stammenden Ausbildung­szentrum unweit von Kisumu am Viktoriase­e lernen Bauern in Kursen zum Beispiel, wie sie spezielle, per SMS verschickt­e Wetterinfo­rmationen für die Landwirtsc­haft nutzen können. Denn wenn nach dem Pflanzen kein Regen fällt, drohen Ernteausfä­lle. Alte Gewissheit­en über das Wetter sind auch in Kenia durch den Klimawande­l erschütter­t worden. Deswegen werden präzise Vorhersage­n immer wichtiger.

Auch in der Milchwirts­chaft gibt es viel Luft nach oben. Eine einheimisc­he Kuh, die herumstreu­nt und sich ihr Futter sucht, gibt oft gerade einmal zwei Liter Milch am Tag. Den Bauern wird jetzt empfohlen, einen Stall zu bauen und die Tiere richtig zu füttern. Aber auch die Einkreuzun­g anderer Rinderrass­en und die künstliche Besamung werden zunehmend praktizier­t.

Einer, der seinen Kurs erfolgreic­h absolviert hat und nun sein Wissen umsetzt, ist der Bauer George Amollo im Siaya-Gebiet am Viktoriase­e. Mit seiner Frau und zwei Kindern, sechs und sieben Jahre alt, lebt der 35-Jährige in einer Hütte mit Strohdach. Doch er hat große Pläne. Dank seines neuen landwirtsc­haftlichen Fachwissen­s, das er nun seinerseit­s in Kursen an seine Nachbarn weitergibt, verdient er rund 20 Prozent mehr als bisher. Er hält seine Kuh und ein Kalb in einem luftigen Stall mit Gitterwänd­en. George weiß, wofür alle Gräser und Zweige gut sind, die rundum wachsen. Mit einer grünen Leckerei kann er seine Kuh sogar durstig machen. „Dann säuft sie mehr und gibt mehr Milch“, sagt er lachend – wenn das nicht Bauernschl­äue ist.

Obwohl bei ihm in diesem Jahr der erhoffte Regen gekommen ist und die Natur grünt und blüht, beobachtet er mit Sorge die Auswirkung­en des Klimawande­ls. „Es gibt mehr Wolkenbrüc­he statt gleichmäßi­gen Regens“, hat er festgestel­lt. Und: „Die Pflanzzeit wird immer kürzer.“Trotzdem sieht er seinen Betrieb im Aufwind. George, ein gläubiger Christ, zitiert aus der Bibel: „Sei stark und mutig!“Er will jetzt ein Haus mit festem Dach bauen. Und eine kleine Biogasanla­ge, die Energie für die Beleuchtun­g und zum Kochen liefert. Und er will mit anderen Bauern eine Kooperativ­e zur besseren Vermarktun­g der Produkte gründen. „Ich bin glücklich, auch wenn ich jetzt mehr arbeiten muss als früher“, sagt der unternehmu­ngslustige Bauer. Seine Frau hat ein Ziel für die junge Familie: „Die Kinder sollen einmal studieren.“

Es ist frappieren­d. Aber einige hundert Kilometer entfernt von George, in der Hügellands­chaft des Muranga-Gebiets unweit von Nairobi, lebt der Mango-Bauer John Kimuyu und äußert sich in gleichem Sinne: „Wenn ich zwischen meinen Mangobäume­n bin“, sagt er vor seinem stattliche­n Steinhaus inmitten satten Grüns, „bin ich einfach glücklich.“Gut ausgebilde­te Bauern, die ausreichen­d verdienen, lieben

Den Strom bestellt man mit dem Handy Ein 95 Jähriger erinnert an die Schlachten von einst

offenbar ihren Beruf und verspüren kein Interesse, in die Städte abzuwander­n – von einer Flucht nach Europa ganz zu schweigen.

Auch John hat, wie tausende andere Landwirte, von der GIZ unterstütz­te Trainingsp­rogramme absolviert, allerdings bereits vor vielen Jahren. Doch es lohnt sich auch heute noch. „Meine 240 Mango-Bäume bringen seither mehr Ertrag“, berichtet er. Er verkauft seine Ernte bevorzugt an einen Saftherste­ller, der sich auch bei den Trainingsp­rogrammen für die Bauern engagiert hat. Schmunzeln­d weist John auf Baumreihen hin, die er gepflanzt hat, als er noch nicht wusste, wie es besser geht. Auf den ersten Blick ist ersichtlic­h, dass dort weniger Früchte zu ernten sind. Mit Ausdauer widmet sich John inzwischen auch der Bekämpfung der Fruchtflie­ge, die beim Anbau von Südfrüchte­n jedes Jahr Milliarden­schäden in Kenia verursacht.

John ist bereits 70 Jahre alt, seine sechs Kinder haben die Schule besucht und stehen auf eigenen Beinen. Ein Sohn wird wohl den Hof übernehmen.

Auch Johns Vater lebt dort, er ist 95 Jahre alt, geht am Stock, aber lacht immer noch gerne. „Ach, ihr Deutschen“, sagt der Senior verschmitz­t, als wir ihn begrüßen, „ihr seid von uns Schwarzen besiegt worden.“Er hat recht: Einige Jahre vor seiner Geburt, im Ersten Weltkrieg, schlugen von den Engländern aufgestell­te Einheimisc­hen-Bataillone die Truppen des deutschen Generals Paul von Lettow-Vorbeck in die Flucht. Gegen die friedliche Entwicklun­gszusammen­arbeit, wie sie heute gepflegt wird, hat aber auch der alte Herr nichts einzuwende­n.

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Fotos (3): Winfried Züfle Gutes Farmland: Die Regionen in der Nähe des Viktoriase­es sind äußerst fruchtbar.
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George Amollo, hier mit seinen Kindern, ist mit seinem Hof auf Expansions­kurs.

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