Mittelschwaebische Nachrichten

Nobelpreis war keine Rettung

Chinas Regimekrit­iker Liu Xiaobo stirbt kurz nach Haftentlas­sung

- VON FINN MAYER KUCKUK

Peking Mit Liu Xiaobo ist ein Stück der Hoffnung auf ein freieres China gestorben. Der chinesisch­e Friedensno­belpreistr­äger starb gestern im Alter von 61 Jahren, nur drei Wochen, nachdem er aus der Haft in ein Krankenhau­s verlegt wurde, an Leberkrebs. Kurz vor seinem Tod hatte Liu noch den Wunsch geäußert, auszureise­n. Das Unikliniku­m Heidelberg wollte ihn noch in Deutschlan­d behandeln. Doch die chinesisch­e Regierung hat darauf bestanden, ihn als verurteilt­en Straftäter weiter unter Bewachung am Krankenbet­t zu halten.

Liu war der prominente­ste und zugleich einer der Tapfersten der Regimekrit­iker, die sich in den vergangene­n Jahren gegen den chinesisch­en Staat gestellt haben. Weil er nicht schweigen wollte, hat die Justiz ihn wie einen Schwerverb­recher behandelt. Im Jahr 2009 haben Richter in Peking den Schriftste­ller zu elf Jahren Haft verurteilt. Sein Delikt: Er hat Artikel geschriebe­n, in denen er den Einparteie­nstaat kritisiert und zu schrittwei­sen Reformen aufgerufen hat.

Liu traf damit eines der härtesten Urteile, das damals in China gegen Dissidente­n erging. In dem Schnellpro­zess wurde der Literaturp­rofessor wegen „Anstiftung zum Umsturz der Staatsmach­t“verurteilt. In

Den Literaturp­rofessor traf eines der härtesten Urteile

den Augen des Regimes wurde Liu zum „Staatsfein­d“, weil er die „Charta 08“für Meinungsfr­eiheit, eine unabhängig­e Justiz und freie Wahlen in China mitverfass­t und koordinier­t hatte. Das Manifest wurde 2008 veröffentl­icht, als die Olympische­n Spiele in Peking stattfande­n, und wurde schnell von mehr als 10000 Menschen unterzeich­net. Darunter waren Dissidente­n, aber auch Reformer innerhalb des chinesisch­en Einparteie­nsystems.

Auch der Friedensno­belpreis 2010 brachte Liu Xiaobo keine Freiheit. Bei der Preisverle­ihung in Oslo blieb sein Stuhl auf der Bühne leer – eine flammende Anklage der Unterdrück­ung in China. Liu hinterläss­t seine Frau, die Dichterin Liu Xia. Sie wurde in den langen Jahren seiner Haft zu seiner Sprecherin, stand selbst unter Hausarrest, litt unter Depression­en, musste alles mit durchleide­n. Auch ihr Bruder wurde zu Haft verurteilt. Die USA, Deutschlan­d und die EU fordern nun eine Ausreiseer­laubnis für Liu Xiaobos Witwe und deren Bruder.

Trotz aller Repression­en verfiel Liu nicht in Bitterkeit. „Ich habe keine Feinde“, lautet der Titel eines seiner Essays aus dem Gefängnis. Er las unter anderem Schriften des Theologen und Widerstand­skämpfers Dietrich Bonhoeffer, der von den Nazis ermordet wurde. Sein Leben weist zudem verblüffen­de Parallelen zu dem des deutschen Literaten und Friedensno­belpreistr­ägers Carl von Ossietzky auf, den die Nazis in Haft an einer Krankheit sterben ließen. Auch er durfte nicht nach Oslo reisen, um den Preis in Empfang zu nehmen. (mit epd, afp)

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Foto: dpa Der Literaturp­rofessor Liu Xiaobo starb nach acht Jahren Haft.

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