Mittelschwaebische Nachrichten

Wem gehören eigentlich Bilder?

Andy Warhol hat sich unbekümmer­t bei vorhandene­n Abbildunge­n bedient, viele seiner Kollegen folgten ihm. Diebstahl? Eine Ausstellun­g lässt darüber grübeln

- VON CHRISTA SIGG

München Sie lächelt verführeri­sch, ihr Mund ist lasziv geöffnet. Typisch Marilyn eben. Als dieser Siebdruck im Herbst 1962 entstand, war die Monroe erst wenige Wochen zuvor an einer Überdosis Schlaftabl­etten gestorben. Und nun begann sie also, in einem Tondo, dem seit der Antike gerne für herausrage­nde Köpfe eingesetzt­en Rundbild, auf goldenem Grund zu schweben, gleich einer Heiligen. Der Kniff war genial, damit hat Andy Warhol das Sexsymbol der 50er Jahre auch noch im wörtlichen Sinne zur Ikone befördert. Und deshalb ist dieses Konterfei ein idealer Auftakt für die Ausstellun­g „Pop Pictures People“im Museum Brandhorst.

Keine Warholmani­a wie vor zwei Jahren, doch ohne den schillernd­en Andy geht kaum etwas in Sachen Pop Art, schon gar nicht in einem Haus, das weit über 100 Warhols hortet. Die kann man zwar immer wieder neu arrangiere­n, aber für den Kick sorgen diesmal erstaunlic­he Neuerwerbu­ngen – ein Ankaufseta­t in Millionenh­öhe macht’s möglich – und eine Reihe altbekannt­er Kollegen aus der eigenen Sammlung.

Zwischen Liz Taylor, Jackie Kennedy und Warhol selbst (alle 1964) ist Marilyn in bester Gesellscha­ft. Dazu posiert Alex Katz’ versechsfa­chte Gattin Ada im kleinen Schwarzen (1960). Bei dieser flirrenden Sommerpart­y im Souterrain des Museums fehlen eigentlich nur noch die Cocktails. Sollten es im Fall Katz sechs sein, um jede einzelne Ada in Feierlaune zu bringen? Oder reicht ein Glas zur Klärung der Frage, wie viel Individual­ität die Pop Art zulässt oder vielmehr, wieviel Oberflächl­ichkeit man hier in Kauf nehmen muss?

Die „Ladies and Gentlemen“(Drag Queens) im Raum mit weiteren „Exzentrisc­hen Identitäte­n“dürfte diese Frage sogar amüsieren: Warum nicht mit dem Äußeren, also der Maske, spielen? „Undercover“ermöglicht das letztlich mehr Persönlich­keit, als es den knalligen Anschein hat. Und Andy donnerte die Damen und Herren mit gerissenen Buntpapier­fetzen – Achtung, Zerrissenh­eit! – und Klebeband auf. Irgendwann sind die Königinnen der Nacht ja wieder dem Tageslicht entgegen gestöckelt, das mindestens ein paar davon in graue Anzugträge­r zurückverw­andelt haben wird.

Mitte der 1970er war es nicht so weit her mit der großen Freiheit. Umso verblüffte­r steht man vor Michel Auders Vierkanal-Wahnsinn aus dem Jahr 1967: Der französisc­he Filmemache­r, der mit Andys Superstar Viva verheirate­t war, hat den Alltag von Warhols Factory-Gemeinde geradezu obsessiv aufgesaugt. Das Ergebnis ist schräg, banal, exzentrisc­h, obszön und wild und bildet ein delikates Pendant zu den ausgestell­ten Werken des King of Pop Art – Mick Jagger 1975 beim Zungenkuss etwa – und im Grunde auch derer, die sich am scheuen Mastermind orientiert haben. Dazu gehört natürlich Keith Haring, der mit seinen federnden, vermeintli­ch naiven Comic-Männchen ganz Existenzie­lles wie die Gleichbere­chtigung aufs Tapet hievt. Dann die sarkastisc­he Louise Lawler oder Elaine Sturtevant. Beide Frauen kopieren, repliziere­n, fotografie­ren die Arbeiten anderer Künstler. Bei Lawler ist es ein Totenschäd­el Gerhard Richters, bei Sturtevant die eingangs erwähnte Marilyn in einer besonders düsteren Variante.

Damit treiben die Künstlerin­nen Warhols Grundfrage noch einmal auf die Spitze: Wem gehören die Bilder? Kann man von Diebstahl sprechen, wenn sich Sturtevant einfach Andys Siebdruck-Ikone schnappt – oder ist Warhols Werk nicht sowieso schon die Kunst gewordene Aufforderu­ng, sich gnadenlos zu bedienen? Mehr als 900 „Flowers“hat seine Factory ausgespuck­t, viele helfende Hände waren da im Einsatz, um Andys einträglic­he Ideen wie Popcorn in die Welt ploppen zu lassen. Und bei den „Details des letzten Abendmahls“(1986) diente dann nicht einmal mehr Da Vincis Mailänder Original als „Vorlage“, sondern gleich die Kitsch-Version vom Souvenirla­den.

Das ist nur konsequent. Und mehr noch, wenn Glas- statt Diamantsta­ub aufs Bild kommt. Der glitzert prächtiger als die sündteuren Edelsteins­plitter, Warhol hat das für seine mehrere Meter langen „Diamond Dust Shadows“(1979) ausprobier­t. Und warum auch nicht, wenn der schöne Schein, also der gläserne Fake, das Original übertrifft? Auch darüber darf man in dieser inspiriere­nden Schau lustvoll grübeln.

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 ?? Fotos: Sammlung Brandhorst/VG Bild Kunst, Haring Foundation, Warhol Foundation; Lawler/Metro Pictures ?? Spielarten des Pop: Alex Katz’ „Das schwarze Kleid“(großes Bild), Louise Lawlers „Porträt“(oben rechts), darunter das unbetitelt­e Selbstport­rät von Keith Haring – und Andy Warhols Rundbild von „Marilyn“.
Fotos: Sammlung Brandhorst/VG Bild Kunst, Haring Foundation, Warhol Foundation; Lawler/Metro Pictures Spielarten des Pop: Alex Katz’ „Das schwarze Kleid“(großes Bild), Louise Lawlers „Porträt“(oben rechts), darunter das unbetitelt­e Selbstport­rät von Keith Haring – und Andy Warhols Rundbild von „Marilyn“.
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