Mittelschwaebische Nachrichten
Arzt soll eigene Kinder gequält haben
Der Mann ist in Österreich bekannt, sein Bruder Spitzenpolitiker. Nun muss eine Gutachterin klären, ob er zurechnungsfähig ist. Was ihm vorgeworfen wird, macht fassungslos
Wien Die österreichische Gerichtspsychiaterin Heidi Kastner ist bekannt geworden, weil sie im „Fall Josef Fritzl“als Gutachterin tätig war. Fritzl hatte seine Tochter 24 Jahre lang in einem Kellerverlies gefangen gehalten und sexuell missbraucht. Seit ein paar Monaten hat Kastner einen neuen aufsehenerregenden Auftrag: Noch im Juli soll sie für einen laufenden Prozess ein Gutachten über die Zurechnungsfähigkeit eines Arztes liefern, dem seine vier inzwischen erwachsenen Kinder vorwerfen, sie jahrzehntelang misshandelt zu haben.
Der regelmäßige Kirchgänger habe die Kinder gezwungen zu rauchen und Alkohol in großen Mengen zu trinken, habe ihnen Morphium, Schlaf- und Beruhigungsmittel gegeben und sie immer wieder bedroht und geängstigt. Die Mutter, ebenfalls Ärztin und Psychotherapeutin, habe von alldem nichts bemerkt. So die Vorwürfe.
Kastner ist nicht die erste Gutachterin, die sich mit den dramatischen Ereignissen in der Familie auseinandersetzen muss. Der Grazer Psychiater Manfred Walzl war mit der Untersuchung der mutmaßlichen Opfer beauftragt worden. Er gab den Auftrag zurück, weil er die Familie persönlich kannte und es „zu einer ganzen Reihe von Interventionsversuchen von Kollegen und Politikern“gekommen sei, schrieb er in einer E-Mail an die Staatsanwaltschaft. Der beschuldigte Arzt ist in seiner Heimat, der Steiermark, gut vernetzt und sehr angesehen. Sein Bruder ist ein hoher ÖVP-Politiker. Der bestreitet, sich für den Arzt eingesetzt zu haben.
Anstatt des Gutachters Walzl aus der Steiermark hat ein Kärntner Sachverständiger das Gutachten geschrieben. Demnach leiden die drei Töchter und der Sohn des Arztes unter schweren posttraumatischen Belastungsstörungen.
Der Arzt bestreitet, den Kindern Drogen gegeben zu haben. Er gibt jedoch zu, dass die Kinder zusehen mussten, wenn er sich selbst verstümmelte oder vorgab, Selbstmord zu begehen. Damit habe er Verlustund Existenzängste bei den Kindern geschürt, heißt es in dem Gutachten. Außerdem ließ der Arzt die Kinder auch mit Waffen hantieren. Einmal habe eine Tochter einen Schraubenzieher aus seinem Bauch herauszie- hen müssen, den er sich selbst vorher hineingestoßen hatte. Er schnitt sich in ihrer Anwesenheit mit einem Messer in Hals, Arme und Beine. Oft mussten die Kinder ihm Spritzen setzen. Wenn sich seine Kinder weigerten, demütigte er sie – nannte sie „fett“und „hässlich“.
So soll es hinter der bürgerlichen Fassade zugegangen sein: eine große Villa, eine gut gehende Arztpraxis, teure Autos. Der Arzt arbeitet auch als Sportmediziner für den österreichischen Skiverband.
Doch er betrog auch seine Frau. Zu seinen Geliebten gehörten Patientinnen, mindestens eine davon setzte ihn als Erben ein. Eine Freundin seiner Tochter wurde ebenfalls seine Geliebte, bis er sie zu immer abartigeren Sexualpraktiken gezwungen haben soll. Die junge Frau suchte schließlich im Gewaltschutzzentrum in Graz Hilfe und zeigte den Arzt an. Im September 2014 beging ihr Vater Selbstmord mit einer Pistole, die ihm gehörte. An seinen Händen fanden die Ermittler aber keine Schmauchspuren. Die Untersuchung des Falles durch die Staatsanwaltschaft Graz wurde im Januar abgebrochen.
Bis dahin arbeitete der Beschuldigte noch als Arzt, seine Patienten sammelten 2500 Unterschriften, weil sie ihn behalten wollten. Erst seit Januar praktiziert er nicht mehr selbst, sondern stellte in seiner Praxis Ärzte an. Erste Gerüchte über das Geschehen hatten die Runde gemacht, als das Scheidungsverfahren 2013 beendet wurde. Seine Frau will erst nach der Trennung von ihren Kindern, die heute zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt sind, über die Grausamkeiten erfahren haben.
Jetzt wird gegen den Arzt ermittelt, weil er das „Verbrechen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen“begangen haben soll. Der Arzt selbst vermutet eine Intrige seiner Frau, wie er vor Gericht sagte. Es gehe nach der Scheidung um Geld. Wenn das Gutachten der Psychiaterin Heidi Kastner vorliegt, wird das Gericht Zeugen laden. „Wegen der Sommerferien wird es Herbst werden, bis der Prozess wieder aufgenommen wird“, sagte eine Gerichtssprecherin in Graz.
Der Beschuldigte vermutet eine Intrige seiner Frau