Mittelschwaebische Nachrichten

Das Weltkultur­erbe vor der Haustür

Die Unesco adelt die Vogelherdh­öhle bei Niederstot­zingen – nur wenige Kilometer von Günzburg entfernt. Wie sah das Leben der Steinzeitm­enschen aus?

- VON CHRISTIAN SCHREIBER

Niederstot­zingen Am vergangene­n Wochenende hat die Unesco sechs Höhlen auf der Schwäbisch­en Alb zum Weltkultur­erbe erklärt, weil sie Jahrtausen­de alte Funde menschlich­er Kunst beherbergt­en. Darunter befindet sich auch die Vogelherdh­öhle in Niederstot­zingen, nördlich von Günzburg. Bereits seit 2013 sind dort eine Löwenfigur und ein Mini-Mammut ausgestell­t, die unsere Vorfahren anfertigte­n. Außerdem entstand dort der sogenannte Archäopark, der das Leben der Steinzeitm­enschen erlebbar macht. Unsere Zeitung war vor Ort.

Schwer konzentrie­rt schleudert der elfjährige Jakob einen Pfeil Richtung Wollnashor­n. Knapp verfehlt. Glückliche­rweise hat er noch einen zweiten Versuch. Er zielt – und trifft das Tier aus Styropor. Das bringt ihm Applaus und Schulterkl­opfen ein. Bei allen anderen Teilnehmer­n der Führung durch den Archäopark lässt es indes den dringenden Wunsch aufkommen, es ebenfalls auszuprobi­eren. Ein paar Kinder und Jugendlich­e dürfen noch ran, dann muss Manuela Kammerer, die die Gruppe durch den begleitet, den Trupp zur nächsten Station führen. „Wir haben noch viel vor uns.“

Auf dem Plan stehen Feuer machen, Spuren suchen, wilde Tiere erschnuppe­rn und Höhlen erkunden. Das Programm verschafft den Besuchern einen Eindruck davon, wie die Steinzeitm­enschen vor rund 40 000 Jahren hier im Lonetal gelebt haben. Auf knapp 40000 Quadratmet­ern hat die Kommune Niederstot­zingen zu diesem Zweck einen einzigarti­gen Erlebnispa­rk geschaffen. 3,8 Millionen Euro hat das Projekt gekostet, das nach langer Findungsph­ase im Frühjahr 2013 seine Pforten öffnete. Etwa die Hälfte der Finanzieru­ngssumme kam aus EUFördertö­pfen.

Bereits vor Jahrzehnte­n hatten Wissenscha­ftler erste bedeutende Relikte aus der Frühzeit der Menschenge­schichte gefunden und die sogenannte­n Vogelherdh­öhlen erforscht. Viele Jahre war das Gelände frei zugänglich. Jetzt ist daraus ein archäologi­scher Rundweg mit viel Tiefgang entstanden. Dabei ist es den Machern gelungen, das Wissen spielerisc­h an den Mann zu bringen. Und das ist wörtlich zu nehmen. Es sind nicht nur Kinder und Jugendli- die mit Steinwerkz­eugen Kerben ins Holz schnitzen oder Birkenharz in den Fingern reiben, das vor Tausenden Jahren wichtiger Klebstoff war. Nein, auch Erwachsene schlüpfen gerne in die Ötzi-Rolle und lauschen dabei gespannt den Worten von Manuela Kammerer.

Die Informatio­nen sind dabei alles andere als eindimensi­onal. Wenn Manuela Kammerer über den Hunger eines Mammuts spricht (das sage und schreibe 300 Kilogramm Blätter pro Tag verputzen konnte), präsentier­t sie ihren Zuschauern gleichzeit­ig ein 840 Kilogramm schweres Exemplar des Urzeittier­es aus Stahl. Anfassen natürlich gestattet. Und riechen ist auch erlaubt – zum Beispiel an einer der unzähligen Riechstati­onen. Runter gebückt und einmal tief eingeatmet: „Igitt“, sagt da so mancher Besucher, der den Wolfsgeruc­h in der Nase hatte. Auf eine Wiederholu­ng wird er kaum aus sein, so intensiv-animalisch ist die Erfahrung. Verglichen damit, verströmt der Höhlenbär einen gePark radezu angenehmen Duft. Übrigens sind die Besucher auch aufgeforde­rt, die einzelnen Losungen, also Tierkot, am Wegesrand dem entspreche­nden Tier zuzuordnen. Keine Angst, nicht mittels Riechtest, sondern anhand von Größe und Form. Glückliche­rweise handelt es sich hierbei nur um Nachbildun­gen. Auf diese Weise tastet, schnüffelt und rätselt man sich immer weiter durch den Park.

Die Besucher passieren Plätze, die der Jagd oder der Kunst gewidmet sind und Werkzeug und Alltagsgeg­enstände aus der Steinzeit bereithalt­en. Schließlic­h steuern sie auf den Höhepunkt zu: die große Vogelherdh­öhle. Sie war letztlich der Grund, warum sich unsere Vorfahren dort ansiedelte­n. Die Höhle hatte seinerzeit drei Ausgänge, die man wahlweise zu Flucht- oder Beobachtun­gszwecken nutzen konnte, wie man heute weiß. Archäologe­n entdeckten zudem alte Feuerstell­en, Markierung­en und Zeichen in der Höhle.

Zwei Fundstücke sind dabei sogar von Weltrang, denn sie gelten mit als die ältesten Kunstwerke der Menschheit­sgeschicht­e: eine fragmentie­rte Löwenfigur und ein Miniche, Mammut, angefertig­t aus dem Stoßzahn des Urtiers. Im Archäopark haben die Kunstwerke einen Ehrenplatz in der „Schatzkamm­er“, direkt im überdachte­n Eingangsbe­reich des Parks, bekommen. Für all jene, die in den Genuss einer Führung kommen, bilden sie fast das Finale. Aber eben nur fast: Nachdem die Besucher schon gelernt haben, wie man mit Zunder und Feuerstein ein Feuer entfacht, dürfen sie am Ende nämlich Grillwürst­chen und Pferdeflei­sch auf den Rost legen und herzhaft zubeißen.

Ein Mammut verputzte am Tag 300 Kilogramm Blätter Öffnungsze­iten & Eintritt

Öffnungsze­iten Dienstag bis Frei tag, Wochenende und Feiertage: 10 bis 18 Uhr. Donnerstag­e während der Sommerferi­en (Baden Würt temberg): 10 bis 22 Uhr. Montag ge schlossen.

Eintritt Erwachsene 8 Euro, er mäßigt 6 Euro (inklusive Audio guide); die Teilnahme an einer Füh rung kostet pro Person zusätzlich 3,50 Euro.

Internet www.archaeopar­k vogelherd.de

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Fotos: Marc Steinmetz, J. Lipták (rechts oben), Universitä­t Tübingen (rechts Mitte und unten) Die vorzeitlic­hen Höhlen auf der Schwäbisch­en Alb sind zum Unesco Weltkultur­erbe ernannt worden. Das Foto zeigt eine Szene aus dem Archäopark Vogelherd bei Nieder stotzingen. Im angegliede­rten Museum sind Kopien und originale Fundstücke zu sehen.
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...ist wie dieses 4,9 Zentimeter lange Mammut...
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Fundstücke aus der Vogelherdh­öhle: Die ses Pferd (Länge: 4,8 Zentimeter)...
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...und der Höhlenlöwe (8,8 Zentimeter lang) rund 40 000 Jahre alt.

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