Mittelschwaebische Nachrichten
Das Weltkulturerbe vor der Haustür
Die Unesco adelt die Vogelherdhöhle bei Niederstotzingen – nur wenige Kilometer von Günzburg entfernt. Wie sah das Leben der Steinzeitmenschen aus?
Niederstotzingen Am vergangenen Wochenende hat die Unesco sechs Höhlen auf der Schwäbischen Alb zum Weltkulturerbe erklärt, weil sie Jahrtausende alte Funde menschlicher Kunst beherbergten. Darunter befindet sich auch die Vogelherdhöhle in Niederstotzingen, nördlich von Günzburg. Bereits seit 2013 sind dort eine Löwenfigur und ein Mini-Mammut ausgestellt, die unsere Vorfahren anfertigten. Außerdem entstand dort der sogenannte Archäopark, der das Leben der Steinzeitmenschen erlebbar macht. Unsere Zeitung war vor Ort.
Schwer konzentriert schleudert der elfjährige Jakob einen Pfeil Richtung Wollnashorn. Knapp verfehlt. Glücklicherweise hat er noch einen zweiten Versuch. Er zielt – und trifft das Tier aus Styropor. Das bringt ihm Applaus und Schulterklopfen ein. Bei allen anderen Teilnehmern der Führung durch den Archäopark lässt es indes den dringenden Wunsch aufkommen, es ebenfalls auszuprobieren. Ein paar Kinder und Jugendliche dürfen noch ran, dann muss Manuela Kammerer, die die Gruppe durch den begleitet, den Trupp zur nächsten Station führen. „Wir haben noch viel vor uns.“
Auf dem Plan stehen Feuer machen, Spuren suchen, wilde Tiere erschnuppern und Höhlen erkunden. Das Programm verschafft den Besuchern einen Eindruck davon, wie die Steinzeitmenschen vor rund 40 000 Jahren hier im Lonetal gelebt haben. Auf knapp 40000 Quadratmetern hat die Kommune Niederstotzingen zu diesem Zweck einen einzigartigen Erlebnispark geschaffen. 3,8 Millionen Euro hat das Projekt gekostet, das nach langer Findungsphase im Frühjahr 2013 seine Pforten öffnete. Etwa die Hälfte der Finanzierungssumme kam aus EUFördertöpfen.
Bereits vor Jahrzehnten hatten Wissenschaftler erste bedeutende Relikte aus der Frühzeit der Menschengeschichte gefunden und die sogenannten Vogelherdhöhlen erforscht. Viele Jahre war das Gelände frei zugänglich. Jetzt ist daraus ein archäologischer Rundweg mit viel Tiefgang entstanden. Dabei ist es den Machern gelungen, das Wissen spielerisch an den Mann zu bringen. Und das ist wörtlich zu nehmen. Es sind nicht nur Kinder und Jugendli- die mit Steinwerkzeugen Kerben ins Holz schnitzen oder Birkenharz in den Fingern reiben, das vor Tausenden Jahren wichtiger Klebstoff war. Nein, auch Erwachsene schlüpfen gerne in die Ötzi-Rolle und lauschen dabei gespannt den Worten von Manuela Kammerer.
Die Informationen sind dabei alles andere als eindimensional. Wenn Manuela Kammerer über den Hunger eines Mammuts spricht (das sage und schreibe 300 Kilogramm Blätter pro Tag verputzen konnte), präsentiert sie ihren Zuschauern gleichzeitig ein 840 Kilogramm schweres Exemplar des Urzeittieres aus Stahl. Anfassen natürlich gestattet. Und riechen ist auch erlaubt – zum Beispiel an einer der unzähligen Riechstationen. Runter gebückt und einmal tief eingeatmet: „Igitt“, sagt da so mancher Besucher, der den Wolfsgeruch in der Nase hatte. Auf eine Wiederholung wird er kaum aus sein, so intensiv-animalisch ist die Erfahrung. Verglichen damit, verströmt der Höhlenbär einen gePark radezu angenehmen Duft. Übrigens sind die Besucher auch aufgefordert, die einzelnen Losungen, also Tierkot, am Wegesrand dem entsprechenden Tier zuzuordnen. Keine Angst, nicht mittels Riechtest, sondern anhand von Größe und Form. Glücklicherweise handelt es sich hierbei nur um Nachbildungen. Auf diese Weise tastet, schnüffelt und rätselt man sich immer weiter durch den Park.
Die Besucher passieren Plätze, die der Jagd oder der Kunst gewidmet sind und Werkzeug und Alltagsgegenstände aus der Steinzeit bereithalten. Schließlich steuern sie auf den Höhepunkt zu: die große Vogelherdhöhle. Sie war letztlich der Grund, warum sich unsere Vorfahren dort ansiedelten. Die Höhle hatte seinerzeit drei Ausgänge, die man wahlweise zu Flucht- oder Beobachtungszwecken nutzen konnte, wie man heute weiß. Archäologen entdeckten zudem alte Feuerstellen, Markierungen und Zeichen in der Höhle.
Zwei Fundstücke sind dabei sogar von Weltrang, denn sie gelten mit als die ältesten Kunstwerke der Menschheitsgeschichte: eine fragmentierte Löwenfigur und ein Miniche, Mammut, angefertigt aus dem Stoßzahn des Urtiers. Im Archäopark haben die Kunstwerke einen Ehrenplatz in der „Schatzkammer“, direkt im überdachten Eingangsbereich des Parks, bekommen. Für all jene, die in den Genuss einer Führung kommen, bilden sie fast das Finale. Aber eben nur fast: Nachdem die Besucher schon gelernt haben, wie man mit Zunder und Feuerstein ein Feuer entfacht, dürfen sie am Ende nämlich Grillwürstchen und Pferdefleisch auf den Rost legen und herzhaft zubeißen.
Ein Mammut verputzte am Tag 300 Kilogramm Blätter Öffnungszeiten & Eintritt
Öffnungszeiten Dienstag bis Frei tag, Wochenende und Feiertage: 10 bis 18 Uhr. Donnerstage während der Sommerferien (Baden Würt temberg): 10 bis 22 Uhr. Montag ge schlossen.
Eintritt Erwachsene 8 Euro, er mäßigt 6 Euro (inklusive Audio guide); die Teilnahme an einer Füh rung kostet pro Person zusätzlich 3,50 Euro.
Internet www.archaeopark vogelherd.de