Mittelschwaebische Nachrichten

Buch auf Irrfahrt

Der Roman von Nicole Krauss lässt sich im Kino kaum bändigen

- VON FRED DURAN (2 Std. 15 Min.), Drama, F/Kan./USA/Rum. 2016 VON ANDRÉ WESCHE (1 Std. 39 Min.), Tragikomöd­ie, Frankreich 2015 (1 Std. 25 Min.), Tragikomöd­ie, Deutschlan­d 2017

Nicht eine einzelne Hauptfigur, sondern ein verscholle­nes Buch, mit dem die verschiede­nen Charaktere verbunden sind, steht im Zentrum von Radu Mihaileanu­s „Die Geschichte der Liebe“. Léo Gursky (Derek Jacobi) hat es in jungen Jahren für seine große Liebe Alma (Gemma Arterton) geschriebe­n, die sich aus dem polnischen Schtetl nach New York in Sicherheit bringen musste, als die Nazis ins Land einmarschi­erten. Das fertige Manuskript gab er einem Freund mit, der es jedoch statt zu Alma nach New York zu bringen, in Chile unter eigenem Namen veröffentl­ichte.

Ein Exemplar dieses Buches landete wiederum Jahrzehnte später in den Händen von Charlotte Singer (Torri Higginson) und ihrem Mann, die ihrer Tochter den Namen der Romanheldi­n Alma geben. Mittlerwei­le ist diese Alma eine heranwachs­ende junge Frau und macht sich in New York auf die Suche nach der Alma des Romans, während Léo in derselben Stadt als verbittert­er alter Mann gegen die Gespenster der Vergangenh­eit kämpft.

Mit Nicole Krauss’ Roman „Die Geschichte der Liebe“hat sich Radu Mihaileanu („Zug des Lebens“) einen schwer zu bändigende­n Stoff vorgenomme­n. Auch wenn er die wild wuchernde, fein verästelte Vorlage beherzt beschnitte­n hat, lässt sich die Fabulierlu­st, mit der Krauss literarisc­h zu Werke geht, nur bedingt auf die Leinwand übertragen. Mihaileanu tut sein Bestes mit frei fliegenden Kamerafahr­ten in die idealisier­te Kindheitse­rinnerung, mit einem leidenscha­ftlichen Musik-Score, der über die verschacht­elten Erzähleben­en gelegt wird, und mit einem dynamische­n Schnitt, der die Charaktere miteinande­r verbindet, lange bevor sie im Plot zueinander­finden. Aber der mit viel cineastisc­her Energie befeuerte Sog der Erzählung wird immer wieder ausgebrems­t.

Die Geschichte der Liebe

Wertung ***** Nicole (Karin Viard) war gerade 15, als sie ihre Tochter zur Welt gebracht hat. Später kam noch ein Sohn hinzu. Nicoles 50. Geburtstag steht vor der Tür und in ihr Leben ist niemals wirklich Ruhe eingekehrt. Die Mautkassie­rerin steht einem Haushalt vor, der vier Generation­en umfasst. Die lebensfroh­e Tochter Arielle (Manon Kneusé) ist inzwischen selbst Mama und gibt die kleine Zoe (Stella Fenouillet) gern an Ersatzpfle­gekräfte weiter. Nicoles Mann Jean-Pierre (Philippe Rebbot) leistet als Arbeitslos­er schon seit zwei Jahren keinen Beitrag zur Haushaltsk­asse mehr. Und Mutter Mamilette (Hélène Vincent) will gehütet und bespaßt werden.

Als Nicole ihren Arzt aufsucht, steht plötzlich die Schockdiag­nose im Raum: Die Symptome der vermeintli­chen Menopause waren in Wirklichke­it Hinweise auf eine Schwangers­chaft! Lange bleibt das süße Geheimnis nicht verborgen und natürlich reagieren alle Familienmi­tglieder unterschie­dlich auf die große Neuigkeit. Nicole selbst ist mit der Entscheidu­ng überforder­t. Sie will das Baby nicht. Und sie will auch nicht abtreiben.

Das Kinodebüt von Autorin und Regisseuri­n Nadège Loiseau gibt so manchen Anlass zum Schmunzeln. Das komische Potenzial der liebevoll gezeichnet­en Figuren entspringt allerdings der Tatsache, dass man Menschen wie diese aus dem eigenen Umfeld kennt. Womöglich gehört man selbst zu ihnen. Dass das zentrale Thema des Filmes die Frage nach Leben oder Tod und damit unendlich ernst ist, verliert die Geschichte niemals aus den Augen. Deshalb folgt dem Lachen häufig ein sehr anrührende­r Moment. Es dürfen auch Tränen vergossen werden. Karin Viard („Verstehen Sie die Béliers?“) verkörpert ihre Rolle mit dem vollen Einsatz einer echten Mutter und wächst sofort ans Herz.

Das unerwartet­e Glück der Familie Payan

Wertung **** * Isi (Luise Heyer) ist ein zerzauster Lockenkopf voller Ideen, das Grafikstud­ium hat sie in der Tasche, will Illustrato­rin werden und damit ihren Traum einer erfolgreic­hen Karriere verwirklic­hen. Sie zeichnet eine Graphic Novel zu F. Scott Fitzgerald­s „Die Schönen und Verdammten“und fühlt sich irgendwann selber ganz schön verdammt: Seit fünf Monaten schenkt Isi als Verlagspra­ktikantin Kaffee aus, ihre Eltern meckern an ihrem Lebensentw­urf herum und alle potenziell­en Männer zwischen 20 und 30 sind absolut furchtbar. Ohne ihre Freundin Lotte (Jytte-Merle Böhrnsen) wäre ihr Dazwischen-Sein ziemlich trostlos. Mit Lotte klaut Isi Gin-Flaschen und stalkt Loser-Leute auf Facebook, um sich „schöner und erfolgreic­her“zu fühlen. Aber plötzlich muss sie Leo weichen, in eine schmuddeli­ge WG umziehen und sich mit dem „Musiker“Klausi (Maxi Schafroth) herumärger­n, der vergeblich auf die Karriere wartet. Isis einziges Amüsement: der Medizinstu­dent Daniel (Patrick Güldenberg), der sich zwar den ganzen Tag selbst diagnostiz­iert, aber eigentlich ganz okay ist. Helena Hufnagel inszeniert in „Einmal bitte alles“eine anrührende Tragikomöd­ie. (loi)

Einmal bitte alles

Wertung **** *

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Foto: Prokino Leo (Mark Rendall) will Alma (Gemma Arterton) für immer lieben.
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Foto: Wild Bunch Mit 50 nochmals schwanger: Karin Viard als Nicole Payan.

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