Mittelschwaebische Nachrichten
Buch auf Irrfahrt
Der Roman von Nicole Krauss lässt sich im Kino kaum bändigen
Nicht eine einzelne Hauptfigur, sondern ein verschollenes Buch, mit dem die verschiedenen Charaktere verbunden sind, steht im Zentrum von Radu Mihaileanus „Die Geschichte der Liebe“. Léo Gursky (Derek Jacobi) hat es in jungen Jahren für seine große Liebe Alma (Gemma Arterton) geschrieben, die sich aus dem polnischen Schtetl nach New York in Sicherheit bringen musste, als die Nazis ins Land einmarschierten. Das fertige Manuskript gab er einem Freund mit, der es jedoch statt zu Alma nach New York zu bringen, in Chile unter eigenem Namen veröffentlichte.
Ein Exemplar dieses Buches landete wiederum Jahrzehnte später in den Händen von Charlotte Singer (Torri Higginson) und ihrem Mann, die ihrer Tochter den Namen der Romanheldin Alma geben. Mittlerweile ist diese Alma eine heranwachsende junge Frau und macht sich in New York auf die Suche nach der Alma des Romans, während Léo in derselben Stadt als verbitterter alter Mann gegen die Gespenster der Vergangenheit kämpft.
Mit Nicole Krauss’ Roman „Die Geschichte der Liebe“hat sich Radu Mihaileanu („Zug des Lebens“) einen schwer zu bändigenden Stoff vorgenommen. Auch wenn er die wild wuchernde, fein verästelte Vorlage beherzt beschnitten hat, lässt sich die Fabulierlust, mit der Krauss literarisch zu Werke geht, nur bedingt auf die Leinwand übertragen. Mihaileanu tut sein Bestes mit frei fliegenden Kamerafahrten in die idealisierte Kindheitserinnerung, mit einem leidenschaftlichen Musik-Score, der über die verschachtelten Erzählebenen gelegt wird, und mit einem dynamischen Schnitt, der die Charaktere miteinander verbindet, lange bevor sie im Plot zueinanderfinden. Aber der mit viel cineastischer Energie befeuerte Sog der Erzählung wird immer wieder ausgebremst.
Die Geschichte der Liebe
Wertung ***** Nicole (Karin Viard) war gerade 15, als sie ihre Tochter zur Welt gebracht hat. Später kam noch ein Sohn hinzu. Nicoles 50. Geburtstag steht vor der Tür und in ihr Leben ist niemals wirklich Ruhe eingekehrt. Die Mautkassiererin steht einem Haushalt vor, der vier Generationen umfasst. Die lebensfrohe Tochter Arielle (Manon Kneusé) ist inzwischen selbst Mama und gibt die kleine Zoe (Stella Fenouillet) gern an Ersatzpflegekräfte weiter. Nicoles Mann Jean-Pierre (Philippe Rebbot) leistet als Arbeitsloser schon seit zwei Jahren keinen Beitrag zur Haushaltskasse mehr. Und Mutter Mamilette (Hélène Vincent) will gehütet und bespaßt werden.
Als Nicole ihren Arzt aufsucht, steht plötzlich die Schockdiagnose im Raum: Die Symptome der vermeintlichen Menopause waren in Wirklichkeit Hinweise auf eine Schwangerschaft! Lange bleibt das süße Geheimnis nicht verborgen und natürlich reagieren alle Familienmitglieder unterschiedlich auf die große Neuigkeit. Nicole selbst ist mit der Entscheidung überfordert. Sie will das Baby nicht. Und sie will auch nicht abtreiben.
Das Kinodebüt von Autorin und Regisseurin Nadège Loiseau gibt so manchen Anlass zum Schmunzeln. Das komische Potenzial der liebevoll gezeichneten Figuren entspringt allerdings der Tatsache, dass man Menschen wie diese aus dem eigenen Umfeld kennt. Womöglich gehört man selbst zu ihnen. Dass das zentrale Thema des Filmes die Frage nach Leben oder Tod und damit unendlich ernst ist, verliert die Geschichte niemals aus den Augen. Deshalb folgt dem Lachen häufig ein sehr anrührender Moment. Es dürfen auch Tränen vergossen werden. Karin Viard („Verstehen Sie die Béliers?“) verkörpert ihre Rolle mit dem vollen Einsatz einer echten Mutter und wächst sofort ans Herz.
Das unerwartete Glück der Familie Payan
Wertung **** * Isi (Luise Heyer) ist ein zerzauster Lockenkopf voller Ideen, das Grafikstudium hat sie in der Tasche, will Illustratorin werden und damit ihren Traum einer erfolgreichen Karriere verwirklichen. Sie zeichnet eine Graphic Novel zu F. Scott Fitzgeralds „Die Schönen und Verdammten“und fühlt sich irgendwann selber ganz schön verdammt: Seit fünf Monaten schenkt Isi als Verlagspraktikantin Kaffee aus, ihre Eltern meckern an ihrem Lebensentwurf herum und alle potenziellen Männer zwischen 20 und 30 sind absolut furchtbar. Ohne ihre Freundin Lotte (Jytte-Merle Böhrnsen) wäre ihr Dazwischen-Sein ziemlich trostlos. Mit Lotte klaut Isi Gin-Flaschen und stalkt Loser-Leute auf Facebook, um sich „schöner und erfolgreicher“zu fühlen. Aber plötzlich muss sie Leo weichen, in eine schmuddelige WG umziehen und sich mit dem „Musiker“Klausi (Maxi Schafroth) herumärgern, der vergeblich auf die Karriere wartet. Isis einziges Amüsement: der Medizinstudent Daniel (Patrick Güldenberg), der sich zwar den ganzen Tag selbst diagnostiziert, aber eigentlich ganz okay ist. Helena Hufnagel inszeniert in „Einmal bitte alles“eine anrührende Tragikomödie. (loi)
Einmal bitte alles
Wertung **** *