Mittelschwaebische Nachrichten
Und dann heben sie ab
Die Scorpions spielen vor knapp 10 000 Menschen ein blitzsauberes Konzert mit einem dicken Packen an Hits. Der heimliche Star der Band steht allerdings nicht vorne am Bühnenrand
Ulm Wenn es um das steinerne Herz ihrer Stadt geht, verstehen die Ulmer keinen Spaß. Das ist nicht irgendein Dom, sondern das Münster, Punkt. Da hätte sich Klaus Meine vielleicht vorher schlaumachen sollen, denn als er zum höchsten Kirchturm der Welt aufblickt und diesen „fantastischen Dom“lobt, erhebt sich ein leicht amüsiertes Murren auf dem Platz, dem das Münster seinen Namen gegeben hat. Das ist schnell vergessen, denn die Scorpions waren halt schon länger nicht mehr da. Zuletzt traten sie 1993 in der Donauhalle auf. Und auch da gingen die Erinnerungen Meines etwas durcheinander, denn als er von den Anfängen der Band erzählt, erwähnt er auch jenen mittlerweile legendär gewordenen Auftritt im Neu-Ulmer Konzertsaal, als die damalige Hauptband UFO ihrer deutschen Vorband den noch nicht mal volljährigen Gitarristen Michael Schenker abspenstig machte. Als behauptet, sie seien damals in Neu-Ulm „in der Donauhalle“aufgetreten, erhebt sich wieder ein Murren, denn besagte Halle steht nun mal nicht auf bayerischer Seite. Bei seinen Zwischentexten hat Klaus Meine halt keinen guten Tag erwischt. Dass er gleich zu Beginn einen falschen Song ansagt – geschenkt, kann passieren und wird mit Routine überspielt.
Überhaupt ist diese ganze Band unglaublich routiniert, kein Wunder bei dieser langen Karriere. Und so spielt sie vor knapp 10000 Menschen auf dem Münsterplatz ein ausgesprochen sauberes Konzert, das mit bunten Projektionen, animierten Filmchen und vielen Großaufnahmen zudem jede Menge für das Auge bietet. Das entschädigt für die Wartezeit, bis die Scorpions kurz vor 21 Uhr die große Rock-Maschine anwerfen.
Dass die Menge zunehmend ungeduldiger wurde, lag an der überlangen Umbaupause und keinesfalls an der exquisiten Vorband Extreme. Das beinahe in Originalbesetzung wiedervereinigte Quartett aus Boston hatte zwar mit der schönen Lagerfeuer-Ballade „More Than Words“1991 einen ordentlichen Hit gelandet, doch unter dem Strich leider nie den großen Erfolg, den es verdient hätte. Die Band spielt brodelnden Funk-Rock mit einem hyperaktiven, biegsamen Gary Cherone am Mikro und dem Wunderfinger Nuno Bettencourt an der Gitarre. Extreme sind so gut, dass sie es sich sogar leisten können, als große Queen-Verehrer die sie sind, am Ende „We Are The Champions“zu spielen. Allerdings hätte die Band mit etwas mehr Lautstärke wohl erst die verdiente Aufmerksamkeit bekommen. Was für ein Auftakt.
Doch das kann solche Routiniers wie die Scorpions nicht erschrecken. Auch sie spielen blitzsauber. Zwar sind Klaus Meine bei seinen eher steifen Bewegungen die Jahre anzumerken – der Mann wird nächstes Jahr 70 –, doch mit seiner Stimme erreicht er immer noch recht müheMeine los sämtliche geforderten Höhen. Das schaffen nur noch wenige Rocksänger der alten Garde. Und so singt er sich locker durch Songs aus vier Jahrzehnten. Die ganz alten Klopper werden zum Zack-zackMedley zusammengepackt, auch bei den reichlich vorhandenen Balladen muss stark gerafft werden – was im Falle von „Send Me An Angel“schade ist, zumal da nach etwa einer Stunde erstmals so richtige Mitsingstimmung aufkommt, die nur vom gleich anschließenden „Wind Of Change“getoppt wird.
Ansonsten bieten die Scorpions an diesem glücklicherweise trocken gebliebenen Abend eine hardrockende Rundum-glücklich-Mischung, die vor allem aus den Werken der intensiv vergoldeten 80er und frühen 90er destilliert worden ist. Die drei eher mäßigen Stücke vom aktuellen Album „Return To Forever“lassen sich da leicht verschmerzen.
Natürlich gehört die Hauptaufmerksamkeit immer denen, die ganz vorne an der Bühne stehen, doch diesmal sitzt der heimliche Star ganz hinten am Schlagzeug: Mikkey Dee. Er hat 23 Jahre lang bei Motörhead den Antreiber gespielt und dabei vermutlich so ziemlich jeden Geschwindigkeitsrekord gebrochen. Für die Scorpions muss er tempomäßig ein paar Gänge runterschalten, dennoch haut er mit dieser unglaublichen Mikkey-Dee-Wucht in die Felle, dass es eine wahre Freude ist. Endlich besitzt die Band den Krafttrommler, den sie nie hatte. Das gibt den alten Stücken neuen Schub und macht sie zu echten Rockraketen. Im Gegenzug darf dann eine kleine Verbeugung vor Motörhead sein. Der Song „Overkill“, die Mutter aller Schlagzeuggewitter, mündet in eines dieser Mikkey-Dee-Soli, die stets die Frage aufwerfen: Woher nimmt der Kerl diese Kraft? Nach gut 110 Minuten schicken die Scorpions die Menge mit „Rock You Like A Hurricane“nach Hause. Da tanzen auch Münsterplatz-Anlieger in den Fenstern.