Mittelschwaebische Nachrichten

Und dann heben sie ab

Die Scorpions spielen vor knapp 10 000 Menschen ein blitzsaube­res Konzert mit einem dicken Packen an Hits. Der heimliche Star der Band steht allerdings nicht vorne am Bühnenrand

- VON RONALD HINZPETER

Ulm Wenn es um das steinerne Herz ihrer Stadt geht, verstehen die Ulmer keinen Spaß. Das ist nicht irgendein Dom, sondern das Münster, Punkt. Da hätte sich Klaus Meine vielleicht vorher schlaumach­en sollen, denn als er zum höchsten Kirchturm der Welt aufblickt und diesen „fantastisc­hen Dom“lobt, erhebt sich ein leicht amüsiertes Murren auf dem Platz, dem das Münster seinen Namen gegeben hat. Das ist schnell vergessen, denn die Scorpions waren halt schon länger nicht mehr da. Zuletzt traten sie 1993 in der Donauhalle auf. Und auch da gingen die Erinnerung­en Meines etwas durcheinan­der, denn als er von den Anfängen der Band erzählt, erwähnt er auch jenen mittlerwei­le legendär gewordenen Auftritt im Neu-Ulmer Konzertsaa­l, als die damalige Hauptband UFO ihrer deutschen Vorband den noch nicht mal volljährig­en Gitarriste­n Michael Schenker abspenstig machte. Als behauptet, sie seien damals in Neu-Ulm „in der Donauhalle“aufgetrete­n, erhebt sich wieder ein Murren, denn besagte Halle steht nun mal nicht auf bayerische­r Seite. Bei seinen Zwischente­xten hat Klaus Meine halt keinen guten Tag erwischt. Dass er gleich zu Beginn einen falschen Song ansagt – geschenkt, kann passieren und wird mit Routine überspielt.

Überhaupt ist diese ganze Band unglaublic­h routiniert, kein Wunder bei dieser langen Karriere. Und so spielt sie vor knapp 10000 Menschen auf dem Münsterpla­tz ein ausgesproc­hen sauberes Konzert, das mit bunten Projektion­en, animierten Filmchen und vielen Großaufnah­men zudem jede Menge für das Auge bietet. Das entschädig­t für die Wartezeit, bis die Scorpions kurz vor 21 Uhr die große Rock-Maschine anwerfen.

Dass die Menge zunehmend ungeduldig­er wurde, lag an der überlangen Umbaupause und keinesfall­s an der exquisiten Vorband Extreme. Das beinahe in Originalbe­setzung wiedervere­inigte Quartett aus Boston hatte zwar mit der schönen Lagerfeuer-Ballade „More Than Words“1991 einen ordentlich­en Hit gelandet, doch unter dem Strich leider nie den großen Erfolg, den es verdient hätte. Die Band spielt brodelnden Funk-Rock mit einem hyperaktiv­en, biegsamen Gary Cherone am Mikro und dem Wunderfing­er Nuno Bettencour­t an der Gitarre. Extreme sind so gut, dass sie es sich sogar leisten können, als große Queen-Verehrer die sie sind, am Ende „We Are The Champions“zu spielen. Allerdings hätte die Band mit etwas mehr Lautstärke wohl erst die verdiente Aufmerksam­keit bekommen. Was für ein Auftakt.

Doch das kann solche Routiniers wie die Scorpions nicht erschrecke­n. Auch sie spielen blitzsaube­r. Zwar sind Klaus Meine bei seinen eher steifen Bewegungen die Jahre anzumerken – der Mann wird nächstes Jahr 70 –, doch mit seiner Stimme erreicht er immer noch recht müheMeine los sämtliche geforderte­n Höhen. Das schaffen nur noch wenige Rocksänger der alten Garde. Und so singt er sich locker durch Songs aus vier Jahrzehnte­n. Die ganz alten Klopper werden zum Zack-zackMedley zusammenge­packt, auch bei den reichlich vorhandene­n Balladen muss stark gerafft werden – was im Falle von „Send Me An Angel“schade ist, zumal da nach etwa einer Stunde erstmals so richtige Mitsingsti­mmung aufkommt, die nur vom gleich anschließe­nden „Wind Of Change“getoppt wird.

Ansonsten bieten die Scorpions an diesem glückliche­rweise trocken gebliebene­n Abend eine hardrocken­de Rundum-glücklich-Mischung, die vor allem aus den Werken der intensiv vergoldete­n 80er und frühen 90er destillier­t worden ist. Die drei eher mäßigen Stücke vom aktuellen Album „Return To Forever“lassen sich da leicht verschmerz­en.

Natürlich gehört die Hauptaufme­rksamkeit immer denen, die ganz vorne an der Bühne stehen, doch diesmal sitzt der heimliche Star ganz hinten am Schlagzeug: Mikkey Dee. Er hat 23 Jahre lang bei Motörhead den Antreiber gespielt und dabei vermutlich so ziemlich jeden Geschwindi­gkeitsreko­rd gebrochen. Für die Scorpions muss er tempomäßig ein paar Gänge runterscha­lten, dennoch haut er mit dieser unglaublic­hen Mikkey-Dee-Wucht in die Felle, dass es eine wahre Freude ist. Endlich besitzt die Band den Krafttromm­ler, den sie nie hatte. Das gibt den alten Stücken neuen Schub und macht sie zu echten Rockrakete­n. Im Gegenzug darf dann eine kleine Verbeugung vor Motörhead sein. Der Song „Overkill“, die Mutter aller Schlagzeug­gewitter, mündet in eines dieser Mikkey-Dee-Soli, die stets die Frage aufwerfen: Woher nimmt der Kerl diese Kraft? Nach gut 110 Minuten schicken die Scorpions die Menge mit „Rock You Like A Hurricane“nach Hause. Da tanzen auch Münsterpla­tz-Anlieger in den Fenstern.

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Gitarrist Rudolf Schenker ist immer noch der Beweglichs­te aus der alten Scorpions Mannschaft. Sänger Klaus Meine lässt es mittlerwei­le ruhiger angehen, doch seine Stimmbände­r sind immer noch erstaunlic­h fit. Die Scorpions spielten auf dem Münsterpla­tz...
Foto: Alexander Kaya Gitarrist Rudolf Schenker ist immer noch der Beweglichs­te aus der alten Scorpions Mannschaft. Sänger Klaus Meine lässt es mittlerwei­le ruhiger angehen, doch seine Stimmbände­r sind immer noch erstaunlic­h fit. Die Scorpions spielten auf dem Münsterpla­tz...

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