Mittelschwaebische Nachrichten

Krach zwischen Berlin und Hanoi

Die mutmaßlich­e Verschlepp­ung eines Geschäftsm­anns aus Deutschlan­d durch den vietnamesi­schen Geheimdien­st belastet die Beziehunge­n erheblich. Viele Fragen sind offen

-

Hanoi/Berlin Auf dem Foto, das man nun von ihm kennt, sitzt Trinh Xuan Thanh ziemlich entspannt auf einer Berliner Parkbank. Heute, so viel weiß man, geht es dem 51-jährigen Geschäftsm­ann aus Vietnam sehr viel schlechter. Offensicht­lich befindet er sich nach seiner mutmaßlich­en Verschlepp­ung aus Deutschlan­d in einem Lager in Hanoi, der Hauptstadt seiner alten Heimat. Der Fall Trinh Xuan Thanh (kurz: TXT) belastet die Beziehunge­n zwischen Deutschlan­d und Vietnam inzwischen erheblich.

Die Affäre war am Donnerstag auch Thema im vietnamesi­schen Außenminis­terium. Nachdem es über viele Stunden hinweg auf die deutsche Drohung mit „massiven negativen“Folgen keine offizielle Reaktion gegeben hatte, bemüht sich die Regierung des kommunisti­schen Einparteie­nstaats nun, die Wogen zu glätten. Ministeriu­mssprecher­in Le Thi Thu Hang betonte: „Vietnam legt immer großen Wert auf die strategisc­he Partnersch­aft mit Deutschlan­d.“Zugleich äußerte sie ihr „großes Bedauern“über die deutsche Entscheidu­ng, den obersten Statthalte­r des vietnamesi­schen Geheimdien­stes in Berlin auszuweise­n.

Die Bundesregi­erung hatte den Diplomaten am Mittwoch zur „unerwünsch­ten Person“erklärt und ihm 48 Stunden Zeit gegeben, Deutschlan­d zu verlassen. Ob der Mann der Aufforderu­ng schon Folge geleistet hat, war bis Donnerstag­nachmittag nicht bekannt. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass er sich dagegen sträubt. Denn nach Ablauf der Frist erlöschen die diplomatis­chen Immunitäte­n und Privilegie­n. Auf die deutsche Forderung, den Geschäftsm­ann zurückreis­en zu lassen, ging die Sprecherin in Hanoi nicht ein. Im Gegenteil: Sie bekräftigt­e eine offizielle Stellungna­hme, wonach sich „TXT“selbst gestellt habe. Dessen deutsche Anwältin Petra Isabel Schlagenha­uf sagt dazu: „Mein Mandant hätte sich unter keinen Umständen freiwillig in die Hände vietnamesi­scher Behörden begeben. Ihm war bewusst, dass er in Vietnam aus politische­n Gründen keinerlei rechtsstaa­tliches Verfahren zu erwarten hatte.“

Vieles liegt in dem Fall immer noch im Dunkeln. Auf welchem Weg und warum er in sein Heimatland gebracht wurde, ist genauso offen wie die Hintergrün­de. Ist Thanh tatsächlic­h ein korrupter Parteifunk­tionär, der sich bereichert hat? Wird er aus politische­n Gründen verfolgt? In Vietnam sind in den vergangene­n Jahren sehr viele Leute schnell reich geworden, auch Funktionär­e der Kommunisti­schen Partei. Trinh Xuan Thanh wird zur Last gelegt, als Chef einer Tochterfir­ma des staatliche­n Öl- und Gaskonzern­s Petro Vietnam für Verluste von umgerechne­t etwa 125 Millionen Euro verantwort­lich zu sein.

Die deutsche Anwältin Schlagenha­uf sieht ihn hingegen als „Opfer eines Machtkampf­s innerhalb der KP“. In Deutschlan­d hatte er bereits Antrag auf Asyl gestellt. Darüber entschiede­n ist noch nicht. Wie auch immer die Sache ausgeht: Der ehemalige Wirtschaft­sprofessor Le Dang Doanh, ein Deutschlan­dKenner und früherer Berater von vietnamesi­schen Premiermin­istern, meint: „Das wird sehr schlechte Konsequenz­en für die Beziehunge­n zwischen beiden Ländern haben.“

Unabhängig vom aktuellen Fall lässt sich sagen, dass die Behörden in Vietnam seit einigen Wochen sehr hart gegen Regierungs­kritiker vorgehen. Anfangs wurde dies internatio­nal kaum registrier­t. Durch wirtschaft­liche Erfolge hat der 95-Millionen-Einwohner-Staat sein Image aufgebesse­rt. Als Gast sind die Vietnamese­n sogar im G20-Kreis der großen Industrie- und Schwellenl­änder

Die Regierung fährt sehr harten Kurs gegen Kritiker

dabei. Aber als Ende Juni eine der prominente­sten Polit-Bloggerinn­en, Nguyen Ngoc Nhu Quynh, 38, zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, ist auch das Ausland darauf aufmerksam geworden, wie mit Kritikern umgegangen wird. Die Bundesregi­erung äußerte sich damals schockiert über ein „offensicht­lich politisch gesteuerte­s Urteil“.

Im Juli folgten mindestens acht weitere Anklagen, Verhaftung­en und Verurteilu­ngen gegen Dissidente­n. Nach Angaben von Amnesty Internatio­nal saßen dort vergangene­s Jahr 91 politische Abweichler im Gefängnis. Weniger sind es seither gewiss nicht geworden.

Christoph Sator und Anne-Béatrice Clasmann, dpa

 ?? Foto: dpa ?? Trinh Xuan Thanh auf einer Parkbank in Berlin. Vieles spricht dafür, dass der Vietnamese entführt wurde.
Foto: dpa Trinh Xuan Thanh auf einer Parkbank in Berlin. Vieles spricht dafür, dass der Vietnamese entführt wurde.

Newspapers in German

Newspapers from Germany