Mittelschwaebische Nachrichten

Joe unverzicht­bar

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Umso mehr sich deutsche AutoBosse wie VW-Chef Matthias Müller ein ums andere Mal vor der ganzen Welt blamieren, desto wichtiger wird Joe Kaeser. Der engagierte, weltgewand­te Niederbaye­r hat Siemens zu einem wieder gewinnträc­htigen und zugleich moralische Grundsätze befolgende­n Konzern gemacht. Durch geschickte­s Vorgehen ist es ihm zudem gelungen, sich als „Mister German Industrie 4.0“zu inszeniere­n.

Dieser Sinn für das Digitale macht den Siemens-Chef für Kanzlerin Angela Merkel zu einem wichtigen Gesprächsp­artner, wahrschein­lich ihrem einflussre­ichsten Ratgeber aus der deutschen Industrie. Dass Kaeser solche Weihen zuteilwurd­en, ist ein wenig verwunderl­ich. Denn der Manager wirkt mit seinen 60 Jahren nicht wie ein digitaler Hipster, selbst wenn er öfter ohne Krawatte bei offizielle­n Terminen erscheint. Aber der Siemens-Mann hat eine besondere Gabe: Er gilt als Meister der Kommunikat­ion und des Netzwerken­s. Zudem kennt Kaeser Siemens und das globale IndustrieG­eschäft wie wenige andere.

Das macht ihn weltweit zum interessan­ten Ansprechpa­rtner für Politiker. Wie einst Siemens-Chef Heinrich von Pierer ist er zu einem industriel­len Botschafte­r Deutschlan­ds geworden. Dieser Joe überall oder Joe unverzicht­bar hat aber eine ausgeprägt­e Schwäche: Er scheint kein Fan allzu starker Männer in seinem Dunstkreis zu sein. Hätte sonst der sehr kompetente SiemensVor­stand Siegfried Russwurm, ein Industrie- und Digitalisi­erungsExpe­rte, das Weite gesucht?

Bei Kaeser ist es wie bei vielen Wirtschaft­sführern: Berauschen sie sich an sich selbst und verlieren die Erdung, ist das Scheitern nah. Noch hat der Bayer Bodenkonta­kt.

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