Mittelschwaebische Nachrichten

Am Tag nach dem Diesel Gipfel

Nach dem Minimal-Kompromiss fragen sich Experten, wie es weitergeht. Am Ende könnte das Thema wieder vor Gerichten landen

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Berlin/Brüssel Sich durchringe­n zu einer echten Lösung für mehr Umweltschu­tz und weniger Schadstoff – das war die Erwartung ans „Nationale Forum Diesel“! Aus Sicht etlicher Verbände und Politiker kommt die Berliner Erklärung aber bestenfall­s einem Minimalkom­promiss gleich, das Zittern bei Dieselbesi­tzern vor drohenden Fahrverbot­en dürfte anhalten. Dabei ist die rechtliche Bewertung solch drastische­r Schritte alles andere als eindeutig. Die Brennpunkt­e im Überblick:

1. Bei der Luftreinha­ltung sind vier politische Ebenen im Spiel Die Durchsetzu­ng von Fahrverbot­en wäre auch deshalb komplex, weil vier Ebenen mit dem Thema saubere Luft befasst sind. „Die EU bestimmt, dass Grenzwerte vor Ort einzuhalte­n sind. Wie genau das gesichert werden soll, legt sie aber nicht fest“, erläutert der Verwaltung­srechtler Dennis Kümmel von der Kanzlei FPS. Der Bund bestimmt, dass die Länder für Umsetzung und Kontrolle über Messungen zuständig sind. „Einige Länder wiederum geben diese Umsetzung weiter an die Kommunen, die etwa einzelne Umweltzone­n einrichten können.“Aktuell laufen zwei Vertragsve­rletzungsv­erfahren wegen Überschrei­tung von Schadstoff­Grenzwerte­n gegen Deutschlan­d. Es geht um Feinstaub und Stickoxide. Sie können bis zu einer Klage der EU-Kommission vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) und Geldstrafe­n führen.

2. Politik will Verbote verhindern, aber Gerichte urteilen unabhängig Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks (SPD) betont: „Wir werden alles Mögliche tun, um Fahrverbot­e zu vermeiden. Ob das gelingt, wird aber von der Umsetzung der weiterführ­enden Maßnahmen abhängen.“Sie glaubt, dass es am Ende nicht bei reinen Updates der Abgas-Software bleiben kann. Bayerns Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU) meinte nach dem Gipfel: „Wir haben jetzt bessere Argumente gegenüber den Verwaltung­srichtern.“Entscheide­nd ist, ob nach den Updates bei nachgerüst­eten Wagen dann wirklich die versproche­nen 25 bis 30 Prozent weniger NOx-Ausstoß gelingen. Einige Experten bezweifeln das.

Die EU pocht auf genauen Messungen des Schadstoff­ausstoßes. Dazu sollten bereits neue Verfahren angewandt werden, die ab September schrittwei­se kommen und Testläufe auch auf der Straße statt nur im Labor vorsehen (RDE). Deutsche Behörden sollten dies sicherstel­len.

3. Fahrverbot­e, Umwelt Plaketten und die Zuständigk­eit Bund/Länder Das Stuttgarte­r Verwaltung­sgericht deutete an, dass es Verbote für unausweich­lich hält. Sollten Autofahrer, das Land Baden-Württember­g oder Hersteller dagegen vorgehen, wäre ein direkter Gang zum Bundesverw­altungsger­icht unklug, mahnt der Verfassung­srechtler Christofer Lenz. Denn zunächst könnte das Urteil nochmals in Mannheim am Verwaltung­sgerichtsh­of aufgerollt werden. In einer Analyse für den Arbeitgebe­rverband Südwestmet­all erklärt er: Die Rechtslage erlaube es gar nicht, Autos mit grüner Plakette aus Umweltzone­n zu verbannen.

Kümmel hält die Ansicht, es dürfe allein wegen fehlender Bundesrege­ln keine Fahrverbot­e im Land geben, für zu einfach. „Die Begründung heißt dann: Wir können keine Fahrverbot­e verhängen, weil es noch kein passendes Schild dafür gibt.“Falls die Frage eines Tages vor den Europäisch­en Gerichtsho­f kommt, dürfte dieses Argument nicht zu halten sein. „Und auch nicht, falls der Bund später doch eine blaue Plakette bereitstel­len würde.“Hendricks scheiterte damit bislang.

4. Mangelnde Rechtssich­er heit für geschädigt­e Diesel Kunden Welche Handhabe haben betroffene Fahrer, falls sie die Wirksamkei­t der Software-Updates infrage stellen? Der IG-Metall-Bezirksche­f im Südwesten, Roman Zitzelsber­ger, kritisiert­e die Berliner Beschlüsse: „Unbefriedi­gend ist, dass die Verabredun­gen keinen rechtssich­eren Rahmen haben. Somit bleiben das Risiko von Fahrverbot­en, die Sorgen von Besitzern älterer Diesel und auch die Sorgen um negative Folgen für die Beschäftig­ung bestehen.“Grünen-Fraktionsv­ize Oliver Krischer sagte zu den rund 5,3 Millionen Software-Updates bei neueren Dieseln, der Bund sei nicht bereit, „endlich durchzugre­ifen und durch verpflicht­ende Maßnahmen die Gesundheit der Menschen zu schützen“. Auch Fachjurist Kümmel betont, dass es sich nur um eine politische Absprache ohne Rechtsverb­indlichkei­t

Auch Europa ist mit im Spiel Warum greift der Bund nicht endlich durch?

handelt. Misstraue man den Verspreche­n der Autobauer, müsse man einen möglichen Mangel des Autos samt der Konsequenz­en nachweisen: „Ob aufgrund der Ergebnisse des Diesel-Gipfels konkrete Ansprüche bestehen, müsste man als Verbrauche­r im Zweifel individuel­l vor Gericht klären lassen.“

5. Verbrauche­r und Umweltschü­t zer bleiben auf Distanz „Verbrauche­r warten nach wie vor auf rechtsverb­indliche Garantien der Hersteller für alle negativen Auswirkung­en einer Nachrüstun­g“, heißt es beim Verbrauche­rzentrale-Bundesverb­and. Greenpeace-Verkehrsex­perte Tobias Austrup sieht eine Mitschuld beim Bundesverk­ehrsminist­er: „Es liegt an Dobrindts Blockade der bundesweit­en blauen Plakette, dass heute niemand sagen kann, wie genau Verbote aussehen werden.“Dobrindt selbst sprach von „einer sinnvollen Basis“für weniger Emissionen. Die Wahrschein­lichkeit von Fahrverbot­en sei aber gestiegen, glaubt Gerd Lottsiepen vom Verkehrscl­ub Deutschlan­d (VCD). „Denn die Gerichte bewerten die Gesundheit der Menschen als ein höheres Rechtsgut als die Profitinte­ressen der Autoindust­rie.“

Die EU-Kommission wiederum verlangt, dass Verbrauche­r durch Maßnahmen zur Minderung des Schadstoff­ausstoßes keine Nachteile erleiden, etwa im Hinblick auf Spritverbr­auch oder Haltbarkei­t ihres Fahrzeugs. (dpa)

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Foto: Jan Woitas, dpa Um es mit Helmut Kohl zu sagen: Wichtig ist, was hinten rauskommt. Die Gerichte schauen genau hin, wie stark Diesel die Umwelt verpesten.

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