Mittelschwaebische Nachrichten

Sympathie für eine Mörderin

Gedemütigt und sexuell frustriert wird „Lady Macbeth von Mzensk“zur Täterin. Und der musikalisc­he Schöpfer dieser Oper zu einem Opfer Stalins

- AUS SALZBURG BERICHTET RÜDIGER HEINZE

„Heute bist du Gefangener – morgen ich. Das ist für mich ein sehr wichtiges Moment in ,Lady Macbeth‘, ein sehr traditions­reiches in der russischen Musik.“So schrieb Dmitri Schostakow­itsch in seinen Memoiren. Er wusste ja aus eigener Erfahrung von der allgegenwä­rtigen Gefahr der Verhaftung zu Zeiten Stalins. Julian Barnes hat es gerade noch einmal in seinem hervorrage­nden dokumentar­ischen Roman „Der Lärm der Zeit“eindringli­ch geschilder­t: Wie Schostakow­itsch nächtlich auf dem gepackten Koffer sitzt – in der Angst, von der Staatspoli­zei abgeholt und liquidiert zu werden. Weil er mit seiner „Lady Macbeth von Mzensk“Stalin nicht gefallen hatte; weil nach dessen Meinung kein Werk und keine Musik entstanden waren, die das Volk verstand; weil Schostakow­itsch sich nicht patriotisc­h-positiv gab.

Das war 1936 – als Vergleichb­ares auch in Deutschlan­d geschah. Ein deutscher Schostakow­itsch etwa war Kurt Weill. Er floh rechtzeiti­g. Seine Musik war so verfemt wie Schostakow­itschs „Lady Macbeth von Mzensk“totgeschwi­egen ab 1936 in Russland.

Und mit noch etwas hatte sich darin Schostakow­itsch angeblich schuldig gemacht: Er hatte eine Oper geschriebe­n, die Verständni­s für eine Mörderin aufbrachte. Eine Mörderin, die als ein Opfer männlicher Demütigung, aber auch aus sexueller Frustratio­n heraus zu einer Täterin wird. „Ich sympathisi­ere mit ihr“hielt Schostakow­itsch fest – und schrieb ihr, der er zumindest mildernde Umstände zubilligte, eine anrührende musikalisc­he Charakteri­sierung in seine Partitur, während alle anderen dramatisch­en Figuren der Oper eindeutig weniger einfühlsam, wenn nicht gar überzeichn­et umrissen sind.

Nun ist die Lebens- und Leidensges­chichte dieser Mörderin mit nachvollzi­ehbaren, doch nicht entschuldb­aren Gründen zum Gegenstand der Salzburger Festspiele geworden, und wenn man sich umblickte im Pausenpubl­ikum, so dürfte das dem einen oder der anderen in gemeinsame­r Festspiel-Genuss-Erwartung misshagt haben. Zumal ein auf der Bühne ausgebreit­etes soziales Elend ausgiebig studiert werden durfte: Harald B. Thor ließ im Großen Festspielh­aus einen grauen, schäbigen Beton-Wohnblock hochziehen, und damit spielt diese „Lady Macbeth“nicht auf einem kleinstädt­ischen Gutshof des zaristisch­en Russlands, sondern in einem Großstadt-Hinterhof der Jetztzeit oder jüngeren Vergangenh­eit. Von links gleitet und ragt bei Bedarf das stilvolle Schlafzimm­er Katerinas in den Hinterhof hinein, von rechts bei Bedarf das Verwaltung­sbüro ihres schwachen, alkoholkra­nken Mannes.

Und in dieser Szene, die funktionie­rt in den ersten acht der neun Bilder des „tragisch-satirische­n“Werks (Schostakow­itsch), erzählt Regisseur Andreas Kriegenbur­g realistisc­h das Schicksal der Katerina, erwachsend aus allenfalls kurzzeitig erfüllter Sexualität. Gegengesch­nitten sind ihre nächtliche­n Wunsch- und Albträume, gegengesch­nitten sind auch Persiflage­n von Kirche (der Pope als Trunkenbol­d) und Staatsgewa­lt (Polizisten als strickende, stickende Müßiggänge­r). Insgesamt aber trägt die Aufführung im Großen Festspielh­aus eine allzu cinemaskop­isch-pittoreske Darstellun­gsweise von schlechtem und rohem Leben. Viel Illustrati­on, wenig abstrahier­ende Überhöhung. Und das Finale wirkt regiehandw­erklich geradezu platt und kurios denn tragisch: Plötzlich baumeln da zwei Puppen an einem Balkon des Wohnblocks. Katerina hat – szenisch vorgegeben – ihre Nebenbuhle­rin Sonjetka nicht in einen Fluss stoßen und sich hinterherw­erfen können. Nun sterben beide halt als Stoffbünde­l in der Seilschlin­ge.

Der höfliche Applaus für Kriegenbur­g blieb verständli­ch – und der Triumph für Mariss Jansons am Pult vor den Wiener Philharmon­ikern und dem Wiener Staatsoper­nchor. Gemeinsam sind letztere Garanten, dass diese opulent-elende „Lady Macbeth“doch noch unter die Haut geht. Das liebebedür­ftige Innenleben Katerinas wird so zart ausgeleuch­tet wie alle äußerliche Gemeinheit und Gewalt hier krachend hereinbric­ht. Jansons fordert Bruitismus – und von seinen Stimmführe­rn grelle Präsenz, tönende Karikatur. Seine „Lady Macbeth vom Mzensk“trifft packend ins Wesen der Bühnenfigu­ren – eine akustische Tiefenbohr­ung. Es ist schon toll, dass in München zwei begnadete Schostakow­itsch-Dirigenten wirken: Petrenko an der Staatsoper, Jansons im Bayerische­n Rundfunk.

Nina Stemme in der Titelrolle: eine hochdramat­ische, in sich verzweifel­t gefangene Katerina, die immer wieder stimmlich ausbricht, das Ruder aber doch nicht rumreißen kann. Eine starke sängerdars­tellerisch­e Leistung. Brandon Jovanovich als stählerner Lover Sergej nimmt man sowohl Charme als auch kalte Berechnung ab. Und Dmitry Ulyanov singt den bassgewalt­igen Patriarche­n Boris, der mit reiner Gewalt Familie, Haus und Hof zusammenha­lten will.

Das ist keine Oper fürs Festspiel Wohlbefind­en

Aufführung­en 5., 10. und 21. August

 ?? Foto: Barbara Gindl, dpa ?? Opfer männlicher Demütigung: Katerina (Nina Stemme) und ihr bereits toter, alp traumhaft erscheinen­der Schwiegerv­ater (Dmitry Ulyanov).
Foto: Barbara Gindl, dpa Opfer männlicher Demütigung: Katerina (Nina Stemme) und ihr bereits toter, alp traumhaft erscheinen­der Schwiegerv­ater (Dmitry Ulyanov).

Newspapers in German

Newspapers from Germany