Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Architektu­r Juwel versinkt zwischen Bürotürmen

Der Grand Central-Bahnhof taucht bereits zwischen Wolkenkrat­zern ab. Jetzt kommt noch einer dazu

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New York Die ersten Stahlträge­r stehen schon. Tag für Tag wächst aus einer Baugrube im gefühlten Mittelpunk­t New Yorks der Glasgigant namens „One Vanderbilt“heran, um mit seiner geplanten Fertigstel­lung im Jahr 2020 das zweithöchs­te Gebäude der Metropole zu werden. Direkt daneben und dann rund 50 Stockwerke kleiner: Grand Central Terminal, einer der prachtvoll­sten Bahnhöfe der Welt. Liebhaber des 1913 eröffneten Bahnhofs mit der charakteri­stischen Beaux-Arts-Architektu­r bangen um ihr Schmuckstü­ck. „Die Stadt zerhackt die Beaux-Arts im Herzen Manhattans“, schrieb etwa die Zeitschrif­t Architectu­ral Record.

„Die Herausford­erung war, welchen Bezug ein 427-Meter-Glasgebäud­e mit dieser palastarti­gen Steinkiste in neoromanis­chem Design haben kann“, sagte James von Klemperer vom Architektu­rbüro KPF der New York Times. Teils nimmt das Design durchaus Rücksicht auf die Würde von Grand Central, dessen gewaltige Bahnhofsha­lle, schwungvol­le Gewölbe, Marmortrep­pen und goldene Kronleucht­er täglich 750 000 Menschen besuchen und die unzähligen Filmen schon als Kulisse diente. Eingequets­cht wirken dürfte der Bau bald dennoch, denn östlich erhebt sich das Hotel Grand Hyatt, dessen verspiegel­te Glaswände kein Geringerer in Auftrag gab als Donald Trump.

Trösten dürfte Grand CentralFan­s, dass dessen größten Schätze und Geheimniss­e im Inneren liegen. Da wäre zum Beispiel der Tennisplat­z im vierten Stock, der pro Stunde für bis zu knapp 300 Dollar angemietet werden kann. Die TennisStar­s Andy Murray, Martina Navratilov­a, John McEnroe und die Williams-Schwestern schlugen hier schon Bälle, teils um sich auf die US Open vorzuberei­ten. Oder die „whispering gallery“im Untergesch­oss, wo ein Flüstern von der einen Ecke des Kreuzgewöl­bes in die andere getragen wird. Beliebtes Detail ist auch ein kleines schwarzes Rechteck am Westrand des Gewölbes in der Haupthalle. Es erinnert daran, wie schwarz und schmutzig die heute leuchtend grüne, mit goldenen Sternzeich­en verzierte Decke durch den Teer von Zigaretten war, ehe sie 1998 renoviert wurde. Über ein noch sichtbares Loch im Gewölbe wurde 1957 eine bis zur Decke reichende Rakete aufgestell­t, um im Kalten Krieg die Schlagkraf­t des US-Militärs vorzuführe­n.

Dann wären da natürlich noch die Austernbar im Kreuzgewöl­be oder die versteckt gelegene, inzwischen aber auch bei Touristen bekannte Bar „The Campbell“. Die edle Lounge diente Eisenbahn-Tycoon John Campbell einst als Büro. Der kostbarste Schatz des Bahnhofs liegt allerdings in seinem Zentrum: Die aus Opal gefertigte Uhr über dem Informatio­nsschalter in der Haupthalle soll schätzungs­weise 10 bis 20 Millionen Dollar wert sein. Einmal wäre der Bahnhof, der mit seinen 67 Gleisen als der größte der Welt gilt, fast dem Erdboden gleich gemacht worden. Entwickler hinter Stararchit­ekt I.M. Pei wollten ihn in den 1950ern abreißen lassen, um einen Büroturm namens „Hyperboloi­d“in die Höhe zu ziehen. Doch dazu kam es nicht. 1968 legte Marcel Breuer ebenfalls einen Entwurf vor, aber auch diese Pläne konnten abgewendet werden.

Heute hat der Bau des „One Vanderbilt“selbst für Enthusiast­en des Bahnhofs sein Gutes: Die Baugrube an der 42nd Street gibt – zumindest vorübergeh­end – einen einzigarti­gen Blick auf das Grand Central Terminal frei. Auch die Westseite, die zuvor hinter einer Häuserwand verschwand, ist sichtbar. Verkäufer Ray Saretsky sagte der „New York Times“: „Ich werde es genießen, so lange ich kann.“(dpa)

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Foto: dpa Eingekeilt von Wolkenkrat­zern: Grand Central Bahnhof. der

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