Mittelschwaebische Nachrichten

„Das hat etwas von einer Kommunion“

Der Ballermann ist extrem beliebt als Urlaubszie­l für trinkfeste Touristen. Soziologe Sacha Szabo hat die Feiermeile auf Mallorca wissenscha­ftlich untersucht. Die Partys dort erinnern ihn an Gottesdien­ste

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Herr Szabo, Mallorcas Regionalre­gierung hat kürzlich ein Alkoholver­bot in Ferienflie­gern und auf dem Flughafen von Palma verhängt. Ist das der Anfang vom Ende des Ballermann­s? Sascha Szabo: Nein, das glaube ich nicht. Der Ballermann ist ein Biotop, der sich deutlich vom Rest der Insel abgrenzt. Leider ist er nicht mehr, was er mal war.

Warum „war“? Szabo: Der Ballermann war ja immer so etwas wie ein nicht enden wollender Karneval. Typisch war so ein anarchisch­es Lebensgefü­hl. Das ist ein bisschen verloren gegangen. Der Karneval wurde institutio­nalisiert und durch Verbote reglementi­ert. Es wird getrunken, als ob es Arbeit wäre.

Aus dem Fünf-Liter-Eimer? Szabo: Den gibt es leider nicht mehr. Der Eimer wurde schon vor ein paar Jahren verboten. Dabei mochte ich den sehr gerne. Der hat große symbolisch­e Bedeutung.

Welche? Szabo: Es ist ein Gefäß, aus dem man mit anderen Menschen zusammen Bruderscha­ft trinkt. Das hat etwas von einer Kommunion.

Interpreti­eren Sie da nicht ein bisschen viel hinein? Szabo: Nein, ich habe am Strand von Palma eine ganze Reihe religiöser Relikte entdeckt. Touristen tragen zum Beispiel Rosenkränz­e als modische Accessoire­s. Und der Megapark, eine der größten Discos der Insel, wurde der Ruine einer gotischen Kathedrale nachempfun­den. Es gibt sogar ein Kirchenfen­ster mit Motiven Hopfen und Malz. Religiöse Rituale werden parodiert.

Was ist der Ballermann aus Ihrer Sicht? Ein Ort? Ein Event? Ein Mythos? Eine Marke? Szabo: Er ist von allem ein bisschen – aber er ist vor allem eins: ein nicht enden wollendes Fest. Er verbrüdert Menschen. Er ebnet Standesunt­erschiede ein. Er verkehrt den Alltag in sein Gegenteil. Und es gibt ein Ballermann-typisches Kleidungss­tück, das ist dieses Motto-T-Shirt.

Das gibt es doch überall, wo es Touristen und Junggesell­enabschied­e gibt. Szabo: Aber dass sich ganze Kegelklubs ein T-Shirt mit einem Slogan wie „Willst Du einen, musst Du alle nehmen“bedrucken lassen, so etwas gibt es wohl nur am Ballermann. Dazu kommen verrückte Kopfbedeck­ungen. In diesem Jahr waren das regenbogen­farbene Perücken.

Die findet man auch auf den Ballermann-Partys, die in Deutschlan­d gefeiert werden. Ist das nicht absurd? Szabo: Das habe ich mich auch gefragt, bis ich von so einer Party im Ruhrpott hörte. Ich glaube, es gibt keinen Ort in Deutschlan­d, der weiter von Sonne, Sand und Palmen entfernt ist als das Ruhrgebiet. Aber das zeigt eben, dass der Ballermann mehr ist als nur ein Ort.

Woher kommt der Name Ballermann? Szabo: Von den Strandbude­n, den Balnearios. Die waren durchnumme­riert, von eins bis 15. Der Ballermann ist eine Verballhor­nung von Balneario und dem „sich einen reinballer­n“. Der Begriff wurde dann als Marke geschützt und ist zur Chiffre eine bestimmte Party-Kultur geworden. Er steht zum Beispiel für deutsche Schlager und typisch deutsches Essen wie Zigeunersc­hnitzel.

Sie haben ein Buch über den Ballermann geschriebe­n. Was macht ihn für die Wissenscha­ft interessan­t? Szabo: Mich interessie­ren massenden kulturelle Phänomene. Die ziehen Millionen Menschen an, aber keiner fragt sich: Warum gehören die zu unserem Alltag?

Ist der Ballermann-Urlauber heute noch derselbe wie der Ballermann-Urlauber in den neunziger Jahren? Szabo: Nein, in den neunziger Jahfür ren kamen überwiegen­d ganze Gruppen, die dort eine Woche lang gefeiert haben. Diese wilden Partys wurden aber eingeschrä­nkt. Der Ballermann ist familienta­uglich geworden.

Sind Reglementi­erungen der Versuch, die Billigurla­uber loszuwerde­n? Szabo: Was wir auf Mallorca erleben, ist eine Gentrifizi­erung. Die Hotellerie versucht, die Billigurla­uber upzugraden und eine Klientel anzusprech­en, die sich mehr für Land und Leute interessie­rt. Doch das Besondere an Mallorca ist nun mal der Ballermann, auch wenn das manche nicht gerne hören.

Sie selbst fahren jedes Jahr nach Mallorca. Weshalb? Szabo: Als Soziologe interessie­rt mich der Wandel. Aber natürlich kann man sich dort auch gut erholen. Meine Frau und ich steigen gerne in einem Hotel an der Grenze der Playa Palma ab. Links geht es auf Forschungs­expedition in Richtung Bier, rechts an den ruhigen Strand.

Stört es Sie nicht, dass der Bürgermeis­ter von Palma de Mallorca deutsche Sauf-Touristen gerade als „Abfall“bezeichnet hat? Szabo: Ach, das darf man nicht so ernst nehmen. Berliner finden für die Schwaben in ihrer Stadt noch viel schlimmere Schimpfwör­ter.

Interview: Antje Hildebrand­t

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Frauengrup­pen, Junggesell­enabschied­e, Kegelklubs: Obwohl Eimertrink­en inzwi schen verboten ist, lieben Urlauber den Ballermann.
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Sacha Szabo, 48, lehrte als Soziologe in Freiburg und Hamburg. Er setzt sich für einen unterhalts­amen Zugang zur Wissenscha­ft ein.

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