Mittelschwaebische Nachrichten
Die Kunst des rechtzeitigen Abschieds
Eines der schwierigsten Unterfangen ist es, den Zeitpunkt für den richtigen Abschied zu finden. Ein Hinauszögern dieser Unvermeidlichkeit kann quälend lang sein. Generationen von Enkeln können nach nicht enden wollenden Besuchen bei der Erbtante ein Lied davon singen.
Im Fall des Sports hat ein zeitiger Abgang auch etwas mit dem Erhalt der Würde zu tun. Manche Fußballspieler, die auch nach der sichtlichen Überschreitung ihres Zenits noch dem Ball nachjagen, möchte man am liebsten mit dem Lasso vom Platz holen. Weltmeister Thomas Häßler zum Beispiel ging mit fast 40 Jahren noch im Abstiegskampf der österreichischen Liga auf den Rasen, anstatt seine Schuhe an den Nagel zu hängen. Rivaldo, brasilianischer WM-Gewinner 2002, beendete seine aktive Karriere vor gerade mal zwei Jahren im Alter von 43. Zwischen Weltmeistertitel und Karriereende standen Engagements bei usbekischen und angolanischen Klubs.
Am schlimmsten wird die verpasste Gelegenheit, rechtzeitig Abschied zu nehmen, vielleicht beim Boxsport vor Augen geführt. Wer es nicht sein lassen kann, sich die Handschuhe überzuziehen, verliert nicht nur Kämpfe, sondern muss für seine Unvernunft auch noch richtig bluten.
Die Geschichte des Boxens kennt viele solcher gefallenen Helden, die im Spätherbst ihrer Karriere noch richtig Dresche einstecken und ihre Beulen hinter immer größeren Sonnenbrillen verstecken mussten. Der ehemalige Weltmeister Larry Holmes konnte es drei Jahre nach seinem Karriereende nicht lassen, sich vom damaligen Champion Mike Tyson verprügeln zu lassen und musste seine einzige Niederlage nach K.o. einstecken. George Foreman wollte sogar mit 56 Jahren noch in den Ring zurück. Zum Glück für ihn kam er mit diesem Ansinnen nicht an einem unüberwindbaren Gegner vorbei: seiner Frau. Ihr Veto verhinderte damals das Comeback des ExChampions.
Wladimir Klitschko hätte mit einem Rückkampf gegen Anthony Joshua viel Geld gewinnen, aber noch mehr Ansehen verlieren können. Schon beim Kampf in London vor drei Monaten war der 14 Jahre jüngere Weltmeister Joshua klar besser, auch wenn dem Ukrainer ein Niederschlag gelungen war. Klitschko lieferte sich jedoch mit dem Briten einen der besten Kämpfe der vergangenen Jahre.
Wladimir Klitschko hat mit seinem Rücktritt die richtige Entscheidung getroffen. Für ihn bleibt zu hoffen, dass er es sich nicht noch einmal anders überlegt. Schlechte andere Beispiele gibt es genug.
George Foreman wollte mit 56 in den Ring zurück.