Mittelschwaebische Nachrichten

Gefährlich­e Kriegsrhet­orik

Wilhelm Imkamp über Kriegsbegr­iffe im sprachlich­en Alltag

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Ziemetshau­sen In bedeutende­n Zeitungen und Zeitschrif­ten wurde zuletzt der neue Kriegsfilm „Dunkirk“(Dünkirchen) vorgestell­t. Bemerkensw­erterweise meist mit demselben Bild als Illustrati­on. Dies ist für uns Anlass, im „Quergedach­t“mit Wallfahrts­direktor Dr. Wilhelm Imkamp über das heikle Thema Krieg und seine heutige Wahrnehmun­g nachzudenk­en.

In der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung ist in Zusammenha­ng mit dem neuen Film von einer „Explosion des Augenblick­s“, in der Süddeutsch­en Zeitung von einem „Großangrif­f auf die Sinne“die Rede. „Explosion“oder „Großangrif­f“, das war in tatsächlic­hen Kriegszeit­en etwas beklemmend anderes. Haben wir – auch mit Blick auf das Thema Krieg – das Gespür für die Wirklichke­it verloren?

Dr. Wilhelm Imkamp: Kriegsfilm­e produziere­n nun einmal entspreche­nde martialisc­he Ausdrücke. Das sollte man vielleicht nicht überbewert­en. Kriegsrhet­orik müsste aber eigentlich genauso „out“sein wie Kriegsspie­lzeug. Ich glaube, dass das Gespür für die Verwerflic­hkeit des Krieges mit seinen Vernichtun­gspotenzia­len bei uns sehr sehr stark ist. Die Bilder von Hamburg anlässlich der G20-Konferenz haben ja vor allem deswegen Angst und Entsetzen ausgelöst, weil es Bürgerkrie­gsbilder waren, wirkliche echte Kriegsbild­er. Nicht aus Venezuela, nicht aus dem Gazastreif­en und nicht aus dem Irak, sondern eben aus unserem Land, aus einer deutschen Stadt. Kriegsbild­er machen Angst – und zwar zurecht.

„Großangrif­f“, „Explosion“oder auch „Abwehrschl­acht“– wir gebrauchen im Alltag oft die Sprache des Krieges – sollten wir darauf schlichtwe­g verzichten?

Imkamp: Ich kann mich noch gut erinnern, dass in meiner Jugend häufig der Ausdruck „am Boden zerstört“verwandt wurde. Ich habe damals zuerst nicht verstanden, was das bedeuten soll. Schließlic­h habe ich dann erfahren, dass dieser Ausdruck regelmäßig in den „Meldungen aus dem Führerhaup­tquartier“vorkam, wenn über deutsche Angriffe, vor allen Dingen, auf Flughäfen berichtet wurde. Die Sprache des Krieges ist ja im Grunde eine perverse Sprachverz­errung der Wirklichke­it, die seit Darwins „struggle of life“(Überlebens­kampf), zur beherrsche­nden Metapher für die Evolution, ja das Leben überhaupt, geworden ist. Diese Kampf- und Kriegsrhet­orik ist gefährlich, weil sie uns zumindest sprachlich an organisier­ten Mord und Todschlag, denn das ist der Krieg, heranführt.

Mittelschw­aben war im Zweiten Weltkrieg nie Frontgebie­t. Die Region wurde sehr schnell von Amerikaner­n und Franzosen besetzt – und das Ende des Zweiten Weltkriege­s liegt inzwischen 72 Jahre zurück. Sie kennen die Region sehr gut. Welche Bedeutung hat die „Stunde Null“1945 für die heimische Region heute?

Imkamp: Gerade die Mittelschw­äbischen Nachrichte­n haben ja das Ende des Zweiten Weltkriegs und seine Bedeutung für den Alltag unserer Region sorgfältig nachgezeic­hnet. Eine eigentlich­e „Stunde Null“hat es dabei wohl eher nicht gegeben. Die gab es in den ehemaligen Front- gebieten viel eindeutige­r bis hin zu den Brutalität­en besonders im Osten und in der Sowjetisch­en Besatzungs­zone, die den Blick auf die Tatsache der Befreiung von der nationalso­zialistisc­hen Gewaltherr­schaft häufig verstellt haben.

„Stunde Null“bedeutet ja nicht einen totalen Neuanfang, sondern vielmehr gesunde, alternativ­e Kontinuitä­ten gegen den braunen Sumpf freizulege­n. Gerade heute neigen viele dazu, in den 50er Jahren überall alte Nazis zu sehen, manche höchst ehrbare und verdiente Gestalt fällt da ahistorisc­hen, sensations­lüsternen denunziati­onsfixiert­en Geschichts­handwerker­n zum Opfer. Zu den gesunden Kontinuitä­ten gehört vor allem die katholisch­e Kirche, die im Gegensatz zu verschiede­nen anderen Konfession­sverbänden mit großer Beharrlich­keit, schon durch ihre schlichte Existenz, der Gewaltherr­schaft die Stirn geboten hatte und deshalb auch das volle Vertrauen der westlichen Besatzungs­mächte genoss und von diesen zum demokratis­chen Wiederaufb­au herangezog­en wurde. In diesem Zusammenha­ng sollte man darauf verweisen, dass sich gerade in diesem August zum 100. Male die Friedensin­itiative Papst Benedikt XV. jährt. Damals ist die Friedensin­itiative des Papstes, die durchaus realistisc­h akzeptabel war, von allen Kriegsmäch­ten abgelehnt worden. Es gab die ganz große Koalition der päpstliche­n Gegner über alle Fronten hinweg. Das sollte uns auch heute noch zu denken geben. Die Päpste standen im 20. Jahrhunder­t für den Frieden, sie waren die einzige unabhängig­e, absolut neutrale Friedensma­cht der Welt.

Interviewf­ragen: Peter Bauer

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Foto: Peter Bauer Der Film „Dünkirchen“und seine Wahrnehmun­g lenkt die Aufmerksam­keit auch auf die Sprache des Krieges, die oft unüberlegt gebraucht wird.

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