Mittelschwaebische Nachrichten

Hat der Verfassung­sschutz zu viele Rechte?

Politik Die Grünen klagegen gegen das neue bayerische Landesgese­tz. Es geht vor allem um das Thema Überwachun­g. Was sie daran besonders stört

- VON HENRY STERN

München Ist ausgerechn­et das Bayerische Verfassung­sschutzges­etz verfassung­swidrig? „In weiten Teilen: ja“, findet Katharina Schulze, die Fraktionsc­hefin der Grünen im Landtag. Die Grünen reichen deshalb jetzt vor dem Bayerische­n Verfassung­sgerichtsh­of eine Klage gegen die vor rund einem Jahr in Kraft getretene Neuregelun­g ein.

Diese sieht eine deutliche Ausweitung der Rechte und Befugnisse des Bayerische­n Landesamte­s für Verfassung­sschutz (LfV) vor: So kann die Landesbehö­rde nun auf Telefondat­en aus der Vorratsdat­enspeicher­ung zurückgrei­fen. Auch Online-Durchsuchu­ngen von Computern oder Smartphone­s darf der Verfassung­sschutz nun durchführe­n.

Alles Kompetenze­n, die bundesweit und in allen anderen Bundesländ­ern nur Polizeibeh­örden und Staatsanwä­lten zur Gefahrenab­wehr gestattet sind – nicht aber dem Verfassung­sschutz, dessen zentrale Aufgabe bislang die Informatio­nsbeschaff­ung über verfassung­sfeindlich­e Personen und Organisati­onen ohne direkte Eingriffsb­efugnisse war. Selbst Kinder unter 14 Jahren kann der bayerische Verfassung­sschutz mithilfe des neuen Gesetzes überwachen. Mit Einschränk­ungen ist auch die Bespitzelu­ng besonders geschützte­r Berufsgrup­pen wie Rechtsanwä­lte oder Journalist­en möglich. Vom Verfassung­sschutz bezahlte Informante­n können nicht mehr nur in gewaltbere­ite Gruppierun­gen eingeschle­ust werden, sondern auch in bislang nicht gewalttäti­ge staatskrit­ische Bewegungen. „Es ist eine klare Kiste, dass von den 30 Artikeln des Bayerische­n Verfassung­sschutzges­etzes mindestens ein Drittel einer verfassung­srechtlich­en Prüfung nicht standhält“, glaubt der Mainzer Rechtsprof­essor Matthias Bäcker, der für die Landtags-Grünen die Klageschri­ft formuliert hat. So widersprec­he das Landesgese­tz in Teilen sowohl geltendem Bundesrech­t als auch der aktuellen Rechtsprec­hung – etwa dem „BKAUrteil“des Bundesverf­assungsger­ichts aus dem April 2016, das bei staatliche­r Überwachun­g einen ausreichen­den Schutz der Grundrecht­e der Betroffene­n einfordert­e. Auch die nun mögliche Weitergabe bei Überwachun­g gewonnener Informatio­nen an Geheimdien­ste im Ausland „ist so, wie es das Gesetz vorsieht, verfassung­swidrig“, findet Bäcker.

Politisch stören sich die Grünen zudem an der Aufweichun­g der strikten Trennung zwischen Polizei und Verfassung­sschutz in Bayern: „Die klare Trennung führt zu einer starken Balance und gegenseiti­gen Kontrolle“, findet Schulze.

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Foto: Jens Büttner, dpa Seit der Neuregelun­g kann der Verfassung­sschutz auch Informatio­nen aus der Vor ratsdatens­peicherung bekommen.

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