Mittelschwaebische Nachrichten
Aiwanger Besuch als gutes Omen?
Paul Heinle hofft bei Auftritt von Freie-Wähler-Chef in Freihalden auf französische Verhältnisse
Freihalden Hubert Aiwanger hatte gerade eine Viertelstunde gesprochen und kam so richtig in Fahrt. Er hatte den etablierten Parteien im Bund und Land bereits gehörig die Leviten gelesen. Jetzt nannte er es einen Skandal, dass Hebammen so schlecht bezahlt und immer mehr Geburtsstationen auf dem Land geschlossen werden. Just da setzte das 20-Uhr-Glockengeläut vom nahen Kirchturm ein. „Hoffentlich ist das keine Gegenreaktion der CSU“, scherzte der bundes- und bayerische Landesvorsitzende der Freien Wähler. „Nein“, widersprach Aiwanger sich sogleich selber, „das ist Beifall vom lieben Gott.“Viele der etwa 150 Besucher der Wahlkampfveranstaltung in Freihalden lachten und applaudierten.
Das war die Grundstimmung beim Auftritt des 46-jährigen Landtagsabgeordneten bei „Pizza und Politik“im Hof der Dorfbäckerei Vogg. Aiwanger traf den Nerv seines Publikums. Er präsentierte die Freien Wähler als Anwalt der kleinen Leute, des Mittelstandes, des deutschen Handwerks mit MeisterQualität und der bäuerlichen Landwirtschaft sowie als entschiedener Gegner einer Politik für die Finanzhaie, Großkonzerne und Lobbyisten. Der gelernte Landwirt und Agrar-Ingenieur aus Rahstorf im Landkreis Landshut empfahl die „regionale Energiewende anstatt des energiepolitischen Größenwahns“. Der ländliche Raum müsse wieder attraktiv gemacht werden. „Ich will kein Bayern, das immer mehr nur noch ein Groß-München ist“, wetterte Aiwanger. Auf dem Land seien noch die tugendhaften Werte und guten Sitten zu Hause. Darauf müsse sich ganz Deutschland zurückbesinnen. Er forderte das verpflichtende Soziale Jahr für alle jungen Menschen, für Männer und Frauen. Auch Migranten, vor allem muslimischer Prägung, sollten sich „vor Ort in die Gesellschaft einbringen“, statt ihnen „aus falsch verstandener politischer Korrektheit eine Parallelkultur zu erlauben“. Wer im Dorf bei der Freiwilligen Feuerwehr, in den Vereinen oder in der Landjugend moralisch verankert sei, der verfalle nicht dem mörderischen Terror oder dem gewalttätigen Extremismus. „Ich will, dass die Polizei noch Herr der Lage ist und nicht der Prügelknabe der Nation“, spielte Aiwanger auf die Krawalle beim G20-Gipfel in Hamburg an.
Gut eine Stunde lang jonglierte er mit den Themen der Freien Wähler. Die Zuhörer erlebten einen schnörkellosen Schnellredner, der es mit Dieter Thomas Heck zu dessen besten Zeiten, aufnehmen könnte. „Äh“-frei und ungekünstelt spielte Aiwanger auf der Klaviatur der Zuspitzungen sowie einprägsamen Beispielen und Vergleichen. Manche Polemik blieb nicht aus.
Der Euro und Europa gerieten wegen der Rettungsschirme, vor allem für Griechenland, „immer mehr in die Schieflage“, gab sich Aiwanger als niederbayerische Kassandra. Darum und wegen ihrer anfänglichen Flüchtlingspolitik sei Bundeskanzlerin Angela Merkel „die politische Mutter der AfD“. Die Menschen in Deutschland seien „nicht politikverdrossen, sondern politikerverdrossen“. Als Abhilfe riet Hubert Aiwanger zu einer „bewährten bürgerlich-wertkonservativen Kraft“, selbstredend den Freien Wählern.
Der vielbeklatschte Lokalmatador Paul Heinle gab in seiner Euphorie über die „flammende Rede“des Bundesvorsitzenden jegliche Zurückhaltung auf. Das Mitglied des Marktgemeinderats von Jettingen-Scheppach, der Aiwanger als Unterstützung für seine Listenkandidatur bei der Bundestagswahl nach Freihalden geholt hatte, prognostizierte sogar: „Vor der Europawahl war Ulrike Müller bei uns. Danach ist sie ins Europaparlament gekommen. Heute bist du, lieber Hubert, da. Ich sage, wir kommen nicht nur über die Fünf-Prozent-Hürde, sondern kriegen acht oder vielleicht sogar 20 Prozent – wie in Frankreich“.