Mittelschwaebische Nachrichten
Auch der Bundespräsident kannte den Reiz der Region
Was der Kammeltaler Ortsteil Ried außer einem seit fast 125 Jahren bestehenden Dorfladen zu bieten hat und zu wem er einst gehörte
Ried Es ist ziemlich ruhig in dem Örtchen. Unter der drückenden Sommerhitze mit tropischen Temperaturen in diesen Tagen will sich wohl niemand gern unnötig lange im Freien aufhalten. Ried wirkt fast wie ein Dorf in der italienischen Toscana – beinahe wie ausgestorben. Nur hin und wieder rollt ein Auto oder Kleintransporter über die Staatsstraße von Nord nach Süd oder ein Bauer düst mit seinem Traktor Richtung Feld.
Doch halt, da dringt ein bekanntes Geräusch durch die Stille am frühen Nachmittag. Ein elektrisch betriebener Rasenmäher brummt. Ein ebenso betagter wie rüstiger Senior schiebt das Gerät durch seinen Garten. Es ist Helmut Kugler. Dem bald 75-Jährigen stehen angesichts der drückenden Schwüle die Schweißtropfen auf der Stirn. Warum tut sich das der Mann mit dem wallenden weißen Bart an bei diesen extremen klimatischen Bedingungen? „Ach, ich kann ja immer wieder Pause machen“, kommt es zurück und die Augen blinzeln in die Sonne. „Außerdem hab’ ich ja auch Schatten.“Der kommt von den Obstbäumen im Garten des Anwesens. Äpfel, Birnen und Zwetschgen wachsen dort. Auf die Beerensträucher ist der Senior besonders stolz.
Schräg gegenüber leuchtet ein größeres dreistöckiges Gebäude mit weißer Fassade in der flirrenden Hitze. Es ist die frühere Schule in Ried. Helmut Kugler hat sie bis zur achten Klasse besucht, von 1948 bis 1956. Dann folgte eine Ausbildung an der landwirtschaftlichen Berufsschule in Krumbach. Einen Großteil seines Lebens hat er nicht in der Landwirtschaft geschuftet, sondern als Tiefbauer, Dachdecker und Zimmerer. Und er hat sich kräftig ehrenamtlich engagiert im Heimatort, war zehn Jahre Fahnenträger beim Soldaten- und Kameradschaftsverein: „Ab und zu helfe ich immer noch aus“, sagt er. Wenn er gerade nicht im heimischen Garten für Ordnung sorgt, zieht’s ihn zum Einkaufen. Dann schwingt er sich aufs Fahrrad, radelt bis Neuburg und fährt von dort nach Krumbach. Bleibt in seiner Rentnerfreizeit noch Platz, geht’s zum Stammtisch bei der Behlinger Männerrunde.
Und dann erwähnt das Rieder Urgestein am Rande, dass er als Bub Ministrant beim damaligen Ortspfarrer Georg Kempter war. Der rührige Geistliche und Behlinger Ehrenbürger wirkte 43 Jahre in den
Der Limburger wird im Dorfladen von den meisten verlangt
bis zur Gebietsreform ehemals selbstständigen Gemeinden und verfasste eine umfangreiche Ortschronik. Daraus ist zu entnehmen, dass Ried nicht von Roden stammt, sondern eine mit Schilf und Sumpfgras bewachsene Gegend an der Kammel bezeichnet, was mit dem sonst gebräuchlichen Moor gleichzusetzen ist. Das wurde dann zum Ortsnamen, der erstmals 1380 erwähnt wurde. Mittlerweile bildet die kleine Schwester von Behlingen mit dem Nachbarort eine nur durch die Kammel getrennte Siedlungseinheit in der Großgemeinde Kammeltal. Die Verflechtungen zwischen den Ortsteilen laufen teilweise schon seit Jahrzehnten. Feuerwehr, Schützen, Sportverein und Musiker, ja sogar ein Seniorentreff werden gemeinsam mit Leben erfüllt.
Nicht immer waren die Beziehungen so intensiv und harmonisch. Es gab Zeiten, da verspotteten sich die Bewohner: „Rieder, Rieder, Supersieder“, skandierten die einen, „Nadelstupfer“die anderen. Daran kann sich Irmgard Leising noch gut erinnern. An der Hauptstraße 33 des lang gezogenen Dorfes betreibt sie mit ihrem Sohn Markus ein Ge- schäft. Die Molkerei und „Spezerei“, wie es anfangs noch hieß, existiert seit bald 125 Jahren. Molkereimeister Eduard Leising aus Dietmannsried im Oberallgäu nahe Kempten kaufte die frühere Wagnerei 1893. Seitdem ist das Geschäft in Familienbesitz. Und es ist ein typischer Dorfladen geblieben. Der Schwerpunkt liegt – ganz klar – beim Käse. Am meisten verlangt wird seit 51 Jahren, soweit die Seniorchefin zurückblicken kann, der Limburger. Aus der Molkerei stammen außerdem Camembert, Steinbuscher, Landkäse, Erntekäse, Bärlauchund Bockshornkleekäse und selbstredend mildgesäuerte Fassbutter. Wer sonst noch notwendige Dinge fürs tägliche Leben braucht, bekommt sie bei Leising genauso von A wie Apfelsaft bis Z wie Zwieback. Aber sie kennt die Probleme, wie sie in vielen kleinen Orten existieren: Viele Menschen fahren meist mit dem Auto zum Einkaufen, statt den eigenen Dorfladen zu besuchen. Öffnungszeiten fast rund um die Uhr und am Wochenende, wie es in früheren Zeiten bei solchen Krämerläden üblich war, kommen für die Seniorchefin aber trotz der große Konkurrenz nicht in Frage.
Andererseits erstaunlich für ein derart kleines Dorf wie Ried mit seinen knapp 300 Einwohnern: Es gibt mehrere Autoverkaufs- und Reparaturbetriebe, dazu eine Biogasanlage sowie Firmen aus der Bau- und Metallbranche. Ein herausragendes Ereignis aus der jüngeren Geschichte hat mit einem Besuch 1981 zu tun. Der damalige Bundespräsident Karl Carstens durchwanderte die Region und kam bis ins kleine Waldheim, der Weiler gehört zum Ort. Bemerkenswert an der Historie von Ried ist, dass es nicht wie ein Großteil der Gemeinden im Bereich Kammeltal zur Reichsabtei Wettenhausen gehörte, sondern sich zeitweise im Besitz des Freiherrn von Stauffenberg, zu Eberstall und Neuburg an der Kammel befand. Von dieser wechselvollen Vergangenheit ist heute im Dorf südlich von Ettenbeuren, das vor der Gebietsreform zum damaligen Kreis Krumbach gehörte, nichts mehr zu erkennen. In der seit Tagen anhaltenden tropischen Hitze hinterlässt der Ort einen beschaulichen und friedlichen Eindruck. Nur ab und an durchbricht ein Brummen die Stille, wenn Helmut Kugler den Mäher anstellt.