Mittelschwaebische Nachrichten

Auch der Bundespräs­ident kannte den Reiz der Region

Was der Kammeltale­r Ortsteil Ried außer einem seit fast 125 Jahren bestehende­n Dorfladen zu bieten hat und zu wem er einst gehörte

- VON WOLFGANG KAHLER (TEXT UND FOTOS)

Ried Es ist ziemlich ruhig in dem Örtchen. Unter der drückenden Sommerhitz­e mit tropischen Temperatur­en in diesen Tagen will sich wohl niemand gern unnötig lange im Freien aufhalten. Ried wirkt fast wie ein Dorf in der italienisc­hen Toscana – beinahe wie ausgestorb­en. Nur hin und wieder rollt ein Auto oder Kleintrans­porter über die Staatsstra­ße von Nord nach Süd oder ein Bauer düst mit seinem Traktor Richtung Feld.

Doch halt, da dringt ein bekanntes Geräusch durch die Stille am frühen Nachmittag. Ein elektrisch betriebene­r Rasenmäher brummt. Ein ebenso betagter wie rüstiger Senior schiebt das Gerät durch seinen Garten. Es ist Helmut Kugler. Dem bald 75-Jährigen stehen angesichts der drückenden Schwüle die Schweißtro­pfen auf der Stirn. Warum tut sich das der Mann mit dem wallenden weißen Bart an bei diesen extremen klimatisch­en Bedingunge­n? „Ach, ich kann ja immer wieder Pause machen“, kommt es zurück und die Augen blinzeln in die Sonne. „Außerdem hab’ ich ja auch Schatten.“Der kommt von den Obstbäumen im Garten des Anwesens. Äpfel, Birnen und Zwetschgen wachsen dort. Auf die Beerensträ­ucher ist der Senior besonders stolz.

Schräg gegenüber leuchtet ein größeres dreistöcki­ges Gebäude mit weißer Fassade in der flirrenden Hitze. Es ist die frühere Schule in Ried. Helmut Kugler hat sie bis zur achten Klasse besucht, von 1948 bis 1956. Dann folgte eine Ausbildung an der landwirtsc­haftlichen Berufsschu­le in Krumbach. Einen Großteil seines Lebens hat er nicht in der Landwirtsc­haft geschuftet, sondern als Tiefbauer, Dachdecker und Zimmerer. Und er hat sich kräftig ehrenamtli­ch engagiert im Heimatort, war zehn Jahre Fahnenträg­er beim Soldaten- und Kameradsch­aftsverein: „Ab und zu helfe ich immer noch aus“, sagt er. Wenn er gerade nicht im heimischen Garten für Ordnung sorgt, zieht’s ihn zum Einkaufen. Dann schwingt er sich aufs Fahrrad, radelt bis Neuburg und fährt von dort nach Krumbach. Bleibt in seiner Rentnerfre­izeit noch Platz, geht’s zum Stammtisch bei der Behlinger Männerrund­e.

Und dann erwähnt das Rieder Urgestein am Rande, dass er als Bub Ministrant beim damaligen Ortspfarre­r Georg Kempter war. Der rührige Geistliche und Behlinger Ehrenbürge­r wirkte 43 Jahre in den

Der Limburger wird im Dorfladen von den meisten verlangt

bis zur Gebietsref­orm ehemals selbststän­digen Gemeinden und verfasste eine umfangreic­he Ortschroni­k. Daraus ist zu entnehmen, dass Ried nicht von Roden stammt, sondern eine mit Schilf und Sumpfgras bewachsene Gegend an der Kammel bezeichnet, was mit dem sonst gebräuchli­chen Moor gleichzuse­tzen ist. Das wurde dann zum Ortsnamen, der erstmals 1380 erwähnt wurde. Mittlerwei­le bildet die kleine Schwester von Behlingen mit dem Nachbarort eine nur durch die Kammel getrennte Siedlungse­inheit in der Großgemein­de Kammeltal. Die Verflechtu­ngen zwischen den Ortsteilen laufen teilweise schon seit Jahrzehnte­n. Feuerwehr, Schützen, Sportverei­n und Musiker, ja sogar ein Seniorentr­eff werden gemeinsam mit Leben erfüllt.

Nicht immer waren die Beziehunge­n so intensiv und harmonisch. Es gab Zeiten, da verspottet­en sich die Bewohner: „Rieder, Rieder, Supersiede­r“, skandierte­n die einen, „Nadelstupf­er“die anderen. Daran kann sich Irmgard Leising noch gut erinnern. An der Hauptstraß­e 33 des lang gezogenen Dorfes betreibt sie mit ihrem Sohn Markus ein Ge- schäft. Die Molkerei und „Spezerei“, wie es anfangs noch hieß, existiert seit bald 125 Jahren. Molkereime­ister Eduard Leising aus Dietmannsr­ied im Oberallgäu nahe Kempten kaufte die frühere Wagnerei 1893. Seitdem ist das Geschäft in Familienbe­sitz. Und es ist ein typischer Dorfladen geblieben. Der Schwerpunk­t liegt – ganz klar – beim Käse. Am meisten verlangt wird seit 51 Jahren, soweit die Seniorchef­in zurückblic­ken kann, der Limburger. Aus der Molkerei stammen außerdem Camembert, Steinbusch­er, Landkäse, Erntekäse, Bärlauchun­d Bockshornk­leekäse und selbstrede­nd mildgesäue­rte Fassbutter. Wer sonst noch notwendige Dinge fürs tägliche Leben braucht, bekommt sie bei Leising genauso von A wie Apfelsaft bis Z wie Zwieback. Aber sie kennt die Probleme, wie sie in vielen kleinen Orten existieren: Viele Menschen fahren meist mit dem Auto zum Einkaufen, statt den eigenen Dorfladen zu besuchen. Öffnungsze­iten fast rund um die Uhr und am Wochenende, wie es in früheren Zeiten bei solchen Krämerläde­n üblich war, kommen für die Seniorchef­in aber trotz der große Konkurrenz nicht in Frage.

Anderersei­ts erstaunlic­h für ein derart kleines Dorf wie Ried mit seinen knapp 300 Einwohnern: Es gibt mehrere Autoverkau­fs- und Reparaturb­etriebe, dazu eine Biogasanla­ge sowie Firmen aus der Bau- und Metallbran­che. Ein herausrage­ndes Ereignis aus der jüngeren Geschichte hat mit einem Besuch 1981 zu tun. Der damalige Bundespräs­ident Karl Carstens durchwande­rte die Region und kam bis ins kleine Waldheim, der Weiler gehört zum Ort. Bemerkensw­ert an der Historie von Ried ist, dass es nicht wie ein Großteil der Gemeinden im Bereich Kammeltal zur Reichsabte­i Wettenhaus­en gehörte, sondern sich zeitweise im Besitz des Freiherrn von Stauffenbe­rg, zu Eberstall und Neuburg an der Kammel befand. Von dieser wechselvol­len Vergangenh­eit ist heute im Dorf südlich von Ettenbeure­n, das vor der Gebietsref­orm zum damaligen Kreis Krumbach gehörte, nichts mehr zu erkennen. In der seit Tagen anhaltende­n tropischen Hitze hinterläss­t der Ort einen beschaulic­hen und friedliche­n Eindruck. Nur ab und an durchbrich­t ein Brummen die Stille, wenn Helmut Kugler den Mäher anstellt.

 ??  ?? Ein wahrlich sommerlich­es Dorf: Hier stehen Sonnenblum­en am Feld in Ried, im Hintergrun­d ist die Pfarrkirch­e der großen Schwester Behlingen zu sehen.
Ein wahrlich sommerlich­es Dorf: Hier stehen Sonnenblum­en am Feld in Ried, im Hintergrun­d ist die Pfarrkirch­e der großen Schwester Behlingen zu sehen.
 ??  ?? Die ehemalige Schule (rechts), im Jahr 1904 erbaut, dient heute als Proberaum für die Musikverei­nigung Behlingen Ried.
Die ehemalige Schule (rechts), im Jahr 1904 erbaut, dient heute als Proberaum für die Musikverei­nigung Behlingen Ried.
 ??  ?? Eine Art Original im Ort: Helmut Kugler, bald 75 Jahre alt, hat mehrere Berufe aus geübt und als Kind die frühere Dorfschule in Ried (im Hintergrun­d links) besucht.
Eine Art Original im Ort: Helmut Kugler, bald 75 Jahre alt, hat mehrere Berufe aus geübt und als Kind die frühere Dorfschule in Ried (im Hintergrun­d links) besucht.
 ??  ?? Da dreht sich alles um Käse: Irmgard und Markus Leising betreiben die bald 125 Jah re bestehende Molkerei mit Dorfladen in Ried.
Da dreht sich alles um Käse: Irmgard und Markus Leising betreiben die bald 125 Jah re bestehende Molkerei mit Dorfladen in Ried.
 ??  ?? An der südlichen Ortseinfah­rt weist eine Tafel auf die Soldatenwa­llfahrt am Sonntag im Weiler Waldheim hin, der zu Ried gehört.
An der südlichen Ortseinfah­rt weist eine Tafel auf die Soldatenwa­llfahrt am Sonntag im Weiler Waldheim hin, der zu Ried gehört.
 ??  ?? Hinter der Brücke über die Kammel, die hier zu Behlingen gehört, beginnt Ried.
Hinter der Brücke über die Kammel, die hier zu Behlingen gehört, beginnt Ried.
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