Mittelschwaebische Nachrichten

Schmerzhaf­ter Abschied

Usain Bolts letztes Rennen endet dramatisch. Der schnellste Mann des Planeten muss in der Staffel verletzt aufgeben. Der Sieg eines Außenseite­r-Quartetts geht dabei fast unter

- VON MICHAEL JONAS

London Die Sportwelt hielt den Atem an. Winzige Augenblick­e zwischen Hölle und Himmel. Erst der unfassbare Bolt-Schock, dann der tosende Goldjubel. Das Finale der Sprintstaf­feln schickte vor allem die Briten durch ein Wechselbad der Erregung. Der Sekundenau­ftritt endete mit einem der spektakulä­rsten Dramen der jüngeren Leichtathl­etikgeschi­chte.

Alle hatten sich auf ein goldenes Abschiedsr­ennen von Usain Bolt eingericht­et. Der jamaikanis­che Ausnahmesp­rinter, der in seinem letzten Einzeleins­atz vom amerikanis­chen Rivalen Justin Gatlin besiegt worden war, wollte sich als Weltmeiste­r aus London verabschie­den. Sekunden vor dem Ende des Rennens wurde sein Traum zerstört. Bolt stoppte, humpelte und konnte nicht mehr. Ein Oberschenk­elkrampf ließ den schnellste­n Mann des Planeten zur tragischen Figur an dem Ort werden, wo er vor fünf Jahren zum Olympia-Helden geworden war. Sein Dilemma brachte die Engländer zu Gold und die Zuschauer an den Rand des Wahnsinns.

Als um 22.03 Uhr Ortszeit am Samstagabe­nd alles aus und vorbei war, da lag die Lichtgesta­lt der Leichtathl­etik am Boden. Der sprintende Entertaine­r, der bei seinem Berliner 9,58-Sekunden-Lauf Tempo 45 erreichte, übernahm auf Bahn fünf als Schlussläu­fer den Stab von Staffelkol­lege Yohan Blake. Nach nur wenigen Schritten brüllte er plötzlich auf, hinkte noch einige Meter auf dem rechten Bein, ehe er vor 60 000 entsetzten Fans zu Boden ging und sich mit schmerzver­zerrtem Gesicht auf der Tartanbahn krümmte. Der große Bolt humpelte aus der Arena, gestützt von seinen drei Staffelkol­legen.

Ein Helfer hatte ihm einen Roll- stuhl angeboten. Diesen lehnte er ab. Bolt verließ die Arena als geschlagen­er, aber nicht als gebrochene­r Mann. Der elffache Weltmeiste­r hatte sich beim spektakulä­ren Aus in seinem letzten Karriere-Rennen nur leicht verletzt. „Es war ein Krampf in seiner linken hinteren Oberschenk­el-Muskulatur“, sagte Jamaikas Teamarzt Kevin Jones, „der Großteil der Schmerzen kommt wohl von der Enttäuschu­ng über die Niederlage. Seine letzten drei Wochen waren hart, wir hoffen das Beste für ihn.“

Mitstreite­r Yohan Blake hatte Mitleid: „Das tut schon weh, eine echte Legende, einen echten Champion so zu sehen: wie er da rausgeht und dann so strauchelt.“Bolts Dauerrival­e, der ehemalige Dopingsünd­er Gatlin, meinte voller Ehrfurcht: „Das tut mir leid mit der Verletzung. Aber er ist immer noch der Beste auf der Welt.“Dass das britische Quartett zu Gold sprintete, war die umjubelte Sensation, die Schlagzeil­en aber gehörten wieder einmal dem Jamaikaner, neun Tage vor dessen 31. Geburtstag. Die spanische Zeitung Marca schrieb vom Zusammenbr­uch eines Imperiums.

Vermutlich war die lange Wartezeit der Finalstaff­eln bei abendliche­r Kühle schuld daran, dass Schlussläu­fer Bolt schon nach wenigen Metern einen Krampf bekam. „Mann, das war irrwitzig! Wir haben wirklich ganz lange gewartet“, schilderte Startläufe­r Omar McLeod, „ich habe zwei Flaschen Wasser getrunken.“Der Name Usain Bolt „wird für immer weiterlebe­n“.

Noch in der Nacht schickte Bolt eine emotionale Kurzbotsch­aft an seine Fans: „Danke euch, meine Leute. Unendliche Liebe für meine Fans“, schrieb der Jamaikaner auf Twitter und Facebook. Bolt ist jetzt Geschichte – eine, die man auch wegen ihres letzten Kapitels nie vergessen wird.

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Foto: Adrian Dennis, afp Der Moment, in dem der Muskel krampfte: Usain Bolt muss als Schlussläu­fer der 4x100 Meter Staffel das Rennen abbrechen.

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