Mittelschwaebische Nachrichten

Müssen wir Angst vor einem Krieg haben?

Außenminis­ter Sigmar Gabriel fürchtet, dass der Konflikt zwischen den USA und Nordkorea weiter eskaliert. Was dem SPD-Politiker am meisten Sorgen macht und wie er über den martialisc­hen Ton von Donald Trump denkt

- Sind Trumps Drohungen nicht nur Gerede? Foto: Sabine Tesche Interview: Stefan Lutz und Margit Hufnagel

Herr Gabriel, müssen wir Angst vor einem Krieg haben? Der Krieg der Worte ist jedenfalls schon ausgebroch­en zwischen den USA und Nordkorea. Sigmar Gabriel: Die Antwort darauf fällt mir schwer: Ich will Menschen nicht Angst machen, aber gleichzeit­ig auch nichts verharmlos­en. Wir Europäer haben eine Erfahrung gemacht, die man nicht unterschät­zen darf. Wir sind in den Ersten Weltkrieg, wie die Historiker sagen, wie die Schlafwand­ler gegangen, weil keiner mehr miteinande­r geredet hat, sondern in allen Ländern nur Kriegsgesc­hrei herrschte. Und am Ende landen Sie in einem Krieg, weil keiner mehr an Diplomatie und Gespräche denkt. Helmut Schmidt hat einmal gesagt: „100 Stunden reden ist besser als eine Minute schießen.“Das muss auch jetzt die Linie sein. Was im Konflikt zwischen den USA und Nordkorea Sorgen machen muss, ist, dass diese Kriegsrhet­orik immer stärker wird. Auf der anderen Seite gibt es auch beruhigend­e Signale. Ich finde die Strategie des amerikanis­chen Außenminis­ters Rex Tillerson klug, der sagt, wir wollen eine atomfreie koreanisch­e Halbinsel, aber keinen Regime-Wechsel. Deshalb würde ich auf Ihre Frage sagen: Aktuell gibt es die Sorge vor einem Krieg nicht. Aber manchmal passieren Dinge, die gar nicht beabsichti­gt sind. Davor habe ich am meisten Angst. Gabriel: Ich nehme die Bemerkunge­n des amerikanis­chen Präsidente­n ernst. Er sagt, „der Colt ist geladen und entsichert“und „wir werden Feuer und Wut über die Welt bringen“. Gleichzeit­ig sagt der amerikanis­che Verteidigu­ngsministe­r zu Recht: Ein Krieg würde so unvorstell­bar viele Leben kosten, wie wir es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt haben. Nordkorea hat genug auch konvention­elle Waffen, um Seoul massiv anzugreife­n. Deswegen sagen wir: Das ist die Stunde der Diplomatie und nicht des Kriegsgesc­hreis. Nicht nur wir Europäer, sondern noch viele andere auf der Welt haben diese Verpflicht­ung. Der Schlüssel zu einer politische­n Lösung liegt in China und auch in Russland.

Wie groß ist der Einfluss aus Peking und Moskau auf Pjöngjang? Gabriel: Er ist groß, aber nicht unbegrenzt. Die gesamte wirtschaft­liche Entwicklun­g Nordkoreas hängt letztlich von China ab. Wenn die Chinesen und die Russen die Sanktionsb­eschlüsse der Vereinten Nationen umsetzen, ist das für Nordkorea schon ein Riesenprob­lem.

Wer kann Trump und Kim Jong Un überhaupt noch in den Arm fallen? Gabriel: Zunächst: Ich würde Donald Trump und Kim Jong Un nicht gleichsetz­en. Die eigentlich­e Gefahr geht von Nordkoreas Diktator aus, der Atomwaffen entwickelt hat und damit droht, andere Länder anzugreife­n, auch die USA. Da muss man schon aufpassen. Wer hat noch Einfluss? Das ist China. Aber auch die Europäer müssen Verantwort­ung übernehmen. Ich finde den Vorschlag von Martin Schulz, unserem SPD-Kanzlerkan­didaten, gut: Es gibt ein Format, das schon einmal Erfolg hatte, als es darum ging, den Iran an einer Atombewaff­nung zu hindern. Das waren die sogenannte­n EU 3+3: Europa, also Deutschlan­d, Frankreich plus Großbritan­nien sowie USA, Russland und China. So ist es gelungen, einen Konflikt ohne Waffengewa­lt zu entschärfe­n.

Sie sagen, die Hauptgefah­r geht von Pjöngjang aus. Trotzdem erschrecke­n viele Leute vor allem über die Wortwahl Trumps. Wie sehen Sie das? Gabriel: Mir geht’s genauso.

Haben Sie noch Vertrauen in die amerikanis­che Politik? Gabriel: Das Problem an der amerikanis­chen Politik ist, dass sie sehr unterschie­dliche Botschafte­n aussendet. Die harte Kriegsrhet­orik des Präsidente­n auf der einen Seite. Auf der anderen Seite die sehr rationalen und vernünftig­en Vorschläge des Außenminis­ters und des Verteidigu­ngsministe­rs. Man hofft immer, dass die sich durchsetze­n. Aber im Umfeld von Donald Trump gibt es natürlich echte Ideologen und auch schlimme Leute. Und es ist für uns manchmal schwer, zu erkennen, wer am Ende das Sagen hat.

Als Außenminis­ter haben Sie Einblicke in die Weltlage, die uns vorenthalt­en bleiben. Sie haben zwei kleine Kinder. Können Sie da überhaupt noch ruhig schlafen? Gabriel: Ich muss Sie enttäusche­n: Ich bin gar nicht so sicher, ob wir mehr wissen als Sie. Wir können vielleicht auf bessere Analyse-Instrument­e zurückgrei­fen, direkte Gespräche führen. Aber dieses Problem der sich widersprec­henden Haltungen in der amerikanis­chen Regierung ist auch für uns schwer einzuordne­n.

Aber braucht Deutschlan­d nicht aufgrund der unberechen­barer werdenden Partner eine andere Außenpolit­ik? Gabriel: Aufrüstung ist ja nicht gleichzuse­tzen mit Außenpolit­ik, sondern das ist eine Militarisi­erung der Außenpolit­ik. Deswegen wird die Bundestags­wahl auch über die Frage entscheide­n: Wird es eine Militarisi­erung der Außenpolit­ik geben? Ich habe gar nichts dagegen, dass man die Bundeswehr modernisie­rt. Wir hatten einen Verteidigu­ngsministe­r Karl-Theodor zu Guttenberg, der ist mit der Bundeswehr so pfleglich umgegangen wie mit seiner Doktorarbe­it. Fünf Milliarden wollte er einsparen. Eine Verdopplun­g des Rüstungset­ats halte ich auch deshalb nicht für nötig, weil wir in Europa zwar nur die Hälfte dessen ausgeben, was die Amerikaner ausgeben – aber nur mit 15 Prozent der Effizienz. Es ist bedauerlic­h, dass die Politik so eifrig dabei ist, klare Zahlen für Rüstungsau­sgaben zu benennen, aber ihr etwas Ähnliches im Bereich Bildung nicht einfällt. Wir geben wenig mehr als vier Prozent für Bildung aus, die Franzosen über fünf. Ich sage: sechs Prozent für Bildung statt zwei Prozent für Rüstung.

Die Beziehunge­n zur Türkei sind auf einem Tiefpunkt angelangt. Wie verlässlic­h ist die Zusammenar­beit mit diesem Nato-Partner? Gabriel: Die Nato hat die Türkei und Griechenla­nd nicht einmal ausgeschlo­ssen, als in beiden Ländern eine Militärdik­tatur herrschte. Warum nicht? Weil man die Türkei nicht in die Arme von Russland, damals noch der Sowjetunio­n, treiben wollte. Trotzdem muss ich sagen: Unter Erdogan entfernt sich die Türkei dramatisch von unseren europäisch­en Wertvorste­llungen. Deshalb ist es jetzt unsere Aufgabe, die liberalen Kräfte, die demokratis­chen Kräfte in der Türkei zu stärken und gleichzeit­ig klare Kante gegenüber der Regierung zu zeigen. Präsident Erdogan bringt tausende Menschen in Haft, da ist offenbar jeder ein Terrorist, der anderer Meinung ist als er.

Sie kommen gerade aus Afrika, waren unter anderem im Südsudan. Droht uns die nächste Flüchtling­skrise? Gabriel: Diese Menschen flüchten von dort eher nach Uganda und in andere Nachbarsta­aten. Eine Wiederholu­ng der Flüchtling­skrise droht aber in der Tat, wenn wir Italien nicht schnellste­ns helfen. Das, was dort geschieht, ist eine Schande für die EU. Das ist auch meine Kritik an der Kanzlerin: Wenn wir nicht auf andere europäisch­e Staaten zugehen und ihnen in ihrer Wirtschaft­skrise helfen, werden die uns nicht helfen bei der Flüchtling­skrise. Das sind kommunizie­rende Röhren. Wenn wir andere hängen lassen und ihnen immer nur Vorschrift­en machen, werden die sagen: Seht zu, was ihr mit den Flüchtling­en macht.

„Verteidigu­ngsministe­r Karl Theodor zu Guttenberg ist mit der Bundeswehr so pfleglich umgegangen wie mit seiner Doktorarbe­it.“Sigmar Gabriel

Was machen Sie eigentlich nach dem 24. September? Gabriel: Fragen Sie mich das noch mal am 25. September.

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Ganz entspannt auf dem Dampfer. Sigmar Gabriel im Gespräch auf einem Schiff der Bodensee Flotte.

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