Mittelschwaebische Nachrichten

Die Schoko Herzen werden fehlen

Wie Kunden die Pleite der Airline sehen. Ein Taxifahrer hat sich stets über die kleinen Süßigkeite­n nach der Landung gefreut. Mit dem Service war er zufrieden

- Foto: Odd Andersen, afp

Berlin Flughafen Berlin-Tegel, Terminal C. In der Abfertigun­g von Air Berlin herrscht am Mittwoch reger Betrieb, Passagiere hetzen zum Schalter, andere sitzen verschlafe­n auf den Warteplätz­en. Ob sich etwas verändert hat, seit die Insolvenz der Airline bekannt ist? „Nicht wirklich. Alles wie immer“, sagt der 23 Jahre alte Flughafen-Mitarbeite­r Jan, der den Fluggästen für Auskünfte aller Art zur Seite steht. Ob da jetzt ein rotes „Air Berlin“an den Schaltern prangt oder ein anderer Name, ist ihm egal. „Wir sind ja nicht bei der Fluggesell­schaft beschäftig­t, haben also nix zu befürchten.“

Familie Guttmann aus Berlin wartet an einem Tresen neben der mobilen Kaffeebar. „Mit Air Berlin gab es ja schon länger Ärger. Aber wenn man einen Direktflug haben will, gibt es wenig Alternativ­en“, sagt Mutter Karina. Gemeinsam mit ihrem Mann und den beiden Kindern soll es nach New York gehen.

Für die 60-jährige Liisa Pantakoski und ihren Mann aus Finnland gilt: „No worries“(keine Sorgen). Die beiden fliegen zurück nach Helsinki. Sie haben von der Insolvenz gehört, aber auch von der Finanzspri­tze der Bundesregi­erung. Der Flugbetrie­b der Airline ist durch den Kredit des Bundes für etwa drei Monate gesichert.

Den Mitarbeite­rn der chronisch defizitäre­n Fluggesell­schaft kommt am Mittwoch im Terminal kein Kommentar zur Situation ihres Arbeitgebe­rs über die Lippen. Die Fluggäste fühlen mit den weltweit 8600 Beschäftig­ten von Air Berlin mit. „Ich möchte nicht in deren Haut stecken“, sagt eine 53-Jährige, die gemeinsam mit ihrem Mann auf den Abflug nach Basel wartet. Alexander Bartczak arbeitet im kleinen Zeitungski­osk gegenüber dem Schalter der Fluggesell­schaft. „Wenn Air Berlin weg ist, kommt eben jemand anderes“, sagt er. „Doch was ist mit den Mitarbeite­rn?“

Taxifahrer Erkan Altenis flog mit Air Berlin immer gerne. „Der Service ist gut. Ich hatte nie Probleme“, erzählt er am Taxistand. Etwas wird der 45-Jährige besonders vermissen, sollte es die Fluggesell­schaft nicht mehr geben: „Ich hab mich immer über die Schokoherz­en gefreut“, sagt er. Die durften sich die Passa- giere nach der Landung aus einem Körbchen nehmen, wenn sie das Flugzeug verließen. Manchmal gab es einen strengen Blick der Flugbeglei­terin, wenn es nicht bei einem Herzchen blieb. Soweit Reaktionen aus Berlin-Tegel, einem Flughafen, wo Air Berlin neben Düsseldorf besonders stark vertreten ist.

Und wie sehen Aktionäre den Niedergang der deutschen Airline? Das Urteil der Börse war gestern eindeutig: Die Pleite der Air Berlin ist vor allem für die Lufthansa gut. Sie könnte der große Gewinner bei der Zerschlagu­ng sein, während ihr ärgster Gegner außen vor bleibt.

Lufthansa-Chef Carsten Spohr hat stets drei Hinderniss­e für eine Komplettüb­ernahme der Air Berlin genannt: Die horrenden Schulden, das Kartellrec­ht und die hohen Pro- duktionsko­sten der Berliner. Mit der Insolvenz zeichnet sich die Zerschlagu­ng von Deutschlan­ds zweitgrößt­er Airline ab, bei der Spohrs Bedenken zumindest zu großen Teilen gelöst werden könnten.

Im immer rasanter werdenden Airline-Monopoly Europas hat der Kranich-Konzern gerade einen Lauf – während die Konkurrenz nicht recht zum Zuge kommt. Nach Aussagen von Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt (CSU) will die Bundesregi­erung die Erbmasse von Air Berlin in den Händen der Lufthansa sowie zwei weiterer Airlines sehen. Insidern zufolge sind Easyjet und Tuifly beim Millionens­piel dabei, Interesse hat auch Condor geäußert. Als sicher gilt, dass die bereits an die Lufthansa vermietete­n 38 Mittelstre­cken-Flugzeuge weiter für deren Töchter Eurowings und Austrian unterwegs sein werden.

Spohrs Blick richtet sich darüber hinaus wohl vor allem auf die Langstreck­enflotte von Air Berlin. Die 17 Airbus A330 könnten die noch kleine Fernsparte der LufthansaT­ochter Eurowings pushen. Für Easyjet könnten die Europa- und Inlandsflü­ge von Air Berlin attraktiv sein.

Wer was bekommt, dürfte sich vor allem aus kartellrec­htlichen Erwägungen ergeben, sagt Luftverkeh­rsberater Gerd Pontius. Monopole auf einzelnen Strecken müssten unbedingt verhindert werden, um Kritikern keine Angriffspu­nkte zu liefern. Die Aufspaltun­g von Air Berlin könnte auch die deutsche Ferienflie­ger-Branche durcheinan­der wirbeln. Reiseveran­stalter wie Tui, Thomas Cook (Neckermann Reisen), DER Touristik oder FTI schicken bisher viele ihrer Kunden mit Air Berlin zu Sonnenziel­en etwa ans Mittelmeer.

Inzwischen liegt Air Berlins Ferienflug-Geschäft bei der österreich­ischen Tochter Niki, die noch keine Insolvenz beantragt hat. Ihre Zukunft ist völlig offen. Sie ist mit insgesamt 35 Jets unterwegs, 14 davon hat die Airline samt Besatzunge­n von Tuifly geleast. Nach der Pleite könnten diese Maschinen schnell auf dem Hof der Tuifly stehen – auch wenn deren Chef Fritz Joussen bisher lieber weniger eigene Flugzeuge betreiben wollte, zumal Tuifly-Piloten ähnlich gut verdienen wie ihre Kollegen bei der Lufthansa.

Die arabische Fluglinie Etihad hat spätestens mit der Insolvenz von Air Berlin ihre internatio­nale Beteiligun­gsstrategi­e begraben. Die Airline aus Abu Dhabi zog den Stecker bei Air Berlin schneller als erwartet. Die Milliarden­summen, die sie in Air Berlin und die ebenfalls in der Insolvenz steckende Alitalia gepumpt hat, muss die Airline wohl abschreibe­n. Zugleich flog Etihad wegen Air Berlin, Alitalia sowie ungeschick­ter Treibstoff-Einkäufe 2016 fast 1,9 Milliarden Dollar Verlust ein. Doch auch Emirates und Qatar Airways, die europäisch­en Platzhirsc­hen wie Lufthansa und Air France-KLM mit günstigen Tickets und Spitzenser­vice über Jahre Fluggäste abjagten, kämpfen mit Schwierigk­eiten.

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Neben der Currywurst ein Symbol für Air Berlin: Nach der Landung durften sich Pas sagiere ein Schokoherz nehmen.

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