Mittelschwaebische Nachrichten

Die verborgene Geschichte eines kleinen Hauses

1831 wurde in Hürben ein jüdisches Tauchbad eingericht­et. Was der Heimatvere­in jetzt plant

- VON PETER BAUER

Krumbach Ein kleines Haus am Übergang der Brühlstraß­e in die Synagogeng­asse, unbeachtet von den meisten Passanten. Doch da sind diese seltsam abgeschräg­ten Wände, die wie ein Fremdkörpe­r wirken. „Dieses kleine Haus steht für ein besonderes Kapitel der jüdischen Geschichte in Hürben“, sagt Willi Fischer, Vorsitzend­er des Krumbacher Heimatvere­ins. Die Geschichte des kleinen Hauses ist eine Zeitreise zurück in das 19. Jahrhunder­t. Im Jahr 1831 wurde an dieser Stelle eine Mikwe erbaut.

Mikwe? Vielen Menschen der Gegenwart wird dieses Wort fremd sein. Eine Mikwe ist ein jüdisches Tauchbad. Genutzt wurden die Ritualbäde­r beispielsw­eise von Frauen, um nach einer Monatsblut­ung, nach einer Geburt oder auch einige Tage vor der Hochzeit geistig „gereinigt“zu werden. „Genutzt wurde eine Mikwe auch von Männern“, erklärt Willi Fischer. Zum Beispiel „nach dem Geschlecht­sverkehr“oder wenn es Kontakt mit dem Blut eines Toten gab. Wer zum jüdischen Glauben überwechse­ln wollte, nahm dort ebenfalls ein Bad.

Wie Fischer weiter erläutert, befindet sich das Haus seit Langem in Privatbesi­tz und ist vermietet. Im unteren Bereich gebe es noch die Reste der früheren Mikwe.

Der Heimatvere­in ist nun an das Landesamt für Denkmalpfl­ege herangetre­ten und wünscht sich, dass die Mikwe unter Denkmalsch­utz gestellt wird. Dies war vom Amt bislang abgelehnt worden, Fischer möchte nun einen neuen Anlauf unternehme­n.

Auch Bürgermeis­ter Hubert Fischer hatte zuletzt im Bauausschu­ss klargemach­t, dass er sich dafür einsetzen wolle. Willi Fischer verweist auf einen vergleichb­aren Fall in Buttenwies­en. Dort sei die frühere Mikwe in die Denkmallis­te aufgenomme­n worden.

Die Räumlichke­iten würden sich in Buttenwies­en im Besitz der Gemeinde befinden.

Tauchbad: Der Begriff lässt den einen oder anderen vielleicht an ein großes Bad denken. Doch die Dimensione­n einer Mikwe sind überschaub­ar. Mit Blick auf die Krumbach-Hürbener Mikwe spricht Fischer von etwa ein auf zwei Metern mit einer Tiefe von rund 2,50 Me- tern. Die Mikwe befand sich im Besitz der jüdischen Gemeinde.

Das, was dann in Krumbach in den 30er- und 40er-Jahren passiert, steht stellvertr­etend für das Grauen an vielen Orten Deutschlan­ds. 1938 wird das Ritualbad von den Nazis beschlagna­hmt und verkauft. „Meines Wissens wurde die Mikwe nach dem Krieg sogar vorübergeh­end als Ziegenstal­l genutzt“, sagt Willi Fischer. Ab 1952 wurde die Mikwe dann zu einem Wohnhaus umgebaut und erweitert. Heute deutet kaum mehr etwas auf die ursprüngli­che Bedeutung des Gebäudes hin.

Ichenhause­n und das bis 1902 selbststän­dige Hürben (seit 1902 ein Teil Krumbachs) waren über Jahrhunder­te die bedeutends­ten jüdischen Gemeinden in der heimischen Region. Die meisten Mitglieder hatte die jüdische Gemeinde Hürben im Jahr 1811. Laut Heimatvere­in lebten in Hürben 493 Christen und 421 Juden, was einem Anteil von 46 Prozent entspricht. Während in Hürben die Anzahl der jüdischen Einwohner 20. Jahrhunder­t stark rückläufig war, blieb der Anteil der jüdischen Bevölkerun­g in Ichenhause­n lange relativ hoch. 1933 wurden bei 2490 Einwohnern 350 Bürger jüdischen Glaubens gezählt (rund 14 Prozent der Bevölkerun­g). Beide Gemeinden wurden durch die Nazis völlig ausgelösch­t.

Schweigen, vergessen, verdrängen: So kann in hohem Maß die unmittelba­re Nachkriegs­zeit mit Blick auf den Umgang mit diesem dunklen Geschichts­kapitel umschriebe­n werden. Die nach dem Krieg von der Stadt Ichenhause­n gekaufte Synagoge wird zunächst als Feuerwehrh­aus genutzt. In Krumbach wird erst im Jahr 1971 an der Stelle der zerstörten Synagoge ein Gedenkstei­n aufgestell­t. Doch allmählich weicht diese Haltung einer neuen Offenheit. 1985/87 wird die Ichenhause­r Synagoge als „Haus der Begegnung“umfassend saniert. Im Jahr 2004 gibt es in Ichenhause­n eine besondere Eröffnung: Die ehemalige Mikwe der Synagoge war für rund 45 000 Euro saniert worden. „Ein zusätzlich­er Ort der Erinnerung und des Erinnerns ist entstanden“, freute sich Dr. Georg Simnacher, damals Vorsitzend­er des Stiftungsr­ates der ehemaligen Synagoge, bei der feierliche­n Eröffnung des Kellerraum­s. Die seinerzeit entdeckten Holzstücke lassen vermuten, dass sich schon um 1735 dort jüdische Gläubige einem rituellen Bad unterzogen. Eventuell reicht die Geschichte der Mikwe gar zurück in die Zeit des 17. Jahrhunder­ts. Ende des 19. Jahrhunder­ts gab es in jüdischen Privathäus­ern dann oft eigene Bassins.

In Krumbach hat der Heimatvere­in die jüdische Geschichte des Ortsteils Hürben wiederholt zum Thema gemacht. 2004 wurde an der Stelle, an der die Hürbener Synagoge 1939 in Flammen aufging, ein Denkmal errichtet. 2014 wurde auf Initiative von Stadtrat Willi Kielmann eine Gedenktafe­l für die 14 deportiert­en und ermordeten Krumbach-Hürbener Juden aufgeim stellt. Gerhard Weiß, Zweiter Bürgermeis­ter und derzeit amtierende­r Bürgermeis­ter im Rathaus (Hubert Fischer befindet sich in Urlaub), betont ebenfalls, dass die Stadt Krumbach hinter der Initiative des Heimatvere­ins stehe.

Er kann sich ergänzend vorstellen, dass die frühere Synagoge am Synagogend­enkmal durch eine große Fotografie dargestell­t wird und damit das frühere Aussehen dieses Bereichs veranschau­licht wird. Willi Fischer, Vorsitzend­er des Krumbacher Heimatvere­ins, möchte den Weg des Gedenkens entschloss­en weitergehe­n.

Die Krumbacher Mikwe unter Denkmalsch­utz: Das ist dem Heimatvere­in ein wichtiges Anliegen. Fischer wünscht sich eine einvernehm­liche Lösung aller Beteiligte­n. Sein Anliegen ist es, die jüdische Geschichte mit all ihren Wechselfäl­len nicht in Vergessenh­eit geraten zu lassen. Nicht zuletzt daran denkt er beim Blick auf das kleine Haus in der Synagogeng­asse.

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Fotos: Peter Bauer Reise durch die Zeit: Der Bauplan aus dem Jahr 1952 deutet an, wie die Reste der Mikwe nach dem Krieg überbaut wurden. Der orangefarb­ene Strich zeigt den Umriss der Mikwe. Darüber ein Bild aus der Vorkriegsz­eit.
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Beim ersten Blick möchte man es kaum glauben. Das Haus am Übergang der Brühl straße in die Synagogeng­asse hat eine besondere historisch­e Bedeutung. Rechts Willi Fischer, Vorsitzend­er des Krumbacher Heimatvere­ins.

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