Mittelschwaebische Nachrichten

Als „Granny Nanny“nach London

Warum unsere Mitarbeite­rin Petra Nelhübel aus Ziemetshau­sen für vier Monate nach England geht

- VON PETRA NELHÜBEL Foto: Sammlung Nelhübel

Ziemetshau­sen/London Ab dem 1. September werde ich eine neue Mutter haben. Sie wohnt in London, ist ein paar Jahre jünger als ich und mit dem bemuttern wird es darum nicht weit her sein. Genau genommen wird sie meine Au-Pair-Mutter sein und ich werde ihre zwei Kinder ein bisschen mit bemuttern. Dafür bin ich da. Vier Monate lang. Als Au-Pair-Girl, oder genauer, als AuPair-Oma, oder, wie es im englischsp­rachigen Raum heißt, als GrannyNann­y.

Seit sich das in meinem Umfeld herumgespr­ochen hat, teilt sich der nähere und weitere Verwandten­und Bekanntenk­reis in zwei Lager. Die, die sagen: „Toll!“oder: „Mutig!“und: „Das will ich auch!“Und die Anderen, die fragen: „Spinnst du?“oder: „Erlaubt das denn dein Mann?“und: „Warum gehst du zu fremden Leuten und lässt deine eigenen Kinder alleine?“

Die Kinder finden ihre Pläne klasse

Zu Frage eins: Vielleicht. Zu Frage zwei: Der beste Ehemann von Allen hat tatsächlic­h sehr verhalten reagiert. Aber das tut er auch, wenn ich die Möbel verrücke oder eine neue Sorte Frischkäse kaufe. Er mag keine Veränderun­gen, aber er mag mich. Zu Frage drei: Meine vier eigenen Kinder sind zwischen 17 und 37 Jahre alt und jedes von ihnen ist in der Lage, die Waschmasch­ine zu bedienen und sich ein Ei zu braten. Übrigen finden sie Mamas Pläne absolut klasse. Sie haben es sogar schon in ihrem eigenen Freundeskr­eis weitererzä­hlt und wenn ich jetzt kalte Füße bekäme, würde das ganz enorm meinen „Coolness“-Faktor senken.

Genau genommen hat mich auch eines der Kinder erst auf die Idee gebracht. Meine Jüngste nämlich, die sich nach anstehende­m Schulabsch­luss nicht für einen Ausbildung­splatz entscheide­n wollte, konnte sich nach einigen Elterngesp­rächen für ein Au-pair-Jahr erwärmen. Die Begeisteru­ng war nur von kurzer Dauer, aber da war Mama – also ich – bei ihren Internetre­cherchen bereits auf die Seite von Michaela Hansen gestoßen. Die Hamburgeri­n hat 2010 das Internetpo­rtal Granny Aupair gegründet und vermittelt seither lebenserfa­hrene Frauen, weltweit als Gesellscha­fterin, zur Kinderbetr­euung, oder als Mitarbeite­rin bei Hilfsproje­kten.

Das war es! Wenn die Kinder schon keinerlei Neigung zeigen, das „Hotel Mama“zu verlassen, warum sollte nicht Mama selbst einfach mal gehen? Für eine Weile wenigstens. Als Gesellscha­fterin für eine einsame Witwe in Washington D. C., als Nanny für eine Diplomaten­familie in Genf, nach Irland, Dubai, Kuala Lumpur oder Singapur.

Ein eigenes Profil auf der Granny-Plattform zu erstellen ist denkbar einfach. Danach kann man selbst nach interessan­ten Angeboten schauen oder schlicht warten, ob man von einer Familie kontaktier­t wird. Und die Nachfrage nach Granny-Nannys ist enorm. Warum das so ist, habe ich meine Kontaktfam­ilien natürlich auch gefragt. Viele hatten auch schon junge Au-pairMädche­n. „Aber die Mädchen haben oft mangels jüngerer Geschwiste­r keinerlei Erfahrung mit kleinen Kindern“, hieß es an einer Stelle. Oder es wird befürchtet, sie könnten sich nicht durchsetze­n bei Teenagern, die manchmal nur fünf oder sechs Jahre jünger wären als das Aupair. Außerdem verspreche­n sich viele Familien von einer älteren Person mehr Beständigk­eit und Zuverlässi­gkeit.

Nun gut, ich werde wohl nicht meine Au-pair-Familie morgens um vier, nach einer durchfeier­ten Nacht aus dem Schlaf klingeln, weil ich meinen Haustürsch­lüssel verloren habe. Dafür komme ich mit der ganzen Last meiner 54 Jahre und den lieb gewordenen Gewohnheit­en, die sich im Laufe eines längeren Lebens so herausbild­en. Bin ich in der Lage, mich in eine ganz andere Art der Lebensführ­ung einzuordne­n? Welchen Platz werde ich beispielsw­eise beim morgendlic­hen Gerangel ums Badezimmer einnehmen? Wird „meine“Familie morgens Kaffee oder Tee trinken? Was mache ich ohne meine gewohnte Tageszeitu­ng? Was, wenn ich mit meiner vielen freien Zeit (in London ist Ganztagssc­hule üblich) nichts anzufangen weiß? Ein bisschen mulmig ist mir schon. Aber nur ab und zu. Ich werde, laut Vertrag, 30 Wochenstun­den für zwei Teenager da sein und am WochenIm ende habe ich frei. Ich werde ein eigenes Zimmer haben. Ich werde wöchentlic­h Taschengel­d bekommen. Das darf ich ganz allein nur für mich ausgeben. Niemand da, der sich mal schnell einen Zehner „leiht“. Ich werde Galerien und Museen besuchen, neue Leute kennenlern­en und mein Englisch aufbessern.

Ins Großstadtl­eben eintauchen

Ich werde als ausgewiese­nes Landei ins Großstadtl­eben eintauchen. Und vielleicht werde ich Heimweh bekommen, wahrschein­lich sogar in der Vorweihnac­htszeit. Wenn London leuchtet und glitzert, werde ich das bayerische Zelt des German Christmas Market im Hyde Park besuchen und ein bisschen in meinen Glühwein weinen. Hoffentlic­h mit ein paar anderen Rührselige­n. Und dann heißt es schon bald Abschied nehmen von meinem Aupairtoch­terdasein. Ich werde Zuhause anrufen und Anweisung geben, das Lotterlebe­n zu beenden und gründlich aufzuräume­n. Die Granny-Nanny geht. Die Mutter kommt wieder. Die Agentur Granny Aupair wurde 2010 von Michaela Hansen in Ham burg ins Leben gerufen. Sie vermittelt na hezu weltweit Frauen ab 50+ (solange man sich fit fühlt, gibt es nach oben keine Altersbesc­hränkung) als Gesellscha­fte rinnen oder zur Kinderbetr­euung. Die Auf enthaltsda­uer richtet sich nach den Be dürfnissen der Beteiligte­n. Homepage: www.granny aupair.com

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Unsere Mitarbeite­rin Petra Nelhübel aus Ziemetshau­sen geht als Granny Nanny nach London.

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