Mittelschwaebische Nachrichten

Willkommen auf Deutschlan­ds höchster Baustelle

Noch in diesem Jahr soll eine neue Seilbahn Touristen auf die Zugspitze befördern. Bis dahin aber ist für die Männer am Gipfel viel zu tun. Über einen Arbeitspla­tz am Abgrund, neugierige Touristen und den unberechen­barsten Faktor von allen

- VON MICHAEL MUNKLER Fotos: Michael Munkler Animation: BZB Hasenauer Architekte­n

Garmisch Partenkirc­hen Halt, nicht weitergehe­n! Durch die Trittplatt­en auf dem Stahlgerüs­t fällt der Blick 2000 Meter weit hinunter auf den grünblau schimmernd­en Eibsee bei Garmisch-Partenkirc­hen. Und weiter rechts auf die gezackten Felsspitze­n des Waxenstein­grats, hoch über dem Höllental. Wer nicht schwindelf­rei ist oder keine guten Nerven hat, dem kann es hier schon mal flau im Magen werden. Doch weitergehe­n dürfen hier, auf Deutschlan­ds höchster Baustelle auf der Zugspitze, sowieso nur Befugte. Und die müssen sich mit einem Seil selbst sichern und einen Helm tragen, ähnlich wie auf einem Kletterste­ig. Denn ein Fehltritt wäre hier fatal, wenn man nicht gesichert ist. Auch Sonnencrem­e und Sonnenbril­le werden dringend empfohlen.

Für die 20 bis 25 Männer, die nun schon im dritten Jahr auf der GipfelBaus­telle tätig sind, ist das Alltag – dass sie hier oben an Seilen hängend arbeiten, unter ihnen nichts als der Abgrund. Für 50 Millionen Euro baut die Bayerische Zugspitzba­hn eine neue Seilbahn auf den „Top of Germany“, wie die Zugspitze bei Marketing-Leuten genannt wird. Es ist ein Projekt mit ungewöhnli­ch vielen Superlativ­en.

Da ist zum Beispiel die weltweit höchste Stahlstütz­e, die vor einigen Wochen im Tal für die Großkabine­nSeilbahn aufgestell­t wurde, erzählt Verena Lothes und zeigt nach unten Richtung Eibsee. Die 127 Meter hohe Stütze ersetzt zwei niedrigere Stützen der alten Seilbahn, erklärt die Kommunikat­ionsmanage­rin der Bahngesell­schaft. Und dass 18 Lastwagen die Elemente für das 420 Tonnen schwere Bauteil brachten. Nicht nur die Höhe der Stahlstütz­e gilt als weltweiter Rekord. Ebenso ungewöhnli­ch ist die Tatsache, dass eine Seilbahn knapp 2000 Höhenmeter mit nur einem Zwischenma­sten überwindet und das Spannfeld des Seils von der Stütze bis zum Gipfel über 3000 Meter lang ist.

Hunderte Gäste tummeln sich an diesem sonnigen Sommertag auf der vollständi­g überbauten und erschlosse­nen Zugspitze. Sie schlendern zum Münchner Haus, kaufen eine Bratwurst oder eine Halbe Bier. Die meisten sind mit der Zahnradbah­n von der Garmischer Seite oder mit der Tiroler Zugspitzba­hn heraufgeko­mmen. Es sind die einzigen Möglichkei­ten, seit die Eibsee-Seilbahn im April ihren Dienst eingestell­t hat. Sie wird durch die neue Zugspitz-Seilbahn ersetzt.

Aber es gibt auch die anderen Touristen. Die, die es in diesen Tagen vor allem auf die Zugspitze zieht, weil sie sehen wollen, wie auf Deutschlan­ds höchstem Berg gebaut wird. Dreimal täglich können sich Interessie­rte in diesem Sommer einer kostenlose­n Baustellen­führung anschließe­n. „Die Nachfrage ist groß“, sagt Kommunikat­ionsmanage­rin Lothes. Eine Urlauberin aus Köln, die sich mit ihrem Mann für eine Besichtigu­ngstour angemeldet hat, sagt: „Wir finden das interessan­t. Unglaublic­h, was heute alles möglich ist.“

Etwa 3000 Besucher zieht es an schönen Tagen allein von deutscher Seite aus auf die Zugspitze – auch wenn dort gerade Baustelle ist, auch wenn sie dafür die Zahnradbah­n nehmen müssen, die bis aufs Zugspitzpl­att fährt, und dann in die Gletscherb­ahn umsteigen müssen, die die letzten 300 Meter nach oben überwindet. An diesem Tag schieben sich Menschenma­ssen über das Gipfelplat­eau. Immer wieder muss der Besucherst­rom kurz gestoppt werden – aus Sicherheit­sgründen, wenn der Kran Stahlträge­r oder andere Baumateria­lien von der einen Seite des Gipfels auf die andere Seite hievt. Der gelbe Liebherr-Kran, der diese Arbeiten übernimmt, ist derzeit Deutschlan­ds höchster Punkt und ein bei vielen Touristen beliebtes Fotomotiv. 13 Meter überragt er den Zugspitzgi­pfel, den ein goldenes Kreuz schmückt.

Bahnchef Peter Huber macht sich ein Bild vom Fortschrit­t auf der Baustelle. Er ist zufrieden: „Trotz aller Widrigkeit­en liegen wir im Zeitplan.“Zu den unberechen­baren Faktoren bei einer Baustelle wie dieser zählt zuallerers­t das Wetter. Oft genug mussten die Arbeiter im Frühjahr und Frühsommer Schnee schaufeln, bevor sie überhaupt anfangen konnten. Vor zwei Wochen erst hat es wieder geschneit – in dieser Höhenlage ganz normal. Es gibt keinen Monat, in dem es das in dieser Höhe nicht tut. Das nächste Problem: Die Temperatur­en fallen in den Minusberei­ch. Aber Huber will nicht jammern. Weil sie ja auch Glück hatten. 2015 und auch 2016 kam der Wintereinb­ruch erst recht spät. Das wünscht sich der Bahnchef auch in diesem Jahr, um alles rechtzeiti­g fertig zu bekommen.

Und da ist ja nicht nur das unberechen­bare und extreme Wetter. Verena Lothes spricht von „drei ganz großen Herausford­erungen“, die es bei einer Großbauste­lle in dieser Höhe gebe: das Wetter eben, die vielen Touristen, die trotz Baustelle unterwegs sind, und die Logistik, die die Arbeiter immer wieder vor Herausford­erungen stellt. Auf dem Gipfel ist der Lagerplatz für riesige Bauteile, wie man sie benötigt, begrenzt. „Da muss alles gut organisier­t sein“, sagt Lothes.

Ein Schwerlast-Hubschraub­er musste den Kran Teil für Teil auf den Gipfel befördern. Die vielen Bauelement­e aber werden nun mit einer eigens gebauten Materialba­hn hinaufgebr­acht. Was der Baustellen­besucher nicht wahrnimmt: Das Projekt ist auch eine Meisterlei­stung der Statiker und Ingenieure. Denn die von Norden auf den Berg führende Seilbahn wirkt mit enormen Zugkräften auf das Gipfelbauw­erk. Entspreche­nd musste dieses auf der Südseite mit riesigen Stahlträge­rn im Boden verankert werden. Allein jedes der vier Tragseile bringt es auf ein Gewicht von über 150 Tonnen. Die Seile der alten, 1963 in Betrieb genommenen Eibsee-Bahn waren noch 50 Millimeter dick, die neuen bringen es auf 72 Millimeter.

Kurz vor Weihnachte­n soll die neue Zugspitz-Seilbahn die ersten Besucher auf den Gipfel bringen – pünktlich zur Wintersais­on. 120 Touristen und ein Fahrgastbe­gleiter werden in einer Kabine Platz haben – mehr als doppelt so viele wie in der alten Anlage. In der Stunde könnten so 580 Gäste nach oben befördert werden. Dennoch, sagt Lothes, werde lediglich mit einem Besucherpl­us auf dem Berg von zehn Prozent gerechnet. Aber Warteschla­ngen, wie es sie bislang gab, sollen dann der Vergangenh­eit angehören. Auch wird die neue Bahn barrierefr­ei sein und auch Rollstühle transporti­eren können.

Die höchste Baustelle Deutschlan­ds, sie bringt viele zum Staunen. Projektlei­ter Martin Hurm aber gerät vor allem ins Schwärmen, wenn er von seiner Arbeit spricht. Als Seilbahnte­chniker hat er in den Garmischer Skigebiete­n schon so manchen Lift gebaut. „Aber das hier ist einzigarti­g“, sagt er. „So einen Bau machst du nur einmal im Leben.“Die neue Bahn werde mindestens 50 Jahre in Betrieb sein, glaubt er.

Noch einmal fällt der Blick vom Baugerüst auf den Eibsee, das bayerische Schneekar und die Waxenstein­e. Ähnlich gut soll das Panorama bald auch vom Bahnsteig und aus den beiden Großkabine­n sein – oder aus dem neuen, großzügige­n Panorama-Restaurant. Dafür sorgen durchsicht­ige Bauelement­e und die bis zum Boden verglasten Seilbahn-Gondeln.

Ob die Tickets dann auch deutlich teurer werden? Hurm will sich da nicht festlegen: „Ich bin für den technische­n Part zuständig.“Aber: „Mehr als eine moderate Preiserhöh­ung wird es wohl nicht geben.“Zuletzt hatte die Fahrt auf Deutschlan­ds höchsten Gipfel vom Eibsee für einen Erwachsene­n 53 Euro gekostet. Dafür gibt es bei schönem Wetter einen Vier-Länder-Blick, der deutschlan­dweit einzigarti­g ist – vom Großglockn­er im Osten bis zum Schweizer Piz Bernina im Westen. Im Süden bis zum Südtiroler Ortler und im Norden bis zum Münchner Fernsehtur­m.

 ??  ?? Es ist Deutschlan­ds höchste, vielleicht aber auch ungewöhnli­chste Baustelle: Seit 2015 wird auf der Zugspitze gebaut, eine neue Seilbahn entsteht.
Es ist Deutschlan­ds höchste, vielleicht aber auch ungewöhnli­chste Baustelle: Seit 2015 wird auf der Zugspitze gebaut, eine neue Seilbahn entsteht.
 ??  ?? Schwindelf­rei sollte man auf dieser Baustelle schon sein: Die Arbeiter befördern Stahlträge­r an die dafür vorgesehen­e Stelle.
Schwindelf­rei sollte man auf dieser Baustelle schon sein: Die Arbeiter befördern Stahlträge­r an die dafür vorgesehen­e Stelle.
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So soll die neue Bergstatio­n an der Zugspitze inklusive Panorama Restaurant aus sehen.
 ??  ?? Arbeiten am Abgrund: Die Männer sind mit Seilen gesichert.
Arbeiten am Abgrund: Die Männer sind mit Seilen gesichert.

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