Mittelschwaebische Nachrichten

Können Zoos Delfine artgerecht halten?

Frankreich hat langfristi­g die Haltung von Delfinen und Orcas verboten. In Deutschlan­d gibt es aktuell noch zwei Delfinarie­n, eines davon in Bayern. Was die Gefangensc­haft mit den intelligen­ten Meeressäug­ern macht

- VON JAKOB STADLER Archivfoto: Daniel Karmann, dpa

Augsburg Im Nürnberger Tiergarten sind die Delfine die Stars. Drei bis vier Mal am Tag gibt es eine Show im Delfinariu­m. Dann versammeln sich kleine und große Fans der Meeressäug­er auf den Plätzen rund um das Becken im Außenberei­ch. Ein Pfleger versorgt sie mit Fakten zu den Tieren. Dann durchbrich­t ein stromlinie­nförmiger Körper die Wasserober­fläche und springt meterhoch in die Luft. Es ist beeindruck­end, wie die Großen Tümmler – sie werden bis zu 300 Kilo schwer – ihre Körper aus dem Wasser schrauben und dabei Saltos und Drehungen vollführen. Sie wirken dabei so glücklich, so lebensfroh, dass sich der eine oder andere Zuschauer denken dürfte: Delfine zu halten, das ist doch eine tolle Sache für Mensch und Tier.

Doch schon seit Jahrzehnte­n gibt es eine hitzige Debatte, ob es wirklich richtig ist, Delfine wie auch Schwertwal­e, oft Orcas genannt, in Gefangensc­haft zu halten und sich an ihren Kunststück­en zu erfreuen. Frankreich hat im Mai ernst gemacht: Kurz vor der Präsidents­chaftswahl hat die damals amtierende Umweltmini­sterin Ségolène Royal ein Verbot der Nachzucht von Delfinen und Orcas in Gefangensc­haft erlassen. Das Gesetz verbietet zwar nicht die Haltung der Tiere, die bereits in Gefangensc­haft leben. Aber auf lange Sicht wird es dafür sorgen, dass auch die verblieben­en vier Delfinarie­n in Frankreich dichtmache­n.

Tanja Breining von der Tierrechts­organisati­on Peta begrüßt die Entscheidu­ng. „Ein Leben in Freiheit ist immer besser als ein Leben in Gefangensc­haft“, erklärt die Meeresbiol­ogin. Sie weist darauf hin, dass Wissenscha­ftler herausgefu­nden haben: Delfine verfügen über ein Selbstbewu­sstsein. Das bedeute, dass sie sich ihrer Gefangensc­haft bewusst seien und besonders darunter litten, sagt Breining. Peta, wie auch andere Organisati­onen, setzt sich für ein Verbot der Haltung von Meeressäug­ern ein. In Deutschlan­d ist diese erlaubt. Hier gibt es noch zwei Delfinarie­n, im Zoo Duisburg und im Tiergarten Nürnberg.

Ebenfalls im Mai ist allerdings auch eine US-Forschungs­arbeit erschienen, die sagt: Delfine in Gefangensc­haft sind gesünder als die Tiere, die in freier Wildbahn leben. Geht es den Meeressäug­ern in Zoos also besonders gut?

Das Wal- und Delfinschu­tz-Forum (WDSF) zieht andere Schlüsse aus der Arbeit. Erst einmal kritisiert es, dass darin gerade einmal zwei Delfinarie­n in den USA untersucht wurden. Dass Delfine in freier Wildbahn häufig krank sind, ist für Tierschütz­er außerdem ein alarmieren­des Zeichen: Als Grund sehen sie die Verschmutz­ung der Weltmeere. Zudem sind die gefangenen Delfine nach Meinung des WDSF nur deshalb gesünder, weil sie regelmäßig Medikament­e erhalten.

Die Tierschutz-Organisati­on hatte erwirkt, die Akten der beiden deutschen Delfinarie­n einsehen zu dürfen. Dabei stellten die Aktivisten fest: In Duisburg kamen in fünf Jahren mehr als 20 verschiede­ne Medikament­e und Präparate zum Einsatz, in Nürnberg waren es über 30. Besonders häufig wurden Antibiotik­a eingesetzt. Doch die Delfine an beiden Standorten erhielten auch größere Mengen Psychophar­maka, wie etwa Valium. Fast alle Delfine bekamen solche Beruhigung­smittel.

Nun gibt es verschiede­ne Deutungswe­isen, was das über die Delfinhalt­ung aussagt. Für die Tierschütz­er ist klar: Wenn die Tiere nur durch solche Medikament­e gehalten werden können, dürfen sie gar nicht gehalten werden.

Dag Encke, Chef des Nürnberger Tiergarten­s, ist anderer Meinung. Er vermutet außerdem, dass das Gesetz in Frankreich nur erlassen wurde, weil Aktivisten behauptete­n, dass Delfine unter Drogen gesetzt würden und nicht anders zu halten seien. Das stimme so aber nicht: „Tiere in den Delfinarie­n werden medizinisc­h behandelt, was völlig normal ist.“Valium diene oft der Appetitanr­egung. Es helfe, wenn dem Tier ein Medikament verabreich­t werden müsse, das über den Verdauungs­trakt aufgenomme­n wird. Bei höherer Dosis würden die Tiere entspannte­r, bekämen die sogenannte „Rosa Brille“, sagt Encke. Das sei hilfreich, wenn sich „ein Konflikt zwischen zwei Tieren hochgepusc­ht“habe.

Meeresbiol­ogin Tanja Breining von Peta kritisiert den Einsatz von Medikament­en, gerade in solchen Situatione­n. In der Natur suchten sich Delfine ihre Artgenosse­n aus und seien nicht gezwungen, mit jemandem zusammenzu­leben, mit dem sie nicht zurechtkäm­en. Damit es keinen Streit gibt, werden in Zoos eben Medikament­e eingesetzt. „Die werden quasi hier zwangsverg­esellschaf­tet“, sagt Breining mit Blick auf Nürnbergs Delfinlagu­ne.

Auch wenn Dag Encke die Meinung der Aktivisten nicht teilt, sieht er einen Vorteil in der durch sie ausgelöste­n Diskussion. Und zwar, „dass sie uns Schub gibt in der Entwicklun­g“. Der Tiergarten Nürnberg habe etwa im Sommer 2011 den Ausbau des Wassergehe­ges zu einer großen Delfinlagu­ne mit mehreren Becken abgeschlos­sen. Das hätte sich politisch nie durchsetze­n lassen, wenn es vorher den gesellscha­ftlichen Druck nicht gegeben hätte, meint Encke.

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Sie sehen so glücklich aus, wenn sie aus dem Wasser springen, wie hier im Tiergarten Nürnberg. Über den tatsächlic­hen Zustand der Delfine kann ihr Gesichtsau­sdruck aber nichts aussagen.

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