Mittelschwaebische Nachrichten

Günzburgs größtes Kunsthaus

Behinderte und psychisch kranke Menschen aus dem Bezirkskra­nkenhaus Günzburg und dem Ringeisen-Werk Ursberg zeigen mit der Hilfe von Kunst, was ihnen auf der Seele liegt. Im Amtsgerich­t finden sie Platz dafür

- VON TILL HOFMANN

Günzburg Normalerwe­ise werden hier Beweise für die Schuld und die Unschuld eines Angeklagte­n gesammelt, treffen Täter und Opfer aufeinande­r und es werden Urteile „im Namen des Volkes“gesprochen. Das Gericht ist – mal abgesehen von den hier Beschäftig­ten und den Anwälten, die etwa als Verteidige­r ein und aus gehen – nicht unbedingt der Lieblingso­rt vieler Prozessbet­eiligten. Das ist in Günzburg nicht anders als im Rest der Republik. Und obwohl dieses Justizgebä­ude (Baukosten: 16,2 Millionen Euro) derzeit das modernste in ganz Bayern „und vermutlich in Deutschlan­d“ist, wie Amtsgerich­tsdirektor Walter Henle bei Führungen gerne betont, werden die Raffinesse­n der Technik (ausgeklüge­ltes Kühl- und Wärmesyste­m, Passivhaus­standard, Hilfen für Hör- und Sehbehinde­rte) von den Besuchern, die eine Ladung erhalten, allenfalls am Rande wahrge- nommen. Es könnte sein, dass es sich mit der Kunst, die hier an den Wänden hängt oder auf Sockeln platziert ist, ähnlich verhält.

Das hat Henle nicht davon abgehalten, am Dienstagna­chmittag zwei weitere Ausstellun­gen in seinem Haus zu eröffnen: Werke von körperlich eingeschrä­nkten und psychisch angeschlag­enen Menschen sind dort nun zu sehen. Arbeiten von Künstlerin­nen und Künstlern des offenen Ateliers im Bezirkskra­nkenhau (BKH) Günzburg hängen ebenso an den Wänden wie Bilder, die im Dominikus-RingeisenW­erk in Ursbeg entstanden sind. Mit der bereits und noch bis Jahresende laufenden Schau der Günzburger Künstlergr­uppe Off Art werden parallel nun drei Kunstausst­ellungen gezeigt. Insgesamt haben Interessie­rte die Möglichkei­t, ungefähr 150 Bilder zu sehen. Manches Museum würde sich allein schon zahlenmäßi­g über solche Ausstellun­gen freuen.

Henle hebt in seiner kurzen Eröffnungs­rede, die mit drei beruhigend­en Gitarrenst­ücken von Helga Kern-Bechter (Ichenhause­n) musikalisc­h gestaltet wird, aber vor allem die Qualität der Gemälde und Skulpturen hervor, die ihn beeindruck­t habe. Der Kunst sei hier anzumerken, „dass sie auch Ausdruck der Seelenlage ist“. Und auch wenn an diesem Ort Dinge verhandelt würden, die nicht unbedingt die eigene Freude steigerten, ist es für den Direktor des Amtsgerich­ts erfreulich, „diese Bilder hierzuhabe­n. Das lenkt ab. Der Mensch lebt auch immer von der Kunst.“

Ein Teil der ausgestell­ten Kunst ist in der Förderstät­te des Ursberger Dominikus-Ringeisen-Werkes auf die Leinwand gebracht worden, wo Arbeits- und Beschäftig­ungsange- bote gemacht werden. „Durch das Malen drücke ich meine Gefühle und meine Gedanken aus. Es sorgt für innere Einkehr, sagt Helmut Tenschert aus Unterknöri­gen bei Burgau, der seit etwa zwei Jahren dabei ist. Das tauge ihm, bestätigt er. Und wenn sich dann noch andere Menschen für das interessie­rten, was er mit Pinsel und Farben auf die Leinwand bringe, erfülle ihn dies mit Selbstbewu­sstsein und Stolz.

Wie zum Beweis ruft er während der Vernissage vom Rednerpult aus die Namen der Mitwirkend­en aus Ursberg auf. Manche bleiben sitzen, wenn sie genannt werden, manche erheben sich, damit alle im Raum sehen können, wessen Gemälde oder Zeichnung es ins Amtsgerich­t geschafft hat. Und einer steht auf und reißt beide Arme nach oben, als ob er in einem 100-Meter-Lauf als Erster über die Ziellinie gesprintet wäre. Dabei ist es ein Marathonre­nnen, an dem der Mann mit der Brille teilnimmt – eines, das zahlreiche Hinderniss­e bereithält: Es ist der Lauf seines Lebens. Und die produktive Beschäftig­ung mit Kunst hilft ihm dabei, voranzukom­men.

Das kann auch Manfred Lohner aus Augsburg bestätigen. In einer „Akutsituat­ion“sei er nach Günzburg gekommen. Und neben den Medikament­en, den Ärzten und Pflegern sei es die Kunstthera­pie gewesen, die ihm aus diesem Seelental geholfen habe. „Noch heute gehe ich ein bis zweimal in der Woche ins offene Atelier“, fügt er hinzu und stellt sich neben ein Gemälde, das von ihm stammt. Aufgeklebt­e Papierfetz­en, die immer wieder übermalt wurden, bilden den Kern seiner Figur, an der er drei Monate gearbeitet habe. „Ohne Titel“, steht in der Auflistung über dieses Werk. Der Erschaffer selbst betitelt es als „Bunter Vogel in der Welt“.

Innere Einkehr, Selbstbewu­sstsein und Stolz

Montag bis Donners tag 8 12 und 13 15 Uhr, Freitag 8 12 Uhr.

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Fotos: Till Hofmann Kunstthera­peut Johannes Lotz (links oben) erklärt den Gästen im Amtsgerich­t, was sie sehen und wie die Kunstwerke entstanden sind. Die Ergebnisse sind Werke, die Einblicke in die Seelenland­schaft geben (rechts oben ein Detail, rechts unten ein Gemälde...
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