Mittelschwaebische Nachrichten

Kerosin Nebel über Thannhause­n

Um in Notfällen Gewicht vor einer Landung zu reduzieren, lassen Großraumfl­ugzeuge Flugbenzin ab. Dreimal ist das zwischen 2010 und 2016 im Landkreis Günzburg passiert. Kommunalpo­litiker sind alarmiert

- VON TILL HOFMANN

Thannhause­n/Günzburg Sie ist „entsetzt und sehr besorgt“: Diese Gefühlslag­e trifft auf Vizelandrä­tin Monika Wiesmüller-Schwab (CSU) zu, nachdem sie aus dem BayernTeil unserer Zeitung erfahren hat, dass in den beiden vergangene­n Jahren von Flugzeugen insgesamt 101 Tonnen Kerosin über der Gegend um Thannhause­n abgelassen worden sind. Das geschieht in Notsituati­onen, wenn beispielsw­eise nach dem Start technische Probleme auftreten, die einen sicheren Weiterflug nicht gewährleis­ten; oder ein Passagier einen Herzinfark­t erleidet. Das Gewicht ist mit den noch vollen Treibstoff­tanks deutlich zu groß. Um schnell landen zu können, wird tonnenweis­e Kerosin abgelassen. Am 20. November 2015 (50 Tonnen) und am 23. Juni 2016 (51 Tonnen) ist das in der Umgebung von Thannhause­n geschehen. Wiesmüller-Schwab, die Landrat Hubert Hafner (CSU) im Urlaub vertritt, ist höchst irritiert darüber, was da geschehen ist. Den örtlichen Behörden sind diese Notfall-Aktionen nicht bekannt gewesen. Allerdings erschien der Name der Stadt Thannhause­n bereits im Oktober 2016 in einer Antwort der Bundesregi­erung auf eine Anfrage verschiede­ner Grünen-Bundestags­abgeordnet­en und der Grünen-Fraktion.

Dass Thannhause­n fast ein Viertel der gesamten bayerische­n Belastung (410,5 Tonnen) in den Jahren 2015 und 2016 abbekommen hat und der Landkreis Günzburg damit ein „absoluter Hotspot“ist, will die Kommunalpo­litikerin nicht akzeptiere­n. In wortgleich­en Schreiben vom Freitag an Umweltmini­sterin Ulrike Scharf, Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml und den Bundestags­abgeordnet­en Georg Nüßlein (alle CSU) fordert sie „zum Schutz unserer Bürger und deren Lebensgrun­dlagen Luft, Wasser und Boden“Aufklärung darüber, weshalb über 100 Tonnen Kerosin in zwei Jahren über dem Gebiet um Thannhause­n entleert wurden. Außerdem solle die Verantwort­lichkeit festge- stellt werden. Es müsse darüber hinaus untersucht werden, wie sich das Ablassen des Flugzeugtr­eibstoffs auf Mensch, Boden und Nutzpflanz­en im Landkreis Günzburg auswirkt. Kerosin, führt Wiesmüller-Schwab aus, ist laut GHS (das steht für ein weltweit einheitlic­hes System zur Einstufung und Kennzeichn­ung von Chemikalie­n) als gesundheit­sgefährden­d und umweltgefä­hrlich klassifizi­ert. Benzol, ein Bestandtei­l von Flugsprit, wurde von der internatio­nalen Agentur für Krebsforsc­hung (IARC) als hochgradig krebserreg­end eingestuft, wenn der aromatisch­e Kohlenwass­erstoff eingeatmet wird oder über die Haut in den Körper gelangt.

Das in kleinste Tröpfchen abgelassen­e und verwirbelt­e Kerosin kommt nach Berechnung­en nur zu etwa acht Prozent auf dem Erdboden an. Der weitaus größere Teil des Kerosin-Nebels verdunste in noch höheren Luftschich­ten und verbleibe in der Atmosphäre, bis die Strahlungs­energie der Sonne ihn in Wasser und Kohlendiox­id umwandele. Nach Ansicht der Bundesregi­erung werden die erforderli­chen Konzentrat­ionen bei Weitem nicht erreicht, um gesundheit­liche Schäden bei Menschen hervorzuru­fen. Eine weitere Forderung Wiesmüller­Schwabs lautet, das Netz der Luftmessst­ationen im Kreis enger zu knüpfen. Und: Es müsse „mit sofortiger Wirkung“ein Verbot erlassen werden, über dem Landkreis Günzburg Kerosin abzulassen.

Auch Thannhause­ns Bürgermeis­ter Georg Schwarz verfasste gestern – im Urlaub – einen Brief an Landesumwe­ltminister­in Scharf und protestier­te darin „gegen die bisherige, völlig intranspar­ente und einseitige Belastung unserer Bürgerinne­n und Bürger in Thannhause­n und Umgebung“. Er bittet um Informatio­nen darüber, welche Initiative­n das Bayerische Umweltmini­sterium ergreift, um das Ablassen von Kerosin nachprüfba­r auf das absolut notwendige Maß zu beschränke­n. Außerdem will er wissen, wie es vermieden wird, bestimmte Regionen überpropor­tional stark zu belasten. Und Schwarz möchte, dass die von derartigen Maßnahmen Betroffene­n stets informiert werden.

Was gestern weder Schwarz noch Wiesmüller-Schwab wussten: Thannhause­n taucht in der Antwort der Bundesregi­erung, die deutschlan­dweit alle Fälle ab 2010 auflistet, noch einmal auf: Am 29. Juni 2010 wurden bei Thannhause­n 27,8 Tonnen Kerosin abgelassen.

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Foto: Wagner Die Wakeboard Anlage von Thannhau sen und im Hintergrun­d die 6100 Ein wohner Stadt selbst. Bis jetzt wussten weder Bürger noch die politisch Verant wortlichen, was über den Köpfen der Menschen geschehen ist.
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M. Wiesmüller Schwab

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