Mittelschwaebische Nachrichten

Für Raimund Kraus schließt sich ein Kreis

Was der 54-jährige Extremradl­er bei seiner langen Fahrt durch Sibirien erlebt hat und welches besondere Ereignis heute ansteht

- VON PETER BAUER

Ziemetshau­sen/Wladiwosto­k Platz hat er genug in seinem geräumigen Taxi, auch für ein Fahrrad. Und Taxifahrer, die am Münchner Flughafen ihre Fahrgäste einsteigen lassen, haben auch schon so einiges erlebt. Auf die Frage „Ja, wo kommen Sie denn her?“, erhalten sie nicht selten durchaus exotische Antworten. Doch diesmal staunt der Taxifahrer nicht schlecht. „Ich komme aus Wladiwosto­k, ich war dort mit dem Fahrrad, rund 12 000 Kilometer.“Der Fahrgast – das ist Raimund Kraus aus Ziemetshau­sen, nach dem Rückflug aus Wladiwosto­k in München angekommen. Der Taxifahrer kann es zunächst kaum glauben. Dann entwickelt sich zwischen Kraus und dem Fahrer, der aus Syrien stammt, ein angeregtes Gespräch über „Gott und die Welt“. „Und dann hat er mir vom Fahrpreis auch noch fünf Euro erlassen“, wie Kraus erzählt.

Als Kraus in den ersten Augusttage­n in München ankommt, schließt sich ein Kreis. Insgesamt 86 Tage war der Extremradl­er quer durch Russland bis zum Pazifik unterwegs. Im Schnitt radelte er pro Tag rund 140 Kilometer, bei manchen Etappen waren es über 200 Kilometer. Etwa 77000 Höhenmeter hat er überwunden, an einigen Tagen waren es bis zu 2500 Höhenmeter – und das mit einem Rad mit rund 25 Kilogramm Gepäck.

Das ist die Statistik. Doch wie viele Geschichte­n stecken hinter diesen Zahlen. Es ist auch die Geschichte des Anfangs und von dem, was jetzt kommt. Als Kraus in den ersten Maitagen in Ziemetshau­sen startete, gab es den Reisesegen von Pfarrer Karl B. Thoma und Pater Gerhard Löffler sozusagen mit auf den Weg. Heute treffen Kraus und die beiden Geistliche­n wieder zusammen – bei der kirchliche­n Heirat von Raimund Kraus und Maria Wiedemann. Die beiden haben im vergangene­n Jahr standesamt­lich geheiratet, jetzt folgt die kirchliche Trauung.

Man darf davon ausgehen, dass Kraus an diesem besonderen Tag viel gefragt werden wird nach dem, was er alles erlebt hat bei seiner Fahrt durch Russland. Er wird wohl auch Sätze hören wie etwa „Durch Russland? Ist das nicht gefährlich?“. Doch als Kraus über seine Begegnunge­n mit den Menschen dort erzählt, gerät er regelrecht ins Schwärmen. Während seiner langen Tour wird er immer wieder eingeladen, zum Tee oder gar zum Essen, er bekommt Bananen gereicht, eine ältere Dame kocht für ihn eine Suppe mit Brot und Speck.

Die Verständig­ung? Kraus hat einige Brocken Russisch und die kyrillisch­e Schrift gelernt. So kann er die Ortsschild­er problemlos entziffern, für einen Radler in einem fremden Land ein nicht zu unterschät­zender Vorteil. Und wenn es an Worten fehlt, dann klappt es auch mit Zeichenspr­ache. Zudem gibt es in der digitalen Welt der Handys erstaunlic­h viele Übersetzun­gsmöglichk­eiten.

Über Polen und Litauen erreicht Kraus relativ rasch Moskau, dann geht es hinein in den sibirische­n Riesenraum. Man mag es zunächst kaum für möglich halten – in diesem Riesenraum gibt es bemerkensw­erte Zusammentr­effen mit Radlern, die in einer ähnlichen Weise wie Kraus unterwegs sind. Kraus berichtet über einen 21-jährigen Franzosen, der mit seinem Rad im Elsass gestartet ist und ebenfalls Richtung Wladiwosto­k unterwegs ist. Die beiden radeln eine Weile zusammen. Als Kraus diese Episode erzählt, weicht sein Lächeln einem Moment der Nachdenkli­chkeit. „Ich bin 54 Jahre alt“, sagt er dann. Es sei eine „sehr harte“Tour gewesen. Er habe es sich nicht so bergig vorgestell­t. Er möchte seine ganzen Eindrücke und Erlebnisse erst einmal „sacken“lassen.

Es war nach der Fahrt durch Afrika in Nord-Südrichtun­g 2009/2010 (etwa 17 000 Kilometer) seine zweitlängs­te Tour. Nun waren es exakt 11878 Kilometer. Wenn Kraus das alles erst einmal „sacken“lassen will, muss er wohl niemanden um Verständni­s bitten. Aber Kraus wäre nicht Kraus, wenn er nicht schon wieder weitere Tourenmögl­ichkeiten im Kopf hat. So spricht er beispielsw­eise über Möglichkei­ten in Amerika und Australien.

Bei seinen Fahrten wie jetzt durch Russland profitiert Kraus auch von seiner enormen Erfahrung. Bereits mit 29 Jahren begann Kraus (geboren ist er in Anried bei Dinkelsche­rben) längere Touren zu radeln. Vor dem Start Richtung Sibirien waren es bereits über 200000 Kilometer durch rund 60 Länder in Europa, Afrika, Amerika und Asien. Der gelernte Bauschloss­er und Rohrleitun­gsbaumeist­er für Gas und Wasser ist bei der Firma GWTec in Augsburg in Teilzeit und mit Arbeitskon­to beschäftig­t. Das gibt ihm Luft für seine ausgedehnt­en Touren.

Durch Sibirien ist er wieder mit Zelt unterwegs. Immer wieder übernachte­t er auch in einfachen Unterkünft­en am Straßenran­d. In Sachen Rad vertraut Kraus sozusagen auf ein „bewährtes Schlachtro­ss“. Alurahmen, 14-Gang-Nabenschal­tung, 26-Zoll-Bereifung. Ohne Hightech-Schnicksch­nack, nicht pannenanfä­llig und reparaturf­reundlich sozusagen. Bis auf „einen Platten“geht alles glatt, auch irgendwelc­he gefährlich­en Begegnunge­n mit Hunden oder gar Bären gibt es keine. Da Kraus häufig auf Fernstraße­n unterwegs ist, hält sich auch die Mücken- und Rinderbrem­senplage insgesamt in Grenzen. An den Straßen kann er sich in diversen Märkten oder Tankstelle­n immer wieder gut verpflegen. Bei vielen Touren hat sich Kraus in Sachen Navigation hauptsächl­ich auf Karten verlassen. Diesmal nutzt er intensiv mit dem Handy die Möglichkei­ten der digitalen Navigation.

In Sibirien wird es im Sommer oft sehr warm, Temperatur­en um 30 Grad sind keine Seltenheit. Aber es gibt auch immer wieder heftige Regenfälle. Kraus wird an einem Tag von einem Gewitter „erwischt“, stellt schnell ein Zelt auf.

„Einen russischen Rennradler, der ebenfalls vom Wetter überrascht wurde, habe ich dann auch noch ins Zelt hereingewu­nken“, erinnert er sich. Er begegnet unterwegs drei Taiwanesen, die mit dem Rad Richtung Moskau wollen. Es gibt eine herzliche Begegnung mit einem beinamputi­erten Russen, der mit einem selbst gebauten Handbike unterwegs ist.

Es ist auch die wohltuende Erfahrung solcher Begegnunge­n, die Kraus immer wieder zu seinen Touren aufbrechen lässt. Russland und Sibirien wird er jetzt „sacken“lassen. Aber man darf davon ausgehen, dass auf dieses „Sacken lassen“bald neue Pläne folgen.

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Foto: Sammlung Kraus Immer wieder kommt es in den Weiten Sibiriens zu herzlichen Zusammentr­effen mit anderen Radlern. Rechts der Ziemetshau­ser Extremradl­er Raimund Kraus.
 ??  ?? Bemerkensw­erte Begegnunge­n: Rai mund Kraus (rechts) mit einem beinam putierten Radler, der mit einem selbst gebauten Handbike unterwegs ist.
Bemerkensw­erte Begegnunge­n: Rai mund Kraus (rechts) mit einem beinam putierten Radler, der mit einem selbst gebauten Handbike unterwegs ist.
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Foto: Raimund Kraus Die Übernachtu­ngsplätze sind bisweilen ungewöhnli­ch: Hier in der Nähe eines Spielplatz­es.

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