Mittelschwaebische Nachrichten
Der Arbeiter im Weinberg des Herrn geht neue Wege
Nach 26 Jahren in Ziemetshausen blickt Pfarrer Karl B. Thoma auf seine Lehrzeit, die Kämpfe mit den 68ern und in die Zukunft als Rentner
Ziemetshausen Das Bild des Arbeiters im Weinberg des Herrn passt in mehrfacher Hinsicht auf Karl Boromäus Thoma. Was es bedeutet, hart zu arbeiten, weiß der Ziemetshauser Pfarrer nur zu gut. Schon als 14-Jähriger begann er eine Lehre in der Thannhauser Weberei Lehrmann & Böhm als Trikotagenweber. Jeden morgen um halb vier Uhr morgens aufstehen, um vier in die Fabrik – zwölf Stunden Schicht ohne Pause – und immer der ohrenbetäubende Lärm der Maschinen. „Meine Mutter, die mich jeden Morgen wecken musste, tut mir heute noch leid“, sagt er und lächelt verschmitzt. Am schlimmsten seien die Nachtschichten von 16 bis 4 Uhr morgens gewesen, in denen der junge Karl Thoma krampfhaft gegen den Schlaf kämpfen musste. Die Zeit in der Weberei ist längst Geschichte.
Im Wettstreit mit Importen aus Billiglohnländern konnte der Betrieb in Thannhausen nicht bestehen. Thoma hatte sich da bereits für einen anderen Weg entschieden und war Priester geworden. Dieser Weg nimmt nun in wenigen Wochen erneut eine Wende, wenn sich Thoma nach 26 Jahren als Pfarrer in Ziemetshausen in den Ruhestand verabschiedet. Voreilig hat der 76-Jährige die Entscheidung sicher nicht getroffen. „Bei meiner Priesterweihe waren wir 14 Männer. Vier davon sind bereits gestorben, drei sind noch in vollem Dienst. Man muss auch auf seine Gesundheit achten“, sagt Thoma. Und die habe ihm in jüngerer Vergangenheit immer mehr Probleme bereitet. Zunehmend sei es ihm schwerer gefallen, die Arbeitsbelastung als Seelsorger mit der notwendigen Kraft und Energie zu stemmen. „Man muss ja nicht nur Gottesdienste halten“, sagt Thoma. Bis zu 80 Stunden betrage sein wöchentliches Arbeitspensum. Dabei beginnt sein Tag jeden Morgen gleich. Nach dem Aufstehen um 5.30 Uhr hält er das Stundengebet und meditiert. Danach gibt es eine Tasse Kaffee und Frühstück. Anschließend setzt sich Thoma an seinen Schreibtisch im Büro und beginnt mit der Arbeit. Bis Bürokraft Sylvia Greiner ins Pfarrbüro kommt, hat Thoma schon einiges vorsortiert. Sein Büro sieht tatsächlich nach Arbeit aus. Neben verschiedenen Heiligenfiguren und mit Blattgold verzierten Putten hängen viele Bilder markanter Stationen seines Wirkens an der Wand: Sein Abschied als Religionslehrer der Grund- und damals noch Teilhauptschule Ziemetshausen, ein Bild vom historischen Amalienfest, für das Thoma als Mundartdichter auch ein Theaterstück geschrieben hatte oder eines von der Einweihung des Hyazinth Wäckerle-Denkmals. Über die Jahre hat sich in den Regalen eine lange Reihe an Ordnern gebildet, in denen Predigten, Liedtexte und Gottesdienstvorbereitungen abgeheftet sind. Die Predigten schreibt Thoma noch immer auf einer froschgrünen Schreibmaschine mit schwarzer Tastatur. Thoma lacht: „Es geht bei der Predigt nicht um Schnelligkeit, sondern um Innerlichkeit. Man sagt immer, man muss mit einer Predigt drei Tage schwanger gehen“, sagt er schmunzelnd. Sie sollte außerdem nicht länger als 8 Minuten dauern, denn „die Leute können heute nicht mehr lange zuhören“. Man müsse sich darü- ber hinaus „von dem Irrtum befreien“, jeden der Zuhörer mit der Botschaft der Predigt erreichen und berühren zu wollen.
Wo in seinem Leben die Fronten verlaufen, war meist sehr klar. Am 4. September 1940 als Arbeiterkind im Schatten der ZimmermannFleischwerke in Thannhausen geboren, prägte sich ihm als kleinem Buben tief die Angst vor den bombenwerfenden Amerikanern ein. Es sei schwierig zu verstehen gewesen, dass die, „vor denen wir bislang Angst hatten, jetzt unsere Freunde sein sollten“. Doch seine bis heute unstillbare Neugier habe ihm aus diesem Dilemma herausgeholfen. Regelmäßig standen die Buben am Rand des Sportplatzes, wo die in Thannhausen stationierten GIs Baseball spielten, und sammelten die verschossenen Bälle wieder ein. Im Gegenzug verschenkten die Soldaten Kaugummi als Belohnung oder Zigaretten für die Väter.
Er habe nach dem Krieg als junger Mann ein christlich geprägtes, auf Versöhnung mit den Nachbarn zielendes Deutschland mitaufbauen wollen. Gefährdet sah er dieses Projekt durch die 68er-Revolten, die er als junger Student in München selbst miterlebte. Die aus seiner Sicht von der DDR gesteuerten Studentenproteste waren ihm jedoch zuwider. Thoma erinnert sich an eine Vorlesung, in die plötzlich eine Gruppe von Studenten platzte und lautstark zum Streik aufforderte. Da erhob sich einer der Studierenden im Plenum und rief mit lauter Stimme und feinstem oberbayerischen Dialekt: „Auf geht’s, schmeiß ma’s naus.“Daraufhin gab es eine wüste Schlägerei, in deren Zuge die Störer aus dem Auditorium gedrängt wurden. In Thomas Stimme schwingt beim Erzählen eine spitzbübische Freude über diesen kleinen Sieg mit. Seine Haltung ist auch durch andere persönliche Erfahrungen von Intoleranz gegenüber der Kirche und ihren Vertretern geprägt worden. „Ich hab die 68er als Kaplan in Starnberg erlebt“, erinnert er sich. Damals sollte er in einer achten Klasse Religion unterrichten. Der Mathelehrer kündigte ihn mit süffisantem Unterton als „neuen Unterpfaffen“an, „bei dem könnt ihr euch austoben“.
Doch Thoma gelang es, zu den Kindern einen guten Draht zu knüpfen, so wie er auch den Weg in die Herzen der Ziemetshauser fand. Wie sehr ihn die Menschen seiner Pfarrei schätzen, zeigt sich auch darin, dass nach dem gemeinsamen Dankgottesdienst Ende Juli die Bewohner jedes Dorfes noch einmal eigens von ihrem Pfarrer Abschied nehmen wollen. Viele suchen ihn in diesen Wochen auch persönlich auf, um Abschied zu nehmen. Er werde seine Gemeinde vermissen, räumt er ein. „All die guten Menschen und auch die Sorgenkinder.“Langweilig wird es ihm in seiner neuen Wohnung in Thannhausen sicher so schnell nicht werden. Zunächst einmal werde er bis Weihnachten brauchen, bis er sich vollständig eingerichtet hat. Endlich werde er Zeit haben, die Bücher zu lesen, die er über die Jahre geschenkt bekommen habe. „Dann kauf ich mir ein E-Bike und fahr das Mindeltal rauf und runter.“Auch als Priester wird er noch in Erscheinung treten. Auf Abruf will er dem Pfarrer in Thannhausen gelegentlich zur Verfügung stehen. Ganz wird er als Arbeiter aus dem Weinberg des Herrn also noch nicht entlassen.