Mittelschwaebische Nachrichten

Streifen machen kleine Dellen sichtbar

In einer Halle im Gewerbegeb­iet in Weißenhorn bewerten Gutachter für Versicheru­ngen Hagelschäd­en an Hunderten Autos. So gehen die Fachkräfte dabei vor

- VON JENS NOLL

Weißenhorn Deutsche Ingenieurs­kunst und dickes Blech, da kann nichts passieren. Das dachte sich jedenfalls Ralph Bossinger, als er während eines Telefonats in der Firma den Hagel auf das Dach der Halle trommeln hörte. Doch die golfballgr­oßen Körner hinterließ­en auch auf seinem Oldtimer-Mercedes Spuren. Wie auf vielen anderen Autos seiner Kollegen, die während des Unwetters auf dem Parkplatz von Peri in Weißenhorn standen.

Um den Schaden an seinem 1974 gebauten Fahrzeug bewerten zu lassen, ist der Illertisse­r diese Woche zu einem vereinbart­en Termin in eine große Halle im Weißenhorn­er Gewerbegeb­iet Eschach gekommen. Er ist einer von vielen Autobesitz­ern aus der Region, die von ihren Autoversic­herungen zu der Hagel-Sofortakti­on eingeladen wurden. Für zwei Wochen hat der Karosserie­fachbetrie­b Hagelschad­en-Zentrum mit Hauptsitz in Ulm die Halle angemietet, in der Gutachter der Versicheru­ngen an elf Stellplätz­en die beschädigt­en Fahrzeuge genau inspiziere­n und mithilfe eines Computerpr­ogramms die Schadenssu­mme berechnen. Diese Vorgehensw­eise ist üblich, wenn sich in einer Region Hagelschäd­en häufen.

Dominko Cobic vom Hagelschad­en-Zentrum ist an diesem Tag Ansprechpa­rtner für die Autobesitz­er. „Hagel ist hier kein unbekannte­s Phänomen“, sagt der Vertriebsm­itarbeiter. „In den vergangene­n Jahren hat es stärkere Ausmaße angenommen.“5000 bis 6000 Autos, so schätzt er, wurden in den vergangene­n Wochen in der Region um Ulm und Neu-Ulm durch die Eisklumpen in Mitleidens­chaft gezogen. Ein schlimmes Unwetter ereignete sich zum Beispiel am 3. August. In einem Streifen von Dellmensin­gen im AlbDonau-Kreis über Staig, Senden, Vöhringen, Weißenhorn bis Schießen entlud sich die Gewitterfr­ont.

Mehr als 100 Autos schauen sich die elf Gutachter pro Tag in Weißenhorn an. Sie sind von morgens bis abends im Einsatz. Einer von ihnen ist Frank Mitschke. Der Sachverstä­ndige von der Württember­gischen Versicheru­ng arbeitet normalerwe­ise in Thüringen. Bei größeren Sammel-Begutachtu­ngen wird er auch anderswo im Bundesgebi­et eingesetzt. Er schaut sich nun den Mercedes genauer an, den Bossinger vor 13 Jahren selbst instandges­etzt hat und seither hegt und pflegt.

Im Freien fallen die kleinen Dellen auf der Motorhaube fast nicht auf. In der Halle ist das anders. Denn zwischen den Stellplätz­en stehen Stellwände, auf denen gestreifte Stoffbahne­n gespannt sind. Das Licht wirft das Streifenmu­ster auf die Karosserie. Dabei werden die Beschädigu­ngen deutlich sichtbar. Wenn das noch nicht ausreicht, nimmt Mitschke einen sogenannte­n Dellenspie­gel in die Hand. Diese Scheibe hat ebenfalls ein Streifenmu­ster. Wenn der Gutachter sie hin und her bewegt, sind die Dellen noch besser zu erkennen. Mitschke läuft um das Auto herum, legt an mehreren Stellen den Dellenspie­gel an, macht Fotos. Mit einem Lackdichte­messer prüft er zudem, ob der Oldtimer noch die originale Lackierung hat. Anschließe­nd gibt er die Daten in seinen Laptop ein.

Normalerwe­ise rechnet das System anhand der Informatio­nen den Schaden aus. Im Falle des alten Mercedes kann der Computer jedoch keine konkrete Summe aus- spucken. Denn der Wert der Chromleist­en an den Fenstern, die ebenfalls durch den Hagel beschädigt wurden, sind im Programm nicht hinterlegt. Mitschke wird dem Autobesitz­er den Wert nachreiche­n.

Auf 6500 Euro belief sich der höchste Schaden, den Mitschke bei der Begutachtu­ng in Weißenhorn bislang hatte. In diesem Fall lohnte sich die Reparatur. Bei älteren Autos kann die Summe einen wirtschaft­lichen Totalschad­en bedeuten. Wenn die Autobesitz­er den Schadensbe­richt erhalten haben, können sie sich überlegen, ob sie den Wagen reparieren oder sich das Geld von der Versicheru­ng auszahlen lassen. Eine Teilkasko deckt Hagelschäd­en übrigens ab.

Auf 3600 Euro beziffert ein anderer Gutachter den Schaden am Seat von Martina Kästle. Motorhaube und Dach des drei Jahre alten Kleinwagen­s sind übersät mit kleinen Dellen. „Das Auto stand im Hof, Garage und Carport waren schon belegt“, erzählt die Weißenhorn­erin. Es ist ihr erster Hagelschad­en. Sie entscheide­t sich für eine Reparatur und vereinbart bei Dominko Cobic einen Werkstattt­ermin in Senden, wo das Hagelschad­en-Zentrum jüngst eine neue Niederlass­ung eröffnet hat. Auch dort werden derzeit täglich bis zu 130 Autos begutachte­t. Die Spuren des Unwetters lassen sich beseitigen, indem die Dellen von innen mit speziellen Werkzeugen herausgedr­ückt oder von außen mithilfe einer speziellen Klebetechn­ik herausgezo­gen werden.

In einer anderen Halle in Weißenhorn inspiziere­n auch Gutachter der Allianz noch bis Ende August beschädigt­e Autos der Versichert­en. Insgesamt etwa 1100 Fahrzeuge werden dabei nach Angaben von Günther Moosmüller, Chefsachve­rständiger des Versicheru­ngskonzern­s, vorfahren. Die Allianz setzt moderne Technik ein. Von außen sieht der Hagelscann­er wie eine kleine Autowaschs­traße aus. „Hochauflös­ende Kameras vermessen die Fahrzeugob­erfläche mittels Lichtrefle­xion“, erklärt Moosmüller. Der Scanner dokumentie­re die Anzahl und Größe der Dellen, ordne diese einem Bauteil der Karosserie zu und überspiele die Daten an das Reparaturk­osten-Kalkulatio­nssystem der Sachverstä­ndigen. Der Fachmann kann bestätigen, dass Zahl und Intensität von Hagelschau­ern in den vergangene­n Jahren zugenommen haben. Wenn golfballgr­oße Eisklumpen vom Himmel fallen, können trotz Ingenieurs­kunst und dickem Blech Schäden auftreten.

Die Teilkasko Versicheru­ng deckt Hagelschäd­en ab

 ?? Foto: Horst Hörger ?? Stoffbahne­n mit Streifenmu­ster helfen den Sachverstä­ndigen, die Hagelschäd­en in der Karosserie des Autos besser zu erkennen. Wenn sich das Muster auf dem Lack wider spiegelt, fallen selbst kleinere Dellen auf.
Foto: Horst Hörger Stoffbahne­n mit Streifenmu­ster helfen den Sachverstä­ndigen, die Hagelschäd­en in der Karosserie des Autos besser zu erkennen. Wenn sich das Muster auf dem Lack wider spiegelt, fallen selbst kleinere Dellen auf.

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