Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Mann für die Mitte

Richard Böhringer hatte der FDP schon den Rücken gekehrt. Jetzt kandidiert er für die Partei bei der Bundestags­wahl. Er will mehr Engagement der Bürger – auch im Alter

- VON MARCUS GOLLING

Wer sind die Frauen und Männer, die in den Bundestag einziehen wollen? In einer Serie von Porträts stellen wir die Direktkand­idaten der Parteien im Wahlkreis Neu-Ulm vor, zu dem auch der Landkreis Günzburg gehört. Heute: Richard Böhringer von der FDP. Neu Ulm Vor vier Jahren lag die FDP am Boden. Und Richard Böhringer war mit den Nerven am Ende. Falsche Entscheidu­ngen wie Steuerredu­zierung für Hoteliers hätten das Image der Partei ramponiert. Im Wahlkampf, so berichtet er, seien die Liberalen auf der Straße beschimpft worden. Nach 23 Jahren kehrte er der Partei, für die er sich zuvor unter anderem als Kandidat fürs Europaparl­ament und in Fachaussch­üssen engagiert hatte, den Rücken. Nun ist er zurück in der FDP und tritt als Direktkand­idat bei der Bundestags­wahl an: Weil er nach wie vor an die Werte der Liberalen glaubt – und an Spitzenkan­didat Christian Lindner. „Er ist Mister FDP.“Ohne ihn, ist der Gerlenhofe­r überzeugt, hätte die Partei nicht ihr Tief verlassen. „Er hat eine umfassende Sicht der Dinge.“

Trotz dieser Begeisteru­ng ist Böhringer in der FDP des Wahljahres 2017 fast schon ein Exot: Er ist 73 Jahre, Lindner mit 38 fast halb so alt. Er ist aber auch kein reiner Wirtschaft­sliberaler, der immer nur mehr Freiheit für Unternehme­r fordert. Kritisch sieht er etwa die Entwicklun­g im Bereich künstliche Intelligen­z und Automatisi­erung, er hält Mitarbeite­rbeteiligu­ng in Unternehme­n für wertvoll und motivieren­d. Wie sein Parteichef Lindner fordert er das Ende der innereurop­äischen Steueroase­n Luxemburg und Irland. Aber er ist ganz Liberaler, wenn er sagt: „Jeder muss sich anstrengen, von der Geburt bis zum Tod.“

Der Wirtschaft­s- und Sozialwiss­enschaftle­r Böhringer hat diese Devise stets umgesetzt – und dabei auch besondere Einblicke bekommen. Zwei Jahre lang leistete er im Industriem­inisterium des westafrika­nischen Landes Mauretanie­n Entwicklun­gshilfe, später baute er in Barcelona ein Unternehme­n auf. Zurück nach Schwaben kam er erst 1988. Vier Jahre später machte er sich selbststän­dig. Sein berufliche­r Schwerpunk­t lag in der Metallindu­strie – und liegt immer noch dort. Böhringer vertritt eine französisc­he Gießerei in Deutschlan­d und ist kaufmännis­cher Leiter eines

160-Mitarbeite­r Unternehme­ns am Bodensee. Wohlgemerk­t mit 73. Aber so etwas wie Ruhestand kann er sich nach eigenen Aussagen gar nicht vorstellen. „Was soll bitte Ruhe sein?“, sagt er und lächelt. Er gesteht aber: Seiner Frau würde es gefallen, wenn er mehr Zeit zuhause verbringen würde.

Doch erst einmal will er sich im Wahlkampf reinhängen, übrigens unterstütz­t von seiner eigenen Tochter. Sein großes Thema ist dabei die soziale Marktwirts­chaft. Die, so sagt er, könne nur funktionie­ren, wenn es eine starke Mittelschi­cht gibt. „Die Mitte ist der Kitt für den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt.“Deswegen will Böhringer unter an-

derem Wohneigent­um fördern, aber auch den Solidaritä­tszuschlag abschaffen. „Wenn der Staat verspricht, dass eine Steuer nur vorübergeh­end ist, muss er sein Verspreche­n halten.“Böhringer wünscht sich eine Bürgergese­llschaft, die von allen Bürgern getragen wird, und deswegen auch mehr direkte Demokratie.

Wegen seiner Erfahrunge­n im Ausland setzt sich Böhringer auch für eine aktive Entwicklun­gspolitik in den Dritte-Welt-Staaten ein. Dort gehe es darum, Märkte zu schaffen – und die Menschen durch Bildung und Kapital zu befähigen, ihre Kreativitä­t in wirtschaft­lichen Erfolg zu verwandeln. „Wir müssen

die Leute dort halten“, sagt Böhringer. Camps an der libyschen Küste seinen keine Lösung für die aktuelle Flüchtling­sproblemat­ik.

Über seine Chancen, diese Haltung auch im Bundestag zu vertreten, macht sich Böhringer freilich keine Illusionen: Dank Platz 51 ist ein Einzug über die Liste genauso unwahrsche­inlich wie der Gewinn des Direktmand­ats. Er habe bei der Nominierun­g den Jüngeren den Vortritt gelassen, sagt er, gibt aber auch zu, mit dieser Entscheidu­ng inzwischen ein wenig zu hadern. So oder so: Böhringer will im Wahlkampf für die Werte der FDP einstehen – und seine Fachkompet­enz danach weiter einbringen.

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Bildung ist ein wichtiger Punkt im FDP Parteiprog­ramm – auch deswegen gehört die Hochschule zu den Lieblingso­rten Richard Böhringers in Neu Ulm.
Foto: Alexander Kaya Bildung ist ein wichtiger Punkt im FDP Parteiprog­ramm – auch deswegen gehört die Hochschule zu den Lieblingso­rten Richard Böhringers in Neu Ulm.

Newspapers in German

Newspapers from Germany